Was geschah wirklich in der „Colonia Dignidad“ in Chile?

Vor einer Woche „Die Story im Ersten“. Es ging um die ehemalige so genannte Sektensiedlung „Colonia Dignidad“ in Chile, die auch Diktator Pinochet als Folterlager gedient haben soll. Einst von dem Deutschen Paul Schäfer gegründet, sollen dort auch jahrzehntelang Kinder sexuell missbraucht und gefoltert worden sein. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sprach im Frühjahr dieses Jahres davon, dass die Deutsche Botschaft in Chile „bestenfalls wegeschaut“ habe, was die Zustände dort betraf. Der Lagerarzt und Stellvertreter des 2010 verstorbenen Paul Schäfer, Hartmut Hopp, wurde 2011 in Chile zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, konnte jedoch vor der Vollstreckung nach Deutschland fliehen. Er soll ebenfalls an sexuellem Missbrauch von Kindern in der „Colonia Dignidad“ beteiligt gewesen sein. Chile betreibt die Auslieferung , steht jedoch vor dem Problem, dass ein Deutscher nach dem Grundgesetz nicht an das Ausland ausgeliefert werden darf. Das Verfahren wird derzeit von den Justizbehörden in Krefeld betrieben und kann sich noch Jahre hinziehen. Hartmut Hopp befindet sich auf freiem Fuß und wird von dem Strafverteidiger Helfried Roubicek aus Börgerende an der Ostsee vertreten.

Da Hopp sich von dem ARD-Team, das ihn auf Schritt und Schritt verfolgte, nicht interviewen ließ, wandte dieses sich an Roubicek. Roubicek verwies das ARD-Team seinerseits an die TP Presseagentur Berlin. Wir hatten am 18. Juni dieses Jahres einen Beitrag veröffentlicht, in dem Hopp sich erstmals zu den ihm gemachten Vorwürfen äußerte. Darin heißt es u.a.:

„Geboren bin ich im Jahr 1944 als zweites Kind eines deutschen Soldaten (geboren 1918 in Samara/Russland, gefallen 1944 in Italien) und der Gertrud Helene Miottel, geboren 1922 in Pommern, seit 1962 wohnhaft in Villa Baviera / Südchile. Dorthin wanderte meine Mutter mit ihrem 2. Ehemann, Joseph Schmidtke, und ihren neun Kindern aus.

Ende 1956 wurde ich wegen Eingliederungsschwierigkeiten im eigenen neuen Zuhause in das seinerzeit im Aufbau befindliche Jugendheim bei Siegburg / NRW aufgenommen – wusste jedoch bald, dass im Vergleich zu anderen jugendlichen Mitgliedern des Heimes zwischen dem Leiter Paul Schäfer und mir kein Vertrauen bestand, was sich auch später in Chile nicht änderte. Im Alter von 24 Jahren erhielt ich – auf Druck des damaligen Präsidenten der Colonia Dignidad (kurz: CD), Hermann Schmidt († 1996) – die Sondererlaubnis, im Ausland zu studieren. Nach Abschluss des 4. Semesters an der University California Davis / USA kehrte ich als Student zurück, um in Chile das Medizinstudium weiterzuführen, das ich 1978 an der Universidad Católica de Chile abschloss.

Fortan half ich als Arzt mit Hilfe befreundeter Fachärzte das 1978 bereits seit 10 Jahren bestehende Krankenhaus der CD zu einem multidisziplinären Zentrum auszubauen, in dem über 25.000 Patienten aus jener Region in Südchile – so groß wie in etwa das Saarland – kostenlos medizinisch behandelt wurden. Auch Operationen wurden durchgeführt. Ende der 80er Jahre begann der Kampf um die Rettung des Krankenhauses: Aufgrund absehbaren Schwierigkeiten für die CD als juristischer Person, warb ich in den folgenden vier Jahren in Medien und Fachgremien um Unterstützung für das Weiterbestehen des Krankenhauses. Trotz vielseitigen Zuspruchs und Hilfestellung, kam es Ende 1994 zum Entzug der juristischen Person der CD und mithin der Schließung des Krankenhauses. Dank der Initiative lokaler Nachbarschaftsvereinigungen konnte jedoch ein Jahr später die erhoffte Neueröffnung realisiert und sodann noch jahrelang Tausende Patienten – dann jedoch überwiegend ambulant – betreut werden.

Meine in den genannten Jahren realisierte Arbeit in der Öffentlichkeit hatte nichts mit Unterstützung für Paul Schäfer als dem alleinherrschenden Leiter der CD zu tun, sondern war einzig und allein auf das Fortbestehen des Krankenhauses ausgerichtet. Seit Ende der 80er Jahre bis 1998 hatte ich mich neben der ärztlichen Tätigkeit voll und ganz diesen erwähnten Aufgaben gewidmet. Fälschlicherweise wurde – und wird – mir dieses Engagement als das eines offiziellen Vertreters der CD interpretiert. Das traf zu keinem Zeitpunkt zu!

Als seit den Jahren 1996/97 die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Paul Schäfer begannen, war ich absolut überzeugt, dass sie sich sehr schnell als unbegründet herausstellen würden. Jedoch, das Gegenteil war zu meinem Schrecken und Verwunderung vieler Menschen in der CD der Fall. Paul Schäfer tauchte unter und überließ die CD ihrem Schicksal. In den folgenden Jahren konnte ich am eigenen Leibe erfahren, was es heißt, Opfer von Ermittlungen und Verhaftungen seitens der Justiz in Chile zu werden, bei denen ein „Sonderrichter“ auch die Funktion des Staatsanwaltes, des Anklägers und auch des später urteilenden Richters wahrnahm.

Mitte 2002, in einem Gespräch mit den Eltern der in der CD aufgewachsenen Kinder, berichtete man mir von schockierenden Enthüllungen, die ihnen ihre eigenen Kinder über die von Paul Schäfer über Jahre erlebten sexuellen Misshandlungen gemacht hatten. Es ist mir noch heute unbeschreiblich, wie tief mich diese Wahrheit aufgewühlt hat. Ich bin entsetzt über das Geschilderte und distanziere mich von jeglichen Handlungen, die hiermit in Verbindung stehen, da ich als ehemaliger Klinikchef im Zuge der Aufarbeitung der Geschehnisse automatisch in den Strudel der Beschuldigten geraten war. Ich erkläre an dieser Stelle: Ich habe solche Straftaten nicht vollbracht, habe an solchen weder direkt oder indirekt mitgewirkt noch als Leiter eines Krankenhauses für 25.000 Menschen irgendein Detailwissen zu solchen Vorfällen gehabt, um hierauf in angemessener Weise als Arzt rettend und abwehrend reagieren zu können. Ich übernehme mithin auch keinerlei Verantwortung für Tatfolgen Dritter, auch zu keiner der sonstigen mir gemachten Vorwürfe!

Trotz der Anklage in Chile, die der genannte Richter gegen mich betrieb, glaubte ich jedoch stets meinen Anwälten in Chile, dass ich – da nichts verschuldet – auch nichts zu befürchten habe. Doch dem Richter gelang es, u. a. aus der von den Medien bewerkstelligten angeblichen „Führungsrolle“ in der CD Verantwortung meinerseits auch für die von Paul Schäfer begangenen Verbrechen abzuleiten, auf Grund derer er mich zu einer Gefängnisstrafe verurteilte. Auch an den mir nun in Deutschland seit 2011 gemachten vielfältigen Vorwürfe angeblicher strafbarer Handlungen, die alle die viele Jahre zurückliegenden Zeiten in Chile betreffen, ist tatsächlich nichts dran!

Ich lebe nun in Krefeld. Bevor das Urteil in Chile rechtskräftig wurde, beschloss ich, nach über 50 Jahren wieder nach Deutschland zurückzukehren, auch, um hier berechtigten Schutz und Rechtsstaatlichkeit sowie Gerechtigkeit zu erlangen. Ich habe große Hoffnung, dass die deutsche Justiz die Fakten zutreffend sieht und auch das aktuelle Vollstreckungshilfeverfahren, das vom Staat Chile vor über 2 Jahren initiiert wurde und beim Landgericht Krefeld momentan anhängig ist, zurückweist. Mit meinem seit Jahren für mich in Deutschland als Strafverteidiger tätigen Anwalt Helfried Roubicek, der mein volles Vertrauen hat, haben wir auch in diesem Exequaturverfahren in den zurückliegenden rund 2 Jahren bereits umfangreich erste Verteidigungsvorbringen vorgebracht. Sicherlich werden wir dort auch noch Weiteres vortragen müssen.“

„Ich habe solche Straftaten nicht vollbracht“.

Wie es auf Anfrage der TP-Presseagentur aus dem Auswärtigen Amt bereits im Juni hieß, liege die Angelegenheit „nun in den Händen der deutschen Justiz“. „Wir begrüßen es“, so das Auswärtige Amt weiter, „dass die Staatsanwaltschaft nun einen Antrag auf Vollstreckung eines chilenischen Urteils gegen den ehemaligen Arzt der Colonia Dignidad, Hartmut Hopp, an das zuständige Gericht weitergeleitet hat“.

Anlässlich einer Veranstaltung zu der so genannten Sekten-Siedlung Colonia Dignidad am 26. April 2016 im Weltsaal des Auswärtigen Amtes erklärte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier u.a.: „Nein, der Umgang mit der Colonia Dignidad ist kein Ruhmesblatt, auch nicht in der Geschichte des Auswärtigen Amtes. Über viele Jahre hinweg, von den sechziger bis in die achtziger Jahre haben deutsche Diplomaten bestenfalls weggeschaut – jedenfalls eindeutig zu wenig für den Schutz ihrer Landsleute in dieser Kolonie getan. Auch später – als die Colonia Dignidad aufgelöst war und die Menschen den täglichen Quälereien nicht mehr ausgesetzt waren – hat das Amt die notwendige Entschlossenheit und Transparenz vermissen lassen, seine Verantwortung zu identifizieren und daraus Lehren zu ziehen.“

Wie das Verfahren in Krefeld enden wird, ist derzeit nicht absehbar.

Dietmar Jochum, TP Presseagentur Berlin

7 Antworten

  1. Der „überraschende“ Beitrag der tp-Presseagentur findet ex nunc die Zustimmung meines Mandanten. Er hat in den letzten über 5 Jahren in der Öffentlichkeit praktisch nur extrem spärlich über sich und seine Zeit in der Colonia Dignidad Auskunft erteilt. Die tp-Presseagentur war die einzige Medienstelle, der er sich gegenüber am 18.06.2016 kurz äußerte. Zum aktuellen Beitrag vom 21.11.2016 sind aber 2 Korrekturen notwendig: Zum Satz im 1. Absatz „Der Lagerarzt und Stellvertreter des 2010 verstorbenen Paul Schäfer, Hartmut Hopp …“ ist zwingend anzumerken, dass er nicht ein „Lagerarzt“ war, sondern schlichtweg einer der Ärzte der Siedlung Colonia Dignidad im Süden Chiles und langjähriger Leiter des Krankenhauses. Völlig falsch ist – so hat es mir mein Mandant nun noch einmal nachvollziehbar erläutert – dass er der Stellvertreter war. Für ihn gebe ich daher seinen Kommentar dazu wie folgt bekannt: „Die mir immer wieder von Seiten der Medien angedichtete Rolle des Stellvertreters von Schäfer entspricht in keiner Weise der Realität, da mir Schäfer NIE irgendwelche Befugnisse in diesem Sinne erteilt hat noch von Seiten der Bewohner der CD solche zuerkannt worden wären, wie sich auch bis zum heutigen Tage durch Zeugenaussagen beweisen lässt.“ Richtig ist, dass weder ich als Strafverteidiger von Hartmut Hopp dem ARD-Team noch er selbst für ein Interview zur Verfügung standen. RA & Fachanwalt für Strafrecht Helfried Roubicek, http://www.strafverteidiger-ostsee.de

  2. Sehr geehrte Redaktion,

    ich möchte Sie auf einen Artikel vom 31.12.2016
    „Drei Deutsche in Chile wegen Mitschuld an Foltersiedlung Colonia Dignidad verurteilt“

    Von
    Harald Neuber für amerika21

    hinweisen:

    „Santiago de Chile.
    In Chile hat der Oberste Gerichtshof fünf Personen wegen ihrer Führungsrolle in der deutschen Foltersiedlung Colonia Dignidad in letzter Instanz verurteilt. Die Männer – drei deutsche Staatsbürger und zwei Chilenen – wurden der Bildung einer kriminellen Vereinigung für schuldig befunden. Die Richter erhöhten das zuvor von einem Berufungsgericht festgelegte Strafmaß für Kurt Schnellenkamp, Gerhard Mücke und Karl van den Berg um je ein Jahr auf nun fünf Jahre und einen Tag Haft. Ebenso entschied das Gericht in den Fällen von zwei ehemaligen Agenten des chilenischen Geheimdienstes DINA, Fernando Gómez und Pedro Espinoza. Vier Beschuldigte wurden freigesprochen. Das Urteil erfolgte siebzehn Jahre nach dem Einreichen einer Strafanzeige wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, es kann nicht angefochten werden.

    Nach Einschätzung des in Berlin ansässigen Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile Lateinamerika (FDCL) wird Karl van den Berg – ehemaliges Führungsmitglied der Colonia Dignidad und holländischer Staatsbürger – seine Haftstrafe im Gefängnis von Cauquenes antreten müssen. Dort befinden sich die mit ihm verurteilten Straftäter Kurt Schnellenkamp und Gerhard Mücke bereits in Haft. Sie wurden im Jahr 2013 wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch inhaftiert. Auch die nun verurteilten DINA-Agenten Pedro Espinoza Bravo und Fernando Gomez Segovia sind schon in Haft. Sie sitzen im Sondergefängnis für Militärs Punta Peuco in Santiago ein.

    Ursprünglich hatte Richter Jorge Zepeda im April 2006 achtzehn Personen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Darunter waren 14 Bewohner der Colonia Dignidad und vier Führungsmitglieder der DINA. Während der langen Verfahrensdauer verstarben sechs der Angeklagten. Drei entzogen sich dem Verfahren durch Flucht nach Deutschland (Hartmut Hopp, Hans Jürgen Riesland und Albert Schreiber, letzterer inzwischen verstorben). Der ehemalige DINA-Agent Armando Fernández Larios lebt heute in einem Zeugenschutzprogramm in den USA.

    „Das gestrige letztinstanzliche Urteil belegt eindeutig und juristisch unanfechtbar, was schon seit vielen Jahren bekannt ist: Führungsmitglieder der Colonia Dignidad bildeten gemeinsam mit Agenten des chilenischen Geheimdienstes DINA sowie weiteren Personen eine kriminelle Vereinigung, die hierarchisch organisiert war und jahrzehntelang systematisch geplante Verbrechen beging“, schreibt das FDCL. Zu diesen Verbrechen habe Entführung, Folter und Mord von Gegnern der chilenischen Militärdiktatur gehört, die Herstellung von und der Handel mit Kriegswaffen, das Ruhigstellen von Sektenmitgliedern durch Psychopharmaka und Elektroschocks (schwere Körperverletzung) und sexueller Missbrauch.

    Opfervertreter und Menschenrechtsanwälte zogen nach der Verkündung des Urteils eine gemischte Bilanz. Myrna Troncoso von der Angehörigenorganisation der Verschwundenen (AFDD) sagte: „Dies ist ein immens wichtiges Urteil, das leider sehr spät kommt. Die chilenische Justiz hat bislang nur die Spitze des Eisbergs der Verbrechen der Colonia Dignidad untersucht und bis heute kennen wir noch nicht einmal die Namen derjenigen, die in der Colonia Dignidad ermordet wurden.“ Rechtsanwalt Hernán Fernández, der seit zwanzig Jahren Opfer der Colonia Dignidad vertritt, sagte: „Dutzende Verbrechen der Colonia Dignidad wurden bis heute nicht untersucht. Alle Taten müssen von der chilenischen und deutschen Justiz aufgeklärt und die Verantwortlichen bestraft werden. Dass Täter der Colonia Dignidad wie Hartmut Hopp heute in Deutschland straflos leben ist ein Skandal. Wir erwarten, dass auch die deutsche Justiz endlich ernsthaft ermittelt.“

    Das Urteil im Überblick:

    Verurteilt zu fünf Jahren und einem Tag Haft wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung wurden am 29.12.2016 von der zweiten Kammer des Obersten Gerichtshofs Chiles:

    Karl van den Berg (Colonia Dignidad)
    Gerhard Mücke (Colonia Dignidad)
    Kurt Schnellenkamp (Colonia Dignidad)
    Pedro Espinoza Bravo (DINA)
    Fernando Gómez Segovia (DINA)

    Freigesprochen wurden:

    Rebecca Schäfer
    Peter Schmidt
    Friedhelm Zeitner
    Matthias Gerlach (alle Colonia Dignidad)

    Weitere im April 2006 Angeklagte waren:

    Hartmut Hopp (2011 nach Deutschland geflüchtet)
    Hans Jürgen Riesland (2003 nach Deutschland geflüchtet)
    Albert Schreiber (2004 nach Deutschland geflüchtet, 2008 verstorben)
    Paul Schäfer (2010 verstorben)
    Gisela Seewald (2013 verstorben)
    Gerd Seewald (2014 verstorben)
    Renate Freitag (2015 verstorben) (alle Colonia Dignidad)
    Manuel Contreras Sepúlveda (ehm. Chef der DINA, 2015 verstorben)
    Armando Fernández Larios (DINA, lebt in den USA in einem Zeugenschutzprogramm)“

    Mit freundlichen Grüßen

    Peter Salzburger

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