Ein »Terrorismus-Lexikon«.
Von Dietmar Jochum, TP Berlin
Wer von diesem Band ein herkömmliches Nachschlagewerk erwartet, wird auf den ersten Blick enttäuscht sein. Die Autoren selbst räumen ein, daß »kein im strengen Wortsinn lexikalisches Werk entstanden« ist. Sie bezeichnen es vielmehr als eine Art »Feature-Lexikon«, in dem komplexe Themen in größeren Abhandlungen untersucht werden. Damit versprechen sie nicht zuviel, setzen sie sich doch mit diversen Arten und Zielen terroristischer Methoden (Selbstmordanschläge, Flugzeugentführungen, Milzbrand per Post, Bombenanschläge usw.) ausführlich und differenziert auseinander. Sie informieren fundiert über Widerstands- und Terrorgruppen sowie die Biographien ihrer Anführer. Der Zerfall des Osmanischen Reiches, die Staatsgründung Israels, der nordirische Konflikt u.a. werden ebenso in die Untersuchung einbezogen wie Afghanistan und der Irak.
Die Autoren unterscheiden zwischen ethno-nationalem Terrorismus (z. B. PLO, PKK, ETA und IRA), sozialrevolutionärem Terrorismus (etwa RAF, Bewegung 2. Juni, Rote Brigaden, Action Directe und GRAPA) und Staatsterrorismus; fast übergenau widmen sie sich Islamismus und Dschihadismus. Sie legen Wert auf die Feststellung, daß der Islam keine gewalttätige Religion ist, andererseits könne sich der Islam ähnlich wie andere Religionen nicht davor schützen, falsch interpretiert bzw. von politischen Fanatikern und sektenartigen Bewegungen mißbraucht zu werden. So sei »religiöser Fundamentalismus« auch kein Phänomen bestimmter Kulturkreise oder Religionen, sondern als Minderheitenbewegung in allen Religionen und Weltanschauungen anzutreffen. Der islamische Fundamentalismus sei jedoch die am weitesten verbreitete Variante des religiösen Fundamentalismus und habe sich als einziger global und transnational organisiert. Neben dem 11. September 2001 zeigten die Anschläge in Madrid, London, Istanbul und das Attentat auf den Niederländer Theo van Gogh, daß eine neue Epoche der Gewalt eingeläutet wurde. Während Guerillakampf auf die räumliche Einkreisung und Beseitigung des Gegners abziele, stelle der Terrorismus eine Kommunikationsstrategie dar, die Gewalt verwendet, um Öffentlichkeitswirkung zu erzielen: »Guerilleros wollen den Raum, Terroristen das Denken besetzen.«
Eine These der Autoren lautet, daß Gewaltideen nicht mit Gewaltmaßnahmen bekämpft werden können. Der Rechtsstaat werde nicht dadurch geschützt, daß man ihn demontiert. Anstatt Aufklärungsarbeit zu leisten und ein Problembewußtsein bei den Menschen zu schaffen, kämen die außenpolitisch klassischen Machtinstrumente wie Militär- und Polizeiaktionen sowie repressive Diplomatie zur Anwendung, im Grunde also die „Toolbox des Kalten Krieges«. Dadurch werde aber häufig das Gegenteil erreicht, und einer Hydra gleich wuchere das Problem weiter, anstatt kleiner zu werden.
Wilhelm Dietl, Kai Hirschmann, Rolf Tophoven: Das Terrorismus-Lexikon. Täter, Opfer, Hintergründe. Eichborn-Verlag, Frankfurt/Main 2006, 455 Seiten, 24,90 Euro