„Gesichert aufs Abstellgleis“.

Frank Schumann würdigt den 1973 verstorbenen SED-Politiker Anton Ackermann in einem Buch.

Von Dietmar Jochum, TP Berlin.

Anton Ackermann, hebt Herausgeber Frank Schumann in seinem zum 100. Geburtstag des 1973 verstorbenen SED-Politikers erschienenen Buch “Anton Ackermann. Der deutsche Weg zum Sozialismus“ hervor, gehörte zu jener Generation deutscher Kommunisten, die ehrlich und reinen Herzens antraten, die Welt zum Besseren zu verändern. Diese Ansicht scheint nicht zu weit hergeholt, glaubte der 1905 im sächsischen Thalheim geborene Ackermann doch allen Ernstes, daß im Unterschied zu Rußland in Deutschland ein friedlicher, demokratischer Weg vom bürgerlichen zum sozialistischen Staat möglich (gewesen) sei. Klartext: Mit dem Stimmzettel statt mit revolutionärer Gewalt zum Sozialismus. Alle Achtung. In einem von ihm formulierten Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 hieß es: “Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland.“ Es sollte vielmehr, so Ackermann, ein anderer Weg beschritten werden, den der Aufrichtung “eines antifaschistischen demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen Rechten und Freiheiten für das Volk“. Hehre Absichten und Ziele eines KPD-Funktionärs, die aber in der realsozialistischen Welt von Moskaus Gnaden und unter den Bedingungen des schon bald einsetzenden Kalten Krieges nicht bzw. nur bedingt realisiert werden konnten. Nach dem jugoslawisch-sowjetischen Konflikt, aus dem Jugoslawien bekanntlich mit einem eigenen Sozialismusmodell hervorging, konnte oder durfte Ackermann seinen Standpunkt nicht mehr aufrechterhalten. Zumal Jugoslawien seine “unabhängige Politik“ durch amerikanische Wirtschaftshilfe, vielfältige und zahlreiche Kontakte zum Westen und Zusammenarbeit mit den blockfreien Staaten (Balkanpakt) nach außen abzusichern suchte. Jeder eigene nationale Weg zum Sozialismus war damit verfemt. Von da an hieß es nun, „mit aller Kraft darangehen, die SED zu einer Partei neuen Typus zu machen“. Also auf gar keinen Fall mehr mit Moskau anecken.

Keine Alleingänge ohne den Großen Bruder. In Anbetracht des immensen Blutzolls, den die UdSSR und ihre Rote Armee bei der Niederschlagung des Faschismus, dem auch viele deutsche Kommunisten und Sozialisten zum Opfer fielen, bezahlt hatten, ein durchaus vertretbarer Standpunkt der Dankbarkeit und Zuversicht in der damaligen Zeit. Schließlich war es auch gerade diese UdSSR, die damals eine militärische Garantie dafür bieten konnte, daß der einmal eingeschlagene sozialistische Weg auch Bestand haben könnte. Mit einem eigenen nationalen Sozialismus hätte man da schon ins Hintertreffen geraten können, wenn man sich nicht gleich dem Westen ausliefern wollte. Obwohl sein Modell vom besonderen deutschen Weg zum Sozialismus von weiten Teilen der Partei (KPD und dann SED) mitgetragen wurde, übernahm Ackermann nach dem “Jugoslawien-Desaster“ so etwas wie eine Sündenbockrolle. Er trat die Flucht nach vorne an und übte massive Selbstkritik. Schließlich ist diese Idee von ihm konzipiert worden – aus welchen Gründen auch immer.

So war jetzt die These vom friedlichen (deutschen) Weg zum Sozialismus auf einmal nicht mehr die “bequemste, kürzeste und humanste“ Alternative zum “bürgerlich-reaktionären Klassenstaat“, sondern nur noch “ein Zurückweichen vor den antisowjetischen Stimmungen, vor der antisowjetischen Hetze, ein Zurückweichen im Sinne der Abgrenzung von dem Weg der bolschewistischen Partei“. Die Praxis habe bewiesen, geißelte Ackermann nunmehr seine bisherigen Überzeugungen, “daß die These von einem besonderen deutschen Weg zum Sozialismus tatsächlich eine solche falsche und schädliche Theorie ist“. Und: “Insbesondere hat doch die Entartung der Führergruppe der KP Jugoslawiens gezeigt, daß es sich tatsächlich bei der Theorie von besonderen nationalen Wegen zum Sozialismus um eine sehr gefährliche, sehr schwere Abweichung vom Marxismus-Leninismus handelt.“ Das verstehe einer. Hatte er sich doch auf Lenin sogar berufen können, der nationale eigene Wege keinesfalls für schädlich hielt. Meinte Ackermann also ernst, was er nun sagte? Nicht vorstellbar, aber dann irgendwo doch. Da er seinen Weg von einem “besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“ im Vorfeld der Parteivereinigung von KPD und SPD konzipierte, ist ihm später ohnehin unterstellt worden, hinter seiner These habe politisches Kalkül gesteckt: Er habe damit nur den Schreiern, die (deutschen) Kommunisten seien Moskaus Knechte, den Wind aus den Segeln nehmen wollen. Auf diese Weise sollten mutmaßlich die Vorbehalte in der SPD gegenüber einer Vereinigung mit der KPD zur SED im April 1946 lediglich abgebaut werden. Es wird wohl nur noch sehr schwer zu eruieren sein, welche Motivation und Zielsetzung tatsächlich hinter Ackermanns Thesen standen, soll es doch bei der Vereinigung von SPD und KPD angeblich auch nicht ohne Druck abgegangen sein. Nach Gründung der DDR im Jahre 1949 wurde Ackermann trotz seiner Selbstkritik als Staatssekretär ins Außenministerium quasi abgeschoben. Offenbar brauchte man einen Sündenbock wie 40 Jahre später im Falle von Politbüromitglied Herbert Häber. Der landete gleich in der Psychiatrie. Im Außenministerium baute Ackermann immerhin den Auslandsnachrichtendienst der DDR auf, den er 1952 jedoch “aus gesundheitlichen Gründen“ an Markus Wolf übergab oder übergeben mußte. Dieser führte ihn bis 1986 als HVA (Hauptverwaltung Aufklärung) weiter und schied dann seinerseits “auf eigenen Wunsch“ aus. Werner Großmann übernahm den Dienst dann bis zum Ende der SED-Herrschaft in der DDR. Aufgrund einer angeblichen Beteiligung an einer “parteifeindlichen fraktionellen Tätigkeit“ mit dem damaligen Staatssicherheitsminister Wilhelm Zaisser und dem Chefredakteur des Zentralorgans der SED, Neues Deutschland, Rudolf Herrnstadt, verlor Ackermann im Jahre 1953 alle politischen Ämter. Obwohl er ca. 5 Jahre später politisch rehabilitiert wurde, blieb er jedoch selbst z.B. als Journalist (eine persona) non grata, weil, so Schumann, “sein Name für viele immer noch mit der inzwischen fallengelassenen These vom deutschen Weg zum Sozialismus verbunden war“.

Seine damaligen Beifallsklatscher wollten offenbar nichts mehr von ihrer Zustimmung wissen. Als Ackermann im Jahre 1972 seinen berechtigten Unmut über seine “journalistische Kaltstellung“ Erich Honecker vortrug, habe der ihm sofort den Wind aus den Segeln genommen: “Genosse Ackermann, gibt es bei uns ein Gesetz, das dir verbietet, für Zeitungen und Zeitschriften zu schreiben?“ Natürlich, das wußte Ackermann selbst, gab es ein solches Gesetz nicht, aber was wollte das schon heißen, wenn genügend andere Gründe vorgeschoben werden konnten, einen unbequemen oder unliebsamen (Zeit-) Genossen die Veröffentlichung seiner individuellen Gedanken vorzuenthalten? Zwar durfte Ackermann dann doch einen Artikel veröffentlichen, in dem er sich am Ende durch gezielte redaktionelle Bearbeitung aber nur noch mit ca. 5 Prozent seiner Gedanken wiederfand.

Ackermann hätte es eigentlich besser wissen müssen, wie solche Angelegenheiten in der DDR geregelt wurden und wie die Politik gezielt auf Publikationen Einfluß ausübte. Als im November 1960 die Kommission für Fragen der Kultur beim Politbüro tagte, in der es u. a. auch um eine Stellungnahme zur Veröffentlichung des Buches von Stefan Heym “Fünf Tage im Juni“ ging, meldete sich auch Anton Ackermann zu Wort. Er sagte u.a.: “Ich kenne das Buch nicht, aber was hier darüber gesagt wurde, ich glaube, das reicht aus, um sich eine Meinung darüber zu bilden, auch wenn man das Buch nicht gelesen hat.“ So einfach war das für ihn. Es verstand sich von selbst, daß Stefan Heym keine Chance hatte, das Buch in der DDR zu veröffentlichen. Es erschien 1974 in der Bundesrepublik, erst 1990, kurz vor dem Ende der DDR, konnte es dann auch dort publiziert werden.

Frank Schumann, der den Lebensweg Anton Ackermanns, der eigentlich Eugen Hanisch hieß, insbesondere durch dessen Selbstzeugnisse und Zeugnisse Dritter nachzeichnet (wozu u.a. Markus Wolf gehört), würdigt einen Politiker, der während des Zweiten Weltkrieges in KPD-Führungsposition (zusammen mit Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht) u.a. in Moskau an der Planung für ein antifaschistisches und sozialistisches Deutschland beteiligt war und maßgeblichen Anteil an der Gründung der SED hatte.

Schumann macht einen im Konflikt zwischen eigenen Ansprüchen und sowjetisch oktroyierter oder beeinflußter Realpolitik aufgeriebenen Idealisten deutlich, der schließlich neben seiner eigenen Inkonsequenz auch an der Unaufrichtigkeit und Heuchelei maßgeblicher Politiker in der DDR scheiterte. Und andere – z. B. Stefan Heym – bedingt scheitern ließ. Schwer krebskrank erschoß sich Anton Ackermann im Mai 1973 in einem (Ost) Berliner Krankenhaus.

Schumann ist ein beachtliches geschichtliches Zeitdokument und ein biographisches Werk über das Leben eines Individualisten in einem politischen System gelungen, in dem mitunter schon lautes (Quer-) Denken einen gesicherten Platz auf einem Abstellgleis bedeuten konnte. Ackermann ist ein tragisches, mitunter auch typisches Beispiel dafür.

Frank Schumann (Hrsg.): Anton Ackermann. Der deutsche Weg zum Sozialismus. Selbstzeugnisse und Dokumente eines Patrioten. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2005, 288 Seiten, 19,90 Euro

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