Wie mache ich einem Bäcker Metallberufe schmackhaft?

TP-Interview mit dem Dipl. Volks- und Betriebswirt Siegfried Backes, Geschäftsführer der Transfergesellschaft für die ehemaligen Mitarbeiter von Air Berlin.

TP: Herr Backes, was macht eine Transfergesellschaft genau?

Backes: Transfergesellschaft beschreibt einerseits ein Instrument, das mehrere Schritte miteinander verbindet. Von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen werden aufgefangen, durch eine befristete Übergangsbeschäftigung nicht arbeitslos, in dieser Zeit aktiv beraten und in eine neue Arbeit vermittelt. Andererseits werden aber auch die Träger dieses Instruments oft als Transfergesellschaft bezeichnet. Ich bin der Geschäftsführer solch eines Trägers von Transfergesellschaften, unsere Firma heißt Personaltransfer GmbH. Die Transfergesellschaft für die ehemaligen Beschäftigten der Air Berlin ist für uns eines von zahlreichen Transferprojekten seit 1998. Transfergesellschaften sind damit erst einmal eine Alternative zur Arbeitslosigkeit. Normalerweise müssten die Air Berlin-Mitarbeiter zur Agentur für Arbeit …

TP: … sprich Arbeitsamt …

Backes: … gehen und sich dort arbeitslos melden. Das müssen sie aber nicht tun, weil sie mit uns einen befristeten Arbeitsvertrag abschließen. Innerhalb dieser Zeit besteht als Auflage der Agentur für Arbeit für den Bezug von Transfer-Kurzarbeitergeld ein so genanntes Arbeitsverbot – im engeren Sinne. Im weiteren Sinne des Wortes wird natürlich gearbeitet und zwar an dem eigenen beruflichen Fortkommen. Das wäre der Arbeitsinhalt einer Transfergesellschaft.

TP: Ist eine Transfergesellschaft somit als eine Art Umschulungsorganisation zu verstehen?

Backes: Nein, das würde ja beinhalten, dass man selbst Umschulungen anbietet. Das machen wir nicht und lehnen das auch ab. Der Berliner Bildungsmarkt ist so breit aufgestellt, dass wir auch gar keine eigenen Kurse anbieten müssen. Natürlich machen wir Training zu den Themen Bewerbung, Verhaltensänderung usw., aber die fachliche Qualifizierung läuft bei externen Bildungsträgern. Wir wollen damit gegenüber Auftraggebern, also den Unternehmen und den Beschäftigten, auch einen Interessenkonflikt vermeiden, wenn wir Transferbeschäftigte in eigene Weiterbildungen aufnehmen würden, ob es für diejenigen fachlich passt oder nicht.  Deswegen ist es für uns sogar ein Qualitätsmerkmal, keine Bildung anzubieten.

TP: So gesehen begreifen Sie sich mehr als eine Arbeitsvermittlungsstelle?

Backes: So könnte man das sehen.

TP: Wo muss sich nun derjenige, der von Air Berlin freigestellt, also gekündigt wurde, melden?

Backes: Das ist intern mit Air Berlin so abgestimmt, dass die Mitarbeiter des Bodenpersonals von der Personalabteilung das Angebot bekommen, einen so genannten dreiseitigen Vertrag abzuschließen. Im ersten Teil dieses Vertrages lösen die beiden Parteien, nämlich die Firma Air Berlin und die dort Beschäftigten, ihr Arbeitsverhältnis gegenseitig auf, bei Air Berlin geschah dies in der ersten Welle bis zum 31.10.2017. Im zweiten Teil des Vertrages begründen sie zeitgleich ein neues befristetes Arbeitsverhältnis mit uns, im konkreten Fall geschah dies zum 01.11.2017. Unterschreiben die Mitarbeiter diesen Vertrag nicht, oder sind sie aus Sicht der Bundesagentur für Arbeit nicht förderfähig als Transfer-KUG-Empfänger, müssen die Beschäftigten zur Agentur für Arbeit und sich dort arbeitslos melden. Bei uns sind sie dagegen arbeitssuchend, nicht arbeitslos.

TP: Bei der Transfergesellschaft werden sie sozusagen als weiterbeschäftigt behandelt?

Backes: Genau.

TP: Die Arbeitsagentur vermittelt ebenso wie Sie Arbeitsplätze, berät auch dahingehend, welcher Arbeitsplatz künftig in Frage kommen könnte. Wo liegen da die Unterschiede?

Backes: Der erste Unterschied ist erst einmal im Status des Mitarbeiters zu sehen, er ist nicht arbeitslos, muss sich folglich auch nicht aus diesem Status für einen neuen Job bewerben, sondern ist bei uns beschäftigt, beschäftigt mit seinem eigenen Fortkommen. Das ist wahrscheinlich anstrengender und umfassender, als die Arbeitsagentur es je machen kann. Wir haben ein Betreuungsverhältnis von 1 : 50, ein Vollzeitberater betreut 50 Transfermitarbeiter. Bei der Arbeitsagentur ist diese Relation wesentlich höher. Allein daraus ergibt sich schon eine höhere Beratungsintensität und, zumindest bei bisher evaluierten Projekten, eine bessere Vermittlungsquote.

TP: Die Beschäftigten werden vermutlich nicht einzelnen beraten, sondern treffen sich in größeren Gruppen?

Backes: Ganz am Anfang ja, anschließend natürlich nicht mehr. Wir hatten zum Startzeitpunkt der Transfergesellschaft dafür einen großen Saal hier nebenan im Best Western Hotel gemietet. Da haben wir für 3 Gruppen à 100 Personen jeweils 2 Stunden lang den Ablauf, die Spielregeln, die notwendigen einzuhaltenden Formalitäten erläutert. Anschließend gibt es dann eine Einteilung der Mitarbeiter zu ihren Beratern, und in der Folge werden dann die Beratungstermine bei den Beratern stets im erwähnten Schlüssel von 1:50 vereinbart.

TP: Und dann haben sie täglich anzutreten?

Backes: Das hängt davon ab, was bilateral zwischen Berater und den Beschäftigten verabredet wird. Wenn jetzt z.B. ein Praktikum bei einem neuen Arbeitgeber vereinbart wird, dann findet das Praktikum z.B. 4 Wochen lang natürlich täglich statt. Auch eine vereinbarte Qualifizierung muss man täglich besuchen. Ansonsten gibt es natürlich „Hausaufgaben“, vor allem die Recherche zu in Frage kommenden Arbeitsangeboten. Das teilen sich dann Berater und Mitarbeiter, auch damit die Mitarbeiter ein Gefühl dafür bekommen, was gerade bezahlt wird für diese oder jene Jobs. Wir arbeiten auf Augenhöhe mit den Mitarbeitern, agieren nicht wie ein Amt. Das bedeutet umgekehrt natürlich auch, dass der Mitarbeiter nicht passiv zu Hause sitzen und erwarten kann, von uns Stellen auf dem goldenen Tablett serviert zu bekommen. Es nutzt nichts, wenn der Mitarbeiter nur passiv reagiert, in dem er alle angebotenen Stellen als zu schlecht bezahlt empfindet. Er muss durch aktive Einbeziehung selbst Ideen entwickeln, auch zum Thema Lohn und Gehalt ein eigenes Gefühl für die realen Chancen bekommen.

TP: Demnach hat er eine Mitwirkungspflicht – nicht anders als bei der Arbeitsagentur?

Backes: Ja, hat er, das ist auch bei uns vertraglich so verankert. Wenn er sich dieser Pflicht entzieht, dann kann ihm die Arbeitsagentur notfalls auch das Geld sperren. Er bekommt von ihr 60 bis 67 Prozent seines Gehaltes, das ist das Transfer-Kurzarbeitergeld.

TP: Demnach bekommen Transferbeschäftigte ihr Einkommen in einer Ko-Finanzierung von der Arbeitsagentur?

Backes: Genau, in Form des Transfer-Kurzarbeitergeldes. Das erhalten wir für ihn als Arbeitgeber und zahlen es ihm aus, zusammen mit dem Aufstockungsbetrag des alten Arbeitgebers. Das Transfer-Kurzarbeitergeld ist damit die Sockelfinanzierung. Wir haben im Fall der Transfergesellschaft Air Berlin (Bodenpersonal) z.B. eine Gesamtkalkulation von knapp über 23 Millionen Euro, da macht das Transfer-Kurzarbeitergeld etwa 7,7 Millionen Euro aus. Die restlichen 15,4 Mio. Euro tragen der Insolvenzverwalter (3,7 Millionen Euro) und der Senat Berlin (11,7 Millionen Euro).

TP: Können Sie zu der Finanzierung des Einkommens für die Mitarbeiter noch etwas sagen?

Backes: Bei uns als Transfergesellschaft bekommt der ehemalige Mitarbeiter von Air Berlin 75 Prozent seines bisherigen Nettogehalts. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie dieses Netto zu berechnen ist. Dabei werden alle sozialversicherungspflichtigen Lohn- und Gehaltsbestandteile, die er im Laufe eines Jahreszeitraums erhalten hat, also auch Weihnachts- und Urlaubsgeld, zusammengezählt, durch zwölf geteilt und auf diese Weise ein Durchschnittsbetrag ermittelt. Das ergibt dann das maßgebliche Bruttogehalt. Das schauen wir uns dann an, vergleichen es mit den Tabellen seiner Lohnsteuerklasse, ermitteln das sich damit ergebende Nettogehalt – und diesen Nettobetrag bekommt er dann von uns. Dieser Betrag setzt sich im Detail aus mehreren Bestandteilen zusammen: Zum einen das erwähnte Transfer-Kurzarbeitergeld in Höhe von 60 bzw. 67 Prozent (gleiche Höhe wie beim Arbeitslosengeld I), zum anderen die Aufstockung dieses Sockelbetrages auf 75 Prozent, inklusive der Sozialversicherungsbeiträge für den Arbeitnehmer und den Arbeitgeber. Daneben gibt es Feiertagslöhne, Urlaubskosten, Beiträge zur Berufsgenossenschaft und die Schwerbehindertenabgabe.

TP: Das abgebende Unternehmen wäre hier ja Air Berlin. Wo hat die Firma das Geld her, wenn sie doch offensichtlich überschuldet sind?

Backes: Die sind zwar überschuldet, aber das fällt aus der Überschuldungsberechnung heraus. Diese Verpflichtung sind sie eingegangen, nachdem sie die so genannte Masseunzulänglichkeit erklärt haben. Mit anderen Worten: Dieses Geld hat der Gläubigerausschuss bewilligt, sonst dürfte das Unternehmen gar keinen Vertrag mit uns abschließen.

TP: Der Chef von Air Berlin soll ja bis zum Jahr 2021 4,1 Millionen Euro erhalten. Wieder auf die Pleite gegangene Air Berlin gefragt: Woher kommt das Geld?

Backes: Dazu kann ich nur sagen, was ich aus der Presse weiß: Dafür steht Etihad ein. Etihad ist nicht überschuldet. Etihad war Gesellschafter bei Air Berlin.

TP: Nochmals zum Unterschied zwischen einer Transfergesellschaft und der Arbeitsagentur: Hätten die freigestellten bzw. gekündigten Mitarbeiter von Air Berlin nicht gleich zur Agentur gehen können, da die Transfergesellschaft im Prinzip auch nicht viel mehr macht – bis auf die etwas höhere Bezahlung?

Backes: Wir machen wesentlich mehr und wir sind erfolgreicher als die Arbeitsagenturen.

TP: Haben Sie mehr Bewegungsfreiheit?

Backes: Vor allem haben wir mehr Intensität der Betreuung und einen breiteren Blick auf Perspektiven. Die Agentur für Arbeit vermittelt in der Regel nach Kriterien wie dem zuletzt ausgeübten oder erlernten Beruf. Wenn ein junger LKW-Fahrer einen Job als LKW-Fahrer sucht, dann braucht er unsere Unterstützung nicht. So funktioniert es bei ca. 80 Prozent des Arbeitsmarktes. Komplizierter wird es aber, wenn Stellen wegfallen, die es so 1:1 nicht mehr auf dem Berliner Arbeitsmarkt gibt, oder Mitarbeiter bisherige Jobs aus anderen Gründen nicht mehr ausüben können. Hier müssen wir uns die wichtige Frage stellen, welche Qualifikationen des Mitarbeiters sind übertragbar in andere Jobs. Das ist eine viel kompliziertere und manchmal sogar heikle Aufgabe.

TP: Also wer vorher LKW gefahren ist, der wäre auch in der Lage, Pizza auszufahren?

Backes: Das ginge in die Richtung, ja, Aber ich gebe Ihnen mal ein Beispiel, das inzwischen häufig zitiert wird, bei dem das Problem besser zum Ausdruck kommt.

Wir hatten eine Großbäckerei mit etwa 30 Beschäftigten im Raum Leipzig. Es gibt aber keinen großen Bedarf an traditionell arbeitenden Bäckern mehr, die werden angesichts von immer mehr Fertigbackautomaten zunehmend weniger nachgefragt. Wir mussten also schauen, was kann ein gelernter Bäcker denn noch machen. Wir konnten schließlich einige der Bäcker in eine Kunstgießerei vermitteln. Warum? Wenn man den Bäcker ganz einfach fragt, was er kann, dann sagt er: Brot backen, Brötchen backen usw.… Wir sagen vor dem Hintergrund unseres konzeptionellen Ansatzes, dass man solche Antworten oft breiter betrachten muss. Im konkreten Fall hieß das: Der Bäcker hat gelernt, unter Hitzebedingungen aus unterschiedlichen Ingredienzien, als Ergebnis physischer und chemischer Prozesse, etwas Neues zu schaffen. Er hat zudem haptische Fähigkeiten, eine gefühlsmäßige Einschätzung, ob der Teig aufgeht oder nicht, und Ähnliches sagt man auch von den Gießern. Wir haben schließlich die Bäcker ein halbes Jahr auf die stofflich anderen Bedingungen geschult und sie dann dorthin vermittelt. Jetzt kommt aber die Schwierigkeit hinzu: Wie bringe ich den Bäckern bei, dass sie zukünftig im Metallbereich arbeiten, und wie bringe ich den Metallgeschäftsführern bei, dass er Bäcker einstellen sollte. Das ist dann unser eigentlicher Job.

TP: Wie sehen denn die Vermittlungserfolge bei ähnlichen Fällen wie der Transfergesellschaft für Air Berlin aus?

Backes: Wir haben zwei Beispiele von Großinsolvenzen: Das eine ist die Drogeriekette Schlecker, wo die Idee einer Transfergesellschaft im Raum stand, aber geplatzt ist, das andere ist die Baumarktkette Max Bahr/Praktiker, hier hat es geklappt mit einer Transferlösung. Bei Schlecker lag schließlich die Vermittlungsquote durch die Kollegen der Agentur für Arbeit nach einem Jahr bei 18 Prozent, bei Max Bahr hatten wir nach einem halben Jahr Transferzeit eine Vermittlungsquote von knapp 70 Prozent. Die Max Bahr-Transfergesellschaft wurde ja auch von ver.di ganz stark unterstützt. Ver.di hat damals zum ersten Mal in der Transfergeschichte befürwortet, dass nicht ein Auftragnehmer allein für den bundesweiten Gesamtauftrag tätig sein soll, sondern mehrere Transfergesellschaften im Rahmen eines Kooperationsmodells. Bei Max Bahr/Praktiker waren wir 6 Transferträger, die den Job bundesweit regional aufgeteilt umgesetzt und gut vernetzt gearbeitet haben.

Das war ein Novum – und nach diesem Muster betreuen wir jetzt mit 3 Transferträgern in einem Konsortium die Mitarbeiter von Air Berlin. Die Bob-Transfer, die in unserem Konsortium ist, betreut vorrangig den Westen, vor allem Düsseldorf. Mypegasus betreut den Süden und unterstützt uns hier in Berlin.

TP: Falls die Mitarbeiter der Transfergesellschaft nicht vermittelt werden können. Wie berechnet sich hinterher das Arbeitslosengeld – nach dem abgesenkten Betrag der 75 Prozent in der Transfergesellschaft oder nach dem alten Gehalt des Mitarbeiters bei Air Berlin?

Backes: Da wird teilweise ganz viel dummes Zeug in der Presse verbreitet. Eindeutig wird es berechnet nach dem sozialversicherungspflichtigen Einkommen, das er zuvor bei Air Berlin verdient hat. Die Monate, die er in der Transfergesellschaft war, werden ihm auf das Arbeitslosengeld nicht angerechnet. Das wird häufig gerade von Rechtsanwälten falsch dargestellt, um Transfergesellschaften madig zu machen. Dieses Recht besteht ganz eindeutig. Umgekehrt verfällt mit dem Eintritt in eine Transfergesellschaft das Recht auf Wiederbeschäftigung beim alten Arbeitgeber, also Kündigungsschutz und Abfindungszahlungen. An Transfergesellschaften verdienen die Rechtsanwälte also nichts, die verdienen nur an Kündigungsschutzklagen.

TP: Im Falle von Air Berlin wäre das auch sinnlos.

Backes: So ist es, man kann keinem nackten Mann in die Tasche greifen. Und eine Weiterbeschäftigung bei Air Berlin zu erreichen, wäre auch nicht möglich. Das Kabinenpersonal bei Air Berlin hatte sich das irgendwie in den Kopf gesetzt, deswegen wurde für diesen Teil der Mitarbeiter auch keine Transfergesellschaft mit den Personalvertretungen verabredet. Das hat nur das so genannte Bodenpersonal gemacht.

TP: Und wenn sich jetzt jemand entscheidet, zukünftig als Frisör oder Pizza-Bäcker zu arbeiten zu wollen und vor Ablauf aus der Gesellschaft ausscheidet?

Backes: Dann freuen wir uns, und der Betreffende erhält von uns eine so genannte Sprinterprämie. Die bemisst sich zum einen an den nicht in Anspruch genommenen vollen Monaten in der Transfergesellschaft, zum anderen an 50% der dadurch eingesparten Aufstockungsbeträge und geleisteten Sozialversicherungsbeiträge, die über den Sockelbetrag des Transfer-Kurzarbeitergeldes hinausgehen. Diese Prämie ist im Falle Air Berlin durch Festlegungen des Insolvenzverwalters aber auf maximal 3.000 Euro gedeckelt.

Siegfried Backes ist Dipl.-Volks-und Betriebswirt

Interview: Dietmar Jochum, TP Presseagentur Berlin

Foto (links): Siegfried Backes

Fotoquellen/Collage: TP Presseagentur Berlin

 

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