Wo menschliche Grundrechte besonders gefährdet sind.

Jurist Thomas Galli hat sich eingehend mit Sabine Leutheusser-Schnarrenbergers neuem Buch auseinandergesetzt.

Wofür die Freie Demokratische Partei (FDP) heute noch steht, ist schwer zu sagen. Sie scheint zwischen der Vertretung wirtschaftlicher Interessen Wohlhabender, der günstigen Verschaffung von Regierungsmehrheiten und der gänzlichen inhaltlichen Bedeutungslosigkeit hin– und her zu lavieren.

Dass es einmal eine andere, eine existentiell wichtige FDP gab, und dass es in der Partei nach wie vor Persönlichkeiten gibt, die für die Freiheit des Menschen, und nicht die des Kapitals oder der Macht stehen und kämpfen, zeigt eindrucksvoll das Buch „ANGST ESSEN FREIHEIT AUF – Warum wir unsere Grundrechte schützen müssen“ der ehemaligen FDP – Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes hält sie ein leidenschaftliches Plädoyer zur Verteidigung der im Grundgesetz verankerten Freiheitsrechte. Sie warnt davor, die Grundrechte auf dem Altar der Sicherheit zu opfern, und zeigt eindringlich auf, dass wir sie vor einem übergriffigen Staat, vor globalen Unternehmen, vor politischen Feinden der Freiheitsrechte, und letztlich auch vor uns selbst schützen müssen. 

Die Bedeutung der einzelnen Freiheitsrechte wird sehr anschaulich und gut nachvollziehbar anhand prägnanter und meist schon bundesverfassungsgerichtlich entschiedener Fragestellungen verdeutlicht: ist eine „Rettungsfolter“ mit der Menschenwürde nach Art. 1 GG vereinbar? Unterfallen nur verfassungskonforme Religionen dem Schutz der Religionsfreiheit nach Art. 4 GG? Welche Bedeutung hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 GG für die informationelle Selbstbestimmung und den Datenschutz gerade im Internet und in sozialen Medien? Was tun gegen Videoüberwachung? Inwieweit ist vertrauliche Kommunikation überhaupt noch möglich? Brauchen wir eine Netzkontrolle, und wäre diese mit der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG vereinbar? Kommt die Pressefreiheit unter die Räder?

Leutheusser-Schnarrenberger plädiert für einen Schutz der Privatsphäre auch im Netz. Sie wendet sich gegen die 2017 eingeführte Online – Durchsuchung zur Strafverfolgung und erläutert, warum sie dagegen beim Bundesverfassungsgericht Klage erhoben hat („Bei einer einzigen Online – Durchsuchung werden mehrere Hundert oder sogar mehrere Tausend unbeteiligte Personen betroffen sein, deren Nachrichten ausgelesen werden.“). 

Die Autorin macht insgesamt sehr deutlich, dass es darum geht, etwas zu verteidigen, was jedem Menschen nützt: Staatsferne, Privatheit, Selbstbestimmung, Eigenverantwortung gegen Obrigkeitsstaat und gegen Ausschnüffelei, Bevormundung und Fremdbestimmung.

Und sie führt uns vor Augen, wo menschliche Grundrechte in diesen Tagen besonders gefährdet sind: bei Asylsuchenden („Die Feinde der Demokratie, also die Freunde eines autoritären Systems nach dem Vorbild eines Victor Orban in Ungarn, eines Wladimir Putin in Russland und eines Recep Erdogan in der Türkei, machen mobil…..Dass Europa sich abschottet, Menschen wie Waren behandelt und ihren Tod billigend in Kauf nimmt, sind Konsequenzen einer Politik, wie sie Rechtspopulisten fordern.“). Die Autorin warnt vor einem „Asylrecht je nach politischer Stimmungslage“, und verdeutlicht, warum der politische und gesamtgesellschaftliche Umgang mit dem Asylrecht über das eigentliche Thema hinaus von höchster Relevanz ist: „Mich treibt der Umgang mit den Flüchtlingen so um, weil durch Stimmungsmache, politisch radikale Antiflüchtlingspositionen und gezielte Blockade und Kooperationsverweigerung das Asylgrundrecht schleichend demontiert wird. Wenn solche Strategien beim Thema Asyl aufgehen, warum nicht auch beim Recht auf freie Meinungsäußerung? Querdenker, Nachfrager, investigative Journalisten stören, sind lästig und decken Ungereimtheiten auf. Der österreichische Innenminister hat einen ersten Vorstoß zur Einschränkung der Pressefreiheit gestartet, indem sein Ministerium die Polizeibehörden angeregt hat, die Weitergabe von Informationen an bestimmte Zeitungsjournalisten so weit wie möglich zu beschränken.“

Das Werk ist allen DemokratInnen und HumanistInnen sehr ans Herz zu legen. Es ist ein Gegenlicht zum politischen Nebel einer Angela Merkel, zum politischen Dunkel eines Horst Seehofer oder eines Markus Söder, und zum kalten Schwarz der AfD. 

Sabine Leuttheuser-Schnarrenberger: ANGST ESSEN FREIHEIT AUF – Warum wir unsere Grundrechte schützen müssen, 206 S. Hardcover, wbg Theiss 2019, ISBN 978-3-8062-3891-4 18,00 Euro

Thomas Galli, Jahrgang 1973, studierte Rechtswissenschaften, Kriminologie und Psychologie und war über 15 Jahre lang im Strafvollzug tätig. 2013 wurde er für mehrere Jahre Leiter der JVA Zeithain, 2015 zusätzlich Leiter der JVA Torgau. Inzwischen ist er wieder als Rechtsanwalt tätig.

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

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