Der „alternative Verfassungsschutzbericht“.

Eine Rezension des Grundrechtereports 2018 von Hanna Poddig.

Ich sitze im Zug Richtung Hambacher Forst und stöbere im Grundrechte-Report 2018.

Dieser „alternative Verfassungsschutzbericht“ beinhaltet eine Sammlung von Texten, die sich mit Einschränkungen der Grundrechte in der BRD befassen. Wir sind auf dem Weg zu den Protesten gegen RWE und die Braunkohle im Rheinland. Und ich weiß, dass uns dort ein unfassbar großes Polizeiaufgebot erwartet, um zweihundert Hektar Wald im Auftrag der NRW-Landesregierung und für RWE vor Leuten wie uns zu „schützen“.

Ich bin mir sicher, nächstes Jahr wird sich der ein oder andere Text des jährlich erscheinenden Reports dem Forst widmen. Das ist gut so. Und dennoch weiß ich auch, dass die Qualität des Grundrechtereports gerade darin liegt, neben den großen, medial präsenten Themen auch etwas abseits zu berichten. Genau diese Mischung macht das Taschenbuch so wertvoll.

So widmet sich die aktuelle Ausgabe sowohl den Grundrechtsverletzungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg als auch der „Ehe für alle“. Pflegekinder und Grundrechte in der Pflege finden genauso Platz wie der Tornado-Einsatz beim G8-Gipfel in Heiligendamm, der Verfassungsschutz, kurdische Flaggen, Gesichtserkennungssoftware und Vorratsdatenspeicherung, TTIP und NSU.

Beispielhaft etwas näher eingehen möchte ich auf drei der Texte.

  1. Maria Wersig berichtet über „strafbare Informationen über den Schwangerschaftsabbruch“

Die berühmt gewordene Ärztin Kristina Hänel, die auf ihrer Internetseite Informationen über Schwangerschaftsabbrüche veröffentlichte, wurde wegen eines Verstoßes gegen §219a StGB verurteilt. Das Verbot für ÄrztInnen über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren stellt für Schwangere eine grausame Realität dar. Worauf Maria Wersig in ihrem Text jedoch darüberhinaus eingeht ist die Einschränkung der Berufsfreiheit der jeweiligen ÄrztInnen, die wegen der Strafbarkeit des Hinweises auf ihre Tätigkeit in ihrer Berufsausübung massiv eingeschränkt werden.

  1. Heiner Busch „Polizeiliche Todesschüsse- ein Alltagsproblem“

„Alle fünfeinhalb Wochen kommen Menschen in Deutschland durch Schüsse aus Dienstpistolen ums Leben“, erfahre ich zu Beginn des Textes. Man sollte meinen, eine solche Feststellung müsse, wenn schon nicht zu einem Aufschrei, dann zumindest zu einer größeren Debatte führen. Doch dem ist nicht so und auch ein taz-Artikel von 2017 dazu ist weitgehend wieder in Vergessenheit geraten.

Was Heiner Busch in seinem Text gelingt, ist aufzuzeigen, wie absurd es ist, mehr und schwerere Bewaffnung der Polizei mit Verweis auf vermeintlich ansteigende Gewalt gegen PolizeibeamtInnen durchzudrücken, während gleichzeitig durch Schüsse von überforderten BeamtInnen in beängstigender Regelmäßigkeit Menschen sterben.

  1. Elke Steven „Versammlungsrecht auf abschüssiger Bahn“

Ihre lesenswerte Zusammenfassung der gravierendsten Grundrechtsverletzungen während des G20-Gipfels in Hamburg beginnt Elke Steven mit der Geschichte von Fabio, dem das Hanseatische Oberlandesgericht „schädliche Neigungen“ und „erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel“ attestierte. Treffend benennt Steven, dass an Ausführungen wie diesen deutlich wird, „in welchem Maße das Jugendgerichtsgesetz noch immer nicht entnazifiziert wurde“.

Ihr Text widmet sich sodann einer chronologischen Auflistung der Geschehnisse rund um die Gipfelproteste, thematisiert Gummigeschosse, Reizgas aus Granatwerfern und CS-Gas ebenso wie gezielte Falschmeldungen und Angriffe auf JournalistInnen.

Den Grundrechtereport zeichnet aus, dass in für Nicht-JuristInnen verständlicher Sprache und sehr kompakt über Grundrechtsverletzungen und den Status quo verschiedener Debatten dazu berichtet wird.

Auch wenn ich als Anarchistin nicht daran glaube, dass Gesetze und Regelungen unser Leben verbessern können, ist doch immer wieder spannend, wie mit den Grundrechten umgegangen wird und vor allem wem sie völlig gleichgültig sind. Wie jedes Jahr: Lesenswert.

Rezension aus: Graswurzelrevolution Nr. 433, November 2018, www.graswurzel.net

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