Mindestlohn und Rentenversicherung.

Eine Gefangenengewerkschaft macht mobil.

Von Dietmar Jochum, TP Berlin.

Im Mai 2014 wurde in der JVA Berlin-Tegel von den Inhaftierten Oliver Rast und Mehmet-Sadik Aykol die Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) gegründet.

Neben einem Mindestlohn für Gefangenenarbeit fordert die GG/BO nichts weiter als eine seit 40 Jahren im StVollzG vorgesehene, jedoch bis heute nicht umgesetzte Einbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung – neben der bereits bestehenden Einbeziehung der Gefangenen in die Arbeitslosen- und Unfallversicherung.

Auch die Abschaffung der Pflichtarbeit und Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern, stehen im Fokus der gewerkschaftlichen Forderungen der GG/BO.

Der Berliner Justizsenator, Thomas Heilmann, bezeichnete die Forderungen der GG/BO spontan als „sozialpolitischen Nonsens“. Auch viele andere JustizpolitikerInnen distanzierten sich von den Forderungen der GG/BO und versuchen mit den Kosten, die der Staat pro Tag, Monat und Jahr für Gefängnisse und Gefangene aufwenden müsste, eine Art Gegenrechnung aufzumachen.
„Jeder Gefangene kostet jeden Tag 120 Euro, und wenn er acht Stunden arbeitet, dann sind das 15 Euro Kosten, die der Staat aufwendet für diesen Häftling. Und die Produktivität steht in so gut wie keinem Fall dafür“, gab Heilmann kürzlich in einem Radiobeitrag kund.
„Ziel der Arbeit in Haft ist es, die Gefangenen zu befähigen, nach ihrer Entlassung auf dem Arbeitsmarkt ’ne Chance zu haben und ihr Leben legal zu finanzieren, was ja mit dem Vollzugsziel korreliert, dass wir die Gefangenen befähigen sollen, nach der Entlassung ein Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung zu führen, und dazu gehört nun mal auch der Faktor Arbeit“, erklärte Lars Hoffmann, Leiter des Bereichs Beschäftigung und Qualifizierung in der JVA Tegel, ganz im Sinne seines obersten Dienstherrn in demselben Radiobeitrag.
Dagegen kritisierte der emeritierte Bremer Professor für Kriminalwissenschaft, Johannes Feest, „dass noch nicht mal der Grundsatz akzeptiert werde, dass auch Gefangene vernünftig bezahlt werden müssen und dass inzwischen der Maßstab der vernünftigen Bezahlung irgendwie beim Mindestlohn anfängt“.
Brandenburgs Justizminister, Helmuth Markov, hat eine liberalere Auffassung als seine Amtskollegen und meint, der Mindestlohn könne zu einer besseren Resozialisierung beitragen. Der Minister nennt jedoch Bedingungen: Wer Mindestlohn bezieht, muss Sozialversicherungsbeiträge und Steuern zahlen, aber auch zur Opferentschädigung beitragen und sich an den Haftkosten beteiligen.
Dieser Auffassung ist auch Oliver Rast und die GG/BO nicht abgeneigt:
„Für uns ist der entscheidende Punkt, aus dieser Entmündigungsfalle herauszukommen, eine Eigenständigkeit an den Tag legen zu können, und dazu zählt dann unter anderem auch, den ‚eigenen‘ Wohnraum auch finanziell bestreiten zu können.“
Während in Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen die Arbeitspflicht bereits abgeschafft ist, wird sie in den restlichen Bundesländern noch aufrechterhalten.
Mecklenburg-Vorpommerns Justizministerin, Uta-Maria Kuder, sieht immerhin in der Rentenfrage Handlungsbedarf: Rente sei ein wichtiger Beitrag zur Resozialisierung, sagt Uta-Maria Kuder, und brachte das seit 1977 schwelende Thema somit wieder in die administrative öffentliche Diskussion: Auf Antrag der Ministerin befasste sich dann auch die Justizministerkonferenz mit der Rentenfrage. Obwohl im Spätherbst erste Ergebnisse vorliegen sollten, wurde das Thema zum Bedauern der GG/BO wieder aufgeschoben. Für die GG/BO ist jedes Jahr ohne Rentenbeiträge für die Gefangenen als ein weiterer Schritt in die Altersarmut zu sehen.
In 70 bundesdeutschen Gefängnissen hat die GG/BO zwischenzeitlich etwa 900 Mitglieder für sich werben können. Von Anfang an wurde die GG/BO von den Justizanstalten allerdings boykottiert und in ihrer Ausweitung massiv behindert. So wurden in etlichen Fällen die von der GG/BO an die jeweiligen GG/BO-Sprecher zugesandten Mitgliedsanträge in den Anstalten aus vermeintlichen Gründen der Sicherheit und Ordnung beschlagnahmt und zu deren Habe genommen. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung eines Gefangenen in Willich bei der zuständigen Strafvollstreckungskammer in Krefeld (22 StVK 439/14 LG Krefeld) wurde zunächst abschlägig beschieden. In ihrer Begründung gab die Strafvollstreckungskammer an, dass es sich bei der GG/BO nicht um eine kollektive Mitverantwortung der Gefangenen i.S.d. § 160 StVollzG handele, welcher jedoch als Norm eine abschließende Regelung zu der Interessenbeteiligung von Gefangenen am Vollzugsprozess darstelle. Jede anderweitige organisierte Mitbestimmung von Gefangenen – wie etwa der GG/BO – sei daher mit der gesetzlichen Konzeption der Gefangenenmitverantwortung nicht vereinbar. Eine rechtlich eigenständige Vertretung der Gefangenen sei vom Gesetzgeber gerade nicht gewollt gewesen, weil sie nicht nur dem therapeutischen Zweck der gesetzlich intendierten Gefangenenmitverantwortung widersprechen und die der Vollzugsbehörde zugewiesene Verantwortung aushöhlen würde, sondern auch ein unkontrolliertes Einfalltor für unerwünschte subkulturelle Abhängigkeits- und Einflussstrukturen im (Straf-)Vollzug eröffnen würde. § 160 StVollzG schränke daher auch das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 GG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise ein. Die Mitgliedsanträge der GG/BO stellten zudem eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt dar.
Dieser äußerst fragwürdigen Entscheidung der StVK Krefeld setzte das OLG Hamm mit seiner Entscheidung vom 2. Juni 2015 – III – 1 Vollz (Ws) 180/15 OLG Hamm -einen eindeutigen Riegel vor.
Dass die Gefangenen ohnehin kein Recht zur Organisation in einer Gefangenengewerkschaft hätten, bezeichnete das OLG Hamm als nicht zutreffend: „Die Grundrechte der Vereinigungs- bzw. Koalitionsfreiheit sind – von Art. 9 Abs. 2 GG abgesehen – vorbehaltlos gewährleistet und gelten auch im Bereich des Strafvollzuges.“ Vom Schutzbereich dieser Grundrechte sei auch die Mitgliederwerbung umfasst.

Das Kammergericht (KG) in Berlin (2 Ws 132/15 Vollz) sprach der GG/BO wiederum die Vereinigungs- bzw. Koalitionsfreiheit nach dem Grundgesetz ab und bestätigte eine entsprechende Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin.
Im Leitsatz stellte das KG fest:
„Das Arbeitsverhältnis zwischen Gefangenen und der Anstalt ist öffentlich-rechtlicher Natur.

Das Recht der Vollzugsbehörde, die Arbeit von Gefangenen auszugestalten (Direktionsrecht), folgt aus §§ 37, 41 Abs. 2 Satz 2 StVollzG.

Gefangene im geschlossenen Vollzug sind keine Arbeitnehmer im Sinne des § 5 ArbGG; ihnen steht insoweit das Recht auf Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) nicht zu.“
Das KG im Tenor:
„Die Rechtsbeschwerde der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 28. April 2015 wird verworfen.“
Die GG/BO legte gegen diese fragwürdige Entscheidung Verfassungsbeschwerde ein. Eine Entscheidung der Karlsruher Richter steht noch aus.
Da gemeinschaftliche Arbeitsverweigerung in Haft als Meuterei begriffen wird, entschieden sich einige Insassen der JVA Butzbach im November letzten Jahres zu einem Hungerstreik. Sie verweigerten für einige Tage das Anstaltsessen, um ihre Forderungen nach Mindestlohn, Rentenversicherung und Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern zu untermauern. Wissenschaftler, einige Politiker und sogar Gewerkschaftler erklärten sich solidarisch – oder zeigten Verständnis für die Forderungen der Häftlinge.
Am 25. Mai 2016 befasst sich die Links-Fraktion im Potsdamer Landtag mit den Forderungen der Gefangenengewerkschaft.

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