550 Jahre Kammergericht: Rede der Bundesjustizministerin Dr. Katarina Barley.

Am  09. Juni 2018 fand im Jüdischen Museum in Berlin der Festakt zum 550. Jubiläum des Kammergerichts statt. Das Kammergericht residierte in diesem Gebäude von 1735 bis 1913. Die TP Presseagentur Berlin dokumentiert die einzelnen Festreden (hier zunächst die der Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz Dr. Katarina Barley). Es gilt das gesprochene Wort.

 

Rede der

Bundesministerin der Justiz

und für Verbraucherschutz

Dr. Katarina Barley

beim Festakt

550 Jahre Kammergericht

am 9. Juni 2018 in Berlin.

 

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Dr. Pickel,

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

Exzellenzen,

Herr Senator,

meine sehr verehrten Damen und Herren!

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, liebes Kammergericht!

550 Jahre Kammergericht dokumentieren die Entwicklung des Rechtsstaats in Berlin, Kurbrandenburg, Preußen und der Bundesrepublik Deutschland.

Sie zeigen auch, dass diese Entwicklung keineswegs auf einer geraden Linie verlief und der Rechtsstaat immer wieder mit Widerständen, Rückschlägen, Anfeindungen und Angriffen zu kämpfen hatte.

So ist im Großen Plenarsaal des Kammergerichts bis heute der reich verzierte Balkon des Kaisers zu bestaunen. Der Prunkbalkon veranschaulicht, dass das Grundrecht „Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich“ aus Artikel 3, Absatz 1 unseres Grundgesetzes im Baujahr 1913 noch lange nicht galt.

Allerdings war es das gleiche Kammergericht, vor dem der preußische König Friedrich Wilhelm III. unterlag, als er der Stadt Berlin die Kosten für die Pflasterung der Wege aufbürden wollte.

Und es war das gleiche Kammergericht, das zum Ärger von Friedrich Wilhelm III. 1820 befand, dass Turnvater Jahn kein Staatsfeind sei, der die Jugend aufwiegelt. Verantwortlich für dieses Urteil war der wohl berühmteste Kammergerichtsrat: der Jurist und Dichter der Romantik E.T.A. Hoffmann.

Meine Damen und Herren,
heute erwarten die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zu Recht, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, dass wer recht hat, auch recht bekommt. Denn wir leben in einem Rechtsstaat.

Allerdings steht der Rechtsstaat weltweit vielerorts wieder unter Druck – in einigen Ländern Osteuropas, in Übersee, aber auch bei uns. Auch bei uns in Deutschland müssen wir erleben, wie Populisten den Rechtsstaat verächtlich machen.

Meine Damen und Herren,
der demokratische Rechtsstaat ist keine Selbstverständlichkeit mit Ewigkeitsgarantie. Vielmehr müssen wir Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit immer wieder aufs Neue verteidigen und erkämpfen.

Dass dies immer wieder erforderlich ist und was passiert, wenn der Kampf verloren geht, dafür steht exemplarisch eine Familiengeschichte:

Am 10. November 1974 wurde der damalige Präsident des Kammergerichts Günter von Drenkmann von Mitgliedern der „Bewegung 2. Juni“ – einem Vorläufer der RAF – abends in seiner Wohnung erschossen.

Berlinerinnen und Berliner setzten ein starkes Signal gegen die Bedrohung von Rechtsstaat, Frieden und Freiheit, als zur Trauerfeier vor dem Schöneberger Rathaus 20.000 Bürgerinnen und Bürger erschienen.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz betonte in seiner Ansprache:

„Überzeugungstreue und ein unbestechliches Rechtsgefühl waren es, die ihn veranlassten, in der Zeit der NS-Diktatur nicht in Staatsdienste zu treten. Er lehnte es ab, dem Recht Konzessionen abnötigen zu müssen, und er lehnte es ab, sich dem Unrecht zu beugen.“

Günter von Drenkmann entstammte einer Juristenfamilie: Bereits sein Großvater Edwin war Präsident des Kammergerichts gewesen. Und sein Sohn Peter war zwischen 1999 und 2005 Präsident des Landgerichts.

Schon Großvater Edwin von Drenkmann machte sich bei der Obrigkeit unbeliebt, als er 1892/93 geeignet erscheinende Assessoren zur Richterernennung vorschlug, obwohl diese einer jüdischen Gemeinde angehörten. Entsprechend dem damals herrschenden antisemitischen Zeitgeist lehnte das Justizministerium ab.

Der Enkel Günter von Drenkmann wiederum konnte nicht Richter werden, weil er sich weigerte, einer NS-Organisation beizutreten.

Meine Damen und Herren,
leider waren derlei Skrupel unter Juristen zwischen 1933 und 1945 nicht besonders verbreitet. Vielmehr machten sich zahllose Richter und Staatsanwälte zu willfährigen Mittätern des NS-Regimes.

So fanden im Plenarsaal des Kammergerichts in der Elßholzstraße die Schauprozesse des Volksgerichtshofs gegen die Verschwörer vom 20. Juli 1944 statt.

Dabei brüllte der berüchtigte Präsident des Volksgerichtshofs so laut auf die Angeklagten ein, dass das Filmteam der „Deutschen Wochenschau“ Roland Freisler bat, doch etwas leiser zu sprechen, damit auf den Aufnahmen auch die Stimmen der Angeklagten zu hören sind. Die Bitte war vergeblich, wie sich jeder beim Anhören dieser schrecklichen Tondokumente vergewissern kann.

Der Volksgerichtshof fällte allein im Zusammenhang mit dem 20. Juli mehr als 100 Todesurteile. Kaum einer der vielen Juristen, die sich als Richter oder Staatsanwälte an der Simulation von Recht vor dem Volksgerichtshof beteiligten, wurde von der Nachkriegsjustiz belangt. Nicht ein einziger von ihnen wurde von einem bundesdeutschen Gericht rechtskräftig verurteilt.

Meine Damen und Herren,
was lernen wir daraus? Dass wir den Rechtsstaat stärken müssen. Offensiv – in Taten und Worten und Haltung.

Um den Rechtsstaat zu stärken, werden wir auf Ebene der Regierungschefinnen und
-chefs von Bund und Ländern einen „Pakt für den Rechtsstaat“ schließen und eine umfassende Qualitätsoffensive starten.

Dabei geht es um zusätzliche Stellen im richterlichen und staatsanwaltlichen Dienst, aber auch für das nicht-richterliche Justizpersonal. Und es geht um die richtige Ausstattung: So wird ganz gezielt in die Digitalisierung der Justiz und in die Vermittlung von digitalen Kompetenzen investiert werden müssen.

Wir wollen im Rahmen dieses Pakts auch eine Kampagne für den Rechtsstaat starten:

  • Jeder muss verstehen, dass dieser Rechtsstaat nur funktionieren kann, wenn seine Regeln eingehalten werden.
  • Wir müssen aber ebenso verdeutlichen, dass der Rechtsweg nach den geltenden Regeln jedem offensteht, wenn er sich durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt sieht.

Wir müssen den Rechtsstaat hochhalten gegen Angriffe von links und rechts, von innen und außen.

In seiner Ansprache bei der Trauerfeier für den ermordeten Präsidenten des Kammergerichts Günter von Drenkmann mahnte der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda:

„Der Rechtsstaat unterscheidet sich von der Willkürherrschaft gerade auch durch die Achtung, die der unabhängigen Rechtspflege entgegengebracht wird.“

In diesem Sinne wünsche ich dem Kammergericht zu seinem 550. Geburtstag weiterhin Mut, Gelassenheit und die nötige Kraft!

Herzlichen Dank.

Bildquelle: TP Presseagentur Berlin

2 Antworten

  1. Es hätte der Rede von Frau Barley bestimmt gut getan auf die nationalistische und wohl auch antisemitische Haltung und Äusserungen von „Turnvater Jahn“ als Vorbereiter entsprechendem Denkens in Deutschland hinzuweisen..

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