„Niemand ist nur gut und niemand ist nur böse“.

Erinnerungen an Dr. med. habil Werner Platz von Rolf Kremming.

Wer Werner Platz auf den  Fluren des Berliner Kriminalgerichts begegnete,  sah einen großen, schlanken Mann, stets gut gekleidet mit einer Aktentasche unter dem Arm. Besonderen Augenmerk legte er auf seine Krawatten, modern und farbenfroh. So wie sein Äußeres, so war  auch der Mensch Werner Platz. Man mochte ihn als Menschen und  schätzte seine Meinung als Gutachter. Als promovierter und habilitierter Neurologe, Psychologe und Forensiker war er Mitglied verschiedener wissenschaftlicher Gesellschaften wie der International Academy of Law and Mental Health, und einer der bekanntesten Gerichtsgutachter Deutschlands.

Als ich ihm vor dreißig Jahren zum ersten Mal in seiner damaligen Praxis in der Karl-Bonhoeffer-Nervenanstalt gegenübersaß, interviewte ich ihn zu Therapiemöglichkeiten der Spielsucht.

Im Laufe des Gesprächs hörte ich einen Satz, den ich bis heute  nicht vergessen habe: „Jeder Mensch kann zum Mörder werden. In jedem  schläft ein Tier, das unerwartet ausbrechen kann. Niemand ist nur gut und niemand ist nur böse. Es kommt immer darauf, wo seine Reizschwelle liegt.“

Werner Platz und ich sind uns in den nächsten  Jahren immer wieder begegnet und letztes Jahr erschien das erste Buch über ihn. „Der ewige Dagobert“.

35 Jahre hat er in die Seelen von mehr als 3.000 Menschen geblickt. ‚Er hat zugehört,  wollte die Motive der Täter verstehen und mit seinen Gutachten den Beitrag für ein gerechtes Urteil leisten. Ein Elternmörder schrieb ihm noch Jahre nach der Verurteilung Briefe und beteuerte, wie sehr er ihn schätze.

Sein erster Fall war der Kabarettist Wolfgang Neuß. Sein  letzter Fall eine Frau, die ihr Kind getötet hatte. Dazwischen lagen Fälle von Mundraub bis zum sechsfachen Mörder.

Privat weiß ich wenig von ihm. Er war Familienvater, verheiratet und Großvater. Sein Privatleben war ihm heilig. Über seine Arbeit sprach er dagegen gerne. Ich habe oft in seiner Praxis gesessen, Kaffee getrunken oder wir trafen uns  beim Italiener, wo  er mir von seinen Fällen erzählte. Gutachter sein, war für ihn mehr als nur ein Beruf.

Er tauchte in die Tiefen menschlicher Gehirne ein, hörte  Fantasien voller Abscheulichkeiten. Hunderte von Tätern haben  seinen Weg gekreuzt, geredet oder geschwiegen. Er hat beobachtet  und zugehört, ihre Taten jedoch nie bewertet.  „Für mich gibt es kein Gut und kein Böse. Das sind lediglich zwei Seiten desselben Menschen. Der Täter muss die Gewissheit haben, dass ich eine neutrale Instanz bin und ihn nicht verurteile. Egal, was er auch getan hat. In jedem Menschen steckt ein Stück Tier, das in bestimmten Situation nicht mehr gebändigt werden kann und ausbricht.“

Er war ein ruhiger Mann, strahlte Verständnis aus und ich konnte mir  nicht vorstellen, dass er jemals hätte laut werden können. Er war jemand, der lieber den Mund aufmachte, als Gefahren unter den Teppich zu kehren. Er wollte vorbeugen und warnen; vor der immer häufiger auftretenden Spiel-, und Internetsucht und dass sich Kinder und Jugendliche „blöd“ kiffen.

Er war aber auch ein unkonventioneller Mann, der in erster Linie an das seelische Wohl seiner  Patienten dachte und Bürokratie schon mal Bürokratie sein ließ. So drückte er ein Auge zu, damit ein 85-jähriger trotz mangelhafter Deutschkenntnisse die Angelscheinprüfung  bestand.  „Angeln war sein Hobby und nur weil er nicht genug deutsch konnte, sollte er nicht mehr am See sitzen dürfen? Angeln hat seinen seelischen Zustand merklich verbessert. Mehr als es jedes Medikament gekonnt hätte.“

Mit zwölf wusste der Berliner Kaufmannssohn, dass er Arzt werden wollte. Doch nach dem Abi lernte er erst einmal Drogist. Danach Medizinstudium, dann ging er für fünf Jahre nach England und erforschte neue Anwendungsgebiete von Antibiotika. Danach schrieb er die Doktorarbeit über Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie.

„Für mich war es immer wichtig, über den Tellerrand des eigenen Fachs zu schauen. Wer ein breites Wissen hat, versteht Zusammenhänge besser.“

Später Facharztausbildung zum Psychiater und Neurologen und Weiterbildung zum Forensiker. Spezialgebiet transkulturelle Psychiatrie. „Die russische Seele tickt anders als die skandinavische, die afghanische wieder anders als die griechische“. Und für Griechenland schwärmte er nicht nur wegen der Herkunft seiner Ehefrau. Er hatte dort sogar eine Zulassung als Arzt.

Ich werde ihn vermissen und als einen fairen, besonnenen und kompetenten Menschen in Erinnerung behalten…

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*