Eine kleine Dosis Hitler-Syndrom.

Der Politikwissenschaftler Eric Frey über Wege des Umgangs mit dem Bösen in der Weltpolitik.

Von Dietmar Jochum, TP Berlin.

Die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, konstatiert der Politikwissenschaftler Eric Frey, prägen bis heute nicht nur unzählige Familiengeschichten, sondern auch das Denken über die Politik.
In seinem neuen Buch “Das Hitler-Syndrom. Über Wege des Umgangs mit dem Bösen in der Weltpolitik“ setzt er sich mit der Frage auseinander, wie sich Demokratien einerseits gegen ihre Feinde wehren können, ohne in unnötige Kriege zu schlittern, und ob andererseits Krieg wirklich immer vermieden werden kann, wie in Europa und vor allem in Deutschland gedacht werde.
Weil die Appeasement-Politik des Jahres 1938 gegenüber Hitler in die Katastrophe führte, werde das Denken und Handeln gegenüber Aggressoren von einem anderen, gegenläufigen Syndrom geprägt – dem Hitler-Syndrom. Dahinter stecke die Tendenz, in jedem außenpolitischen Gegner einen neuen Hitler zu sehen, der militärisch bekämpft werden müsse, weil er sonst noch stärker und gefährlicher werden würde — auch wenn dieser mit dem nationalsozialistischen Diktator wenig gemein habe und in der fraglichen Situation Verhandlungen grundsätzlich möglich und sinnvoll wären.

Während in Europa überwiegend eine Appeasement-Mentalität vorherrsche, seien die USA vorwiegend dem Hitler-Syndrom verhaftet. Das erklärten ihre häufig fragwürdigen und zuweilen unverständlichen außenpolitischen Entscheidungen vom Vietnamkrieg bis zum Angriff auf den Irak durch die Regierung von George W. Bush.

Anhand von Bildern aus der Tierwelt versucht Frey, der sowohl eine Positionsbeziehung auf Appeasement als auch auf das Hitler-Syndrom als pauschale Konzepte ablehnt, den richtigen Umgang mit weltpolitischen Bedrohungen zu verdeutlichen. So könne ein Gegner etwa ein Raubtier sein (wozu er u.a. Saddam Hussein zählt), das alles verschlingen will und durch Füttern nur noch mehr Appetit bekommt, oder ein Bienenschwarm, mit dem man in Frieden und zum gegenseitigen Nutzen zusammenleben kann, solange man ihn nicht durch aggressives Verhalten aufschreckt. Als Beispiel nennt Frey hier die IRA in Nordirland.
Die entscheidende Frage für den richtigen Umgang mit weltpolitischen Bedrohungen sei daher: Raubtier oder Bienenschwarm. Ein Bienenschwarm habe legitime Sicherheitsinteressen, auf die man eingehen müsse. Bei einem Raubtier wäre das nicht nur sinnlos, sondern auch gefährlich. Frey unterscheidet aber auch zwischen verängstigten Raubtieren, die durchaus einem Appeasement zugänglich sind (wie z.B. in bestimmten Situationen Stalin), und räuberischen Bienen (wie z.B. Al Qaida), denen die Reaktion der USA auf die Terroranschläge des 11. September 2001 nur zu neuem Zulauf verhalf.

Demokratische Staaten hätten, so Frey, prinzipiell drei Möglichkeiten im Umgang mit Gegnern, die sie bedrohen: Sie könnten angreifen, abschrecken oder mit ihnen verhandeln. Welcher Weg der jeweils richtige sei, hänge davon ab, welches Biest vor einem stehe, bevor man entscheidet, was man tut. So müsse man etwa den Charakter und die Beweggründe eines verfeindeten Diktators, aber auch die Natur und innere Dynamik eines gegnerischen Regimes oder die Ideologie einer gewalttätigen Bewegung verstehen, bevor man die passende Gegenstrategie entwickelt. Vorschnell Lehren aus der Geschichte zu ziehen, hält Frey für katastrophal. Krieg oder Frieden, militärisches Handeln oder Diplomatie seien Fragen der Umstände, nicht des Charakters. So habe der nordirische Polizeioffizier, der 1969 auf katholische Demonstranten schießen ließ, seinem Land nur Unglück gebracht. Auch im Vietnamkrieg sei eine Gefahr bekämpft worden, die es nicht gab; im Jugoslawienkrieg sei dagegen die Bedrohung, die von Milosevic‘ Regime ausging, unterschätzt worden. Hier hätte, meint Frey, den europäischen Politikern eine kleine Dosis des Hitler-Syndroms sicherlich gut getan. Auch wenn Frey, der für eine “wehrhafte Diplomatie“ und einen “energischen Multilateralismus“ plädiert, “die amerikanische Politik als die mächtigste Verteidigungslinie gegen die Barbarei“ versteht, gibt er aber auch zu bedenken, ob nicht gerade das Bestreben der USA, ihr politisches System und ihre Werte auch Ländern mit ganz anderen Traditionen aufzuzwingen, die derzeit größte Gefahr für den Weltfrieden sei.

Auch wenn man die Bilder aus der Tierwelt von Eric Frey nicht eins zu eins auf politische Situationen wird übertragen können, hat er dennoch ein hochinteressantes und spannendes Buch geschrieben, das vor allem solche Politiker lesen sollten, denen die Hand vorschnell an militärischen Schalthebeln juckt. Denkanstöße für besonneneres Handeln vermittelt das Buch allemal, was eigentlich oberste Richtschnur sein sollte, wenn es um Krieg oder Frieden geht.

Bereits in seinem Buch “Schwarzbuch USA“ stellte Frey unmißverständlich klar, daß der “aufgrund falscher und gefälschter Beweise entfesselte Krieg gegen den Irak, eine scheinheilige Haltung in Menschenrechtsfragen, Geiz bei der Entwicklungshilfe oder der rücksichtslose Umgang mit der Umwelt durch ungezügelten Energieverbrauch“ dem Anspruch, für eine bessere Welt zu sorgen, diametral entgegenstünden. Obwohl in den letzten Jahren zahlreiche Fehlurteile entdeckt wurden und eine abschreckende Wirkung nicht nachweisbar sei, hielten amerikanische Regierungen immer noch an der Todesstrafe fest. Sogar jugendliche Straftäter könnten in den USA zum Tode verurteilt werden. Frey hält nicht nur nicht mit Kritik zurück, er prangert unverblümt eine Weltmacht an, von der er überzeugt ist, daß sie “auf einem falschen und gefährlichen Weg (ist), auf dem sie ihre eigenen Ideale immer mehr verrät“.

Eric Frey: Das Hitler-Syndrom. Über den Umgang mit dem Bösen in der Weltpolitik. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2005, 240 Seiten, 19,90 Euro.

Eric Frey: Schwarzbuch USA. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004, 496 Seiten, 24,90 Euro.

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