„Verschiedene Verteidigerpaare – wie beim Eislaufen!“

TP-Interview mit Kleiber-Verteidiger Rechtsanwalt Bernd Kubacki.

TP: Herr Kubacki, wenn man die Verteidiger im Politbüro-Verfahren beobachtet, hat man den Eindruck, daß sie sich untereinander nicht grün sind. Ist das vielleicht auch eine Prozeßstrategie?

Kubacki: Das glaube ich nicht; aber nun haben ja auch die einzelnen Angeklagten ein eigenes Flair und das erfordert natürlich auch eine eigene Verteidigung.

TP: Man kann beobachten, dem einen Antrag eines Angeklagten schließen sich die anderen oder ein anderer an, den anderen Anträgen nicht.

Kubacki: Es hängt von Strategien ab oder auch davon, daß zwei Verteidiger für einen Angeklagten tätig sind und man natürlich versucht, einen gemeinsamen Nenner zu finden zwischen den beiden Verteidigern. Es sind halt ganz verschiedene Verteidigerpaare da, das ist so wie beim Eislaufen, glaube ich.

TP: Warum schließt sich die Verteidigung von Kleiber z.B. nicht gewissen Anträgen von Krenz an oder von Schabowski?

Kubacki: Jeder der Angeklagten hat ein Stück Zeitgeschichte miterlebt nach der Wiedervereinigung oder nach Auflösung der Grenze, und ich glaube, daß jeder Angeklagte auch ein Recht darauf hat, eine individuelle Verteidigung zu bekommen. Es finden Abstimmungen statt – ich kann das nur im Bereich der Verteidigung Kleiber beantworten -, an denen natürlich auch der Angeklagte beteiligt ist. Dabei gibt er nach einer gewissen Rücksprache auch vor, welchen Anträgen er beitritt und welchen nicht.

TP: Sieht Herr Kleiber die ehemalige DDR als einen Unrechtsstaat an?

Kubacki: Wie Herr Kleiber das sieht, kann ich nicht sagen, da müßten Sie Herrn Kleiber selber fragen. Das möchte ich ihm auch selbst einräumen, darauf zu antworten, ob er die DDR als Unrechtsstaat bezeichnen will oder wie er die letzten sechs Jahre durchlebt hat oder welche Konsequenzen er aus dem Scheitern des DDR-Sozialismus halt zieht. Darauf kann die Verteidigung keine Antwort geben. Die Verteidigung kann sich nur rechtsdogmatisch mit dieser Anklage auseinandersetzen und kann rechtliche Fragen aufwerfen; aber die reine Frage der Unrechtsherrschaft oder der „Diktatur des Proletariats in der DDR“, die muß Herr Kleiber – weil es ist eine persönliche Verantwortung, die er tragen muß – selbst beantworten. Das kann ihm die Verteidigung nicht abnehmen.

TP: Sehen Sie das Verfahren als rechtsstaatswidrig an?

Kubacki: Das Problem ist für uns, daß wir alle auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warten. Ob das Verfahren also rechtsstaatswidrig ist, entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Es wäre nur schade, wenn das alles Makulatur wäre, was wir in Anträgen aufgearbeitet haben und dann das Bundesverfassungsgericht sagt: Wir wollen keine Rückwirkung, das Verhalten der Angeklagten ist nicht strafbar. Wir hängen da in der Luft. Wir müssen jetzt abwarten, was da passiert und vor allem auch, was das Völkerrechtsgutachten, das der Kollege Unger, der Verteidiger von Krenz, beantragt hat, bringen wird. Diesem Antrag haben wir uns angeschlossen, denn das ist evident wichtig für diese Sache. Davon hängen wir ab.
Die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung wird auch Ansatzpunkte dafür bieten, daß ein Völkerrechtsgutachten erstellt werden muß. Daß das Bundesverfassungsgericht nicht diesen Fall entscheiden wird, ist evident. Die Verteidigung muß jedoch die dort gebotenen Ansatzpunkte aufgreifen und in das Politbüro-Verfahren mit entsprechenden Anträgen einbringen.

TP: Die Angeklagten im Politbüroprozeß berufen sich darauf, daß sie gar nicht die Macht hatten, die ihnen gemeinhin zugeschrieben wird.

Kubacki: Nun haben wir es mit einer stalinistischen Partei zu tun – es gab einen Generalsekretär und eine Generallinie. Und das muß man beachten dabei. Ich glaube, daß mein Mandant nur im Rahmen seiner Kompetenz dabei etwas zu bestimmen hatte. Ob es eine allzuständige Möglichkeit im Politbüro überhaupt gab, informiert zu werden oder informiert zu sein, das glaube ich nicht mal, weil das war eine Struktur, die einfach durch ein Über- und Unterordnungsverhältnis geprägt war – also eine stalinistische Parteistruktur und keine demokratische Parteistruktur, so daß im Politbüro die gleichen Strukturen herrschten, die in der DDR herrschten, daß halt nur einige Mitglieder des Politbüros hervorragende Kenntnisse hatten über Maßnahmen, die z.B. in anderen Gremien, auch im Warschauer Pakt beraten worden sind. Alle waren m.E. nicht über alles informiert. Es ging halt um die DDR, das war immer das Problem, es ging im Kalten Krieg um die Sicherung der Grenze der DDR, es ging um den „Sozialismus in der DDR“, und das war die Maßgabe, und da hat man sich sehr schnell untergeordnet. Lediglich bei Schabowski sieht man, daß er dafür persönlich Verantwortung tragen will.
Ein wichtiger Ansatzpunkt ist auch der Antifaschismus, der gerade von den älteren Angeklagten herauskristallisiert worden ist…

TP: Wie ist Herr Kleiber ins Politbüro gekommen?

Kubacki: Herr Kleiber ist eigentlich jemand, der Techniker ist, der von der Universität kommt, der sein Abitur auf den Arbeiter- und Bauernfakultäten gemacht hat und sehr schnell in den Bereichen der Technik nachgewachsen ist. Er wurde von Walter Ulbricht ins Politbüro gehievt unter der Maßgabe, daß man Kenntnisse der elektronische Datenverarbeitung ins Politbüro bringen wollte. Er sollte halt die Technik, die er an den Universitäten der DDR erlernt hat, anwenden im Politbüro. Er ist wirklich der Polittechniker und eine Persönlichkeit, die ich akzeptiere, weil er uns seine Erfahrungen mitteilt. Er ist nicht der Ideologe – überhaupt nicht -, sondern er erzählt Geschichten aus einem Leben, wie er Telefon- oder Klingelanlagen reparierte…, Wirtschafts- und Technikverbindungen ins Ausland knüpfte…

TP: und Telefone abhörte…?

Kubacki: …abhörte…, weiß ich nicht (lacht); die Geschichte ist mehr in Bereichen der Reparatur- und nicht im Abhörbereich zu sehen. Er ist ein Techniker, ein richtig guter Techniker.

TP: Werden die Angeklagten Haftstrafen antreten müssen, falls sie ausgesprochen werden sollten?

Kubacki: Das wird individuell zu beantworten sein…

TP: So wie es aussieht, könnte Schabowski mit einem blauen Auge davon kommen…

Kubacki: Das kommt darauf an, wie das Gericht seine Erklärung wertet. Schabowski ist aber haftfähiger als Hager oder Mückenberger. Bei diesen Angeklagten wäre eine Haftstrafe total unverhältnismäßig.

TP: Auch im Hinblick darauf, daß sie eine evtl. Haftstrafe nach unverhältnismäßig langer Zeit antreten müßten…

Kubacki: Auch das ist ein Ansatzpunkt, wenn eine Haftstrafe zu vollstrecken wäre… Im übrigen sollte man im Sinne der Deutschen Einheit, im Sinne des Abbruchs des Kalten Krieges abwarten, wie das Bundesverfassungsgericht entscheidet.

Interview: Dietmar Jochum/TP Berlin, 1996

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