Drei Autoren untersuchen die Unabhängigkeit der deutschen Justiz.
Von Dietmar Jochum, TP Berlin.
„Manche haben einen Schutzengel, Daimler hat die Staatsanwaltschaft.“ So kommentierten Konzerninsider des Stuttgarter Unternehmens die Rolle der Stuttgarter Anklagebehörde, als es um die Aufklärung von mit Schmiergeldern verbundenen Auslandsgeschäften des schwäbischen Automobilherstellers ging. Auch der Spiegel hielt nicht hinterm Berg, als er der Stuttgarter Staatsanwaltschaft bescheinigte, daß sie sich »bislang als nicht gerade übereifrig erwiesen (habe), wenn es um den größten Steuerzahler der Region, den Daimler-Konzern, ging«.
Blind, taub, stumm
Für die Autoren des jetzt erschienenen Buches »Anklage unerwünscht! Korruption und Willkür in der deutschen Justiz« wird »die Stuttgarter Justizbehörde diesem Ruf gerecht«. Als es um den Vorwurf ging, der Konzern habe fahrbare Abschußrampen für Skudraketen heimlich in den Irak geliefert, erteilte die Stuttgarter Justizbehörde »dem Konzern in Rekordtempo einen Persilschein: ›Kein konkreter Verdacht‹«. So sei es bei vielen Justizbehörden fast wie ein Gesetz: Wenn es um Wirtschaftskriminalität gehe, übten sie vornehme Zurückhaltung. Der Ermittlungseifer sinke oft proportional zu dem diskreten Druck, der auf den Hütern des Rechtsstaats laste. In solchen Fällen könne man, so die Autoren, die Faustregel ausmachen: Entweder werden nur die ausführenden Mitarbeiter oder Handlanger beschuldigt – als »Einzeltäter« – oder die Ermittlungen werden nach einer gewissen Zeit eingestellt. Und das mit der nachdrücklichen Betonung, daß allen Verdachtsmomenten intensiv nachgegangen worden sei.
Auch in der sogenannten Leuna-Affäre, dem Verdacht von gigantischen illegalen Spenden an die CDU, »(stellen sich) deutsche Strafverfolger bis hin zum Bundeskriminalamt (…) in trauter Einheit blind, taub und stumm«. Als die Augsburger Staatsanwaltschaft die Leuna-Akten abgab, weigerten »sich nicht weniger als sechs deutsche Staatsanwaltschaften, ein Ermittlungsverfahren wegen Bestechungsverdachts zu eröffnen«. Wo deutsche Ermittlungsbehörden hätten ansetzen können, passierte nichts. Für die Autoren ist es der »Skandal im Skandal«: Die deutsche Leuna-Spur wird in Deutschland nicht ermittelt. Selbst die Generalstaatsanwaltschaft in Karlsruhe habe am Ende die Schweizer Ermittlungsergebnisse wie eine heiße Kartoffel rasch fallenlassen. Staatsanwälte, die gegen dieses »System der kollektiven Arbeitsverweigerung« verstoßen und ihrem Auftrag als Strafverfolger nachkommen wollen, wurden von der »justizpolitischen Obrigkeit zurückgepfiffen«. Der Leuna-Fall sei in der bayrischen Justiz »vermintes Gelände«: Nicht betreten, politische Einflußgefahr. Für die französische Untersuchungsrichterin Eva Joly »(ist) das Problem in Deutschland, daß die Staatsanwälte nicht unabhängig sind. Ohne unabhängige Staatsanwälte gibt es keinen echten Kampf gegen Korruption«, sagte sie im Jahre 2006 in einem Interview.
Ermittlungswahn
Staatsanwälte haben erstaunlich oft ein Problem damit, dort hinzusehen, wohin sie hinsehen sollten, und dort wegzuschauen, wo sie im Prinzip nichts zu suchen haben. Während im thüringischen Mühlhausen ein Arbeitsloser nach einem Diebstahl von zwei Brötchen und einem Stück Kräuterbutter im Wert von fünfundachtzig Cent zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde, stellte die Staatsanwaltschaft Mühlhausen ein Ermittlungsverfahren gegen hochrangige Manager wegen Insolvenzverschleppung ein. Hier belief sich der Schaden auf 12 Millionen Euro. Die Autoren haben die Begründung für diese Einstellung herausgefunden: »Der Sachverhalt ist ausgesprochen komplex und schwierig, und eine Hauptverhandlung wäre mit einem enormen Aufwand verbunden.« Na bitte!
Auch die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, die »immer brav geschlafen« hat, wenn es um Machenschaften des Daimler-Konzern ging, zeigte erstaunlich »ausbrechenden Ermittlungswahn«, als sie »mit Sturheit ihre juristische Interpretation des Paragraphen 86 a des Strafgesetzbuches« (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) verfolgte. So wurde in einem bundesweit bekanntgewordenen Fall ein Buchhändler zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er durch den Verkauf von Buttons mit durchgestrichenen Hakenkreuzen dazu beigetragen haben soll, dieses wieder gesellschaftsfähig zu machen. Das Stuttgarter Landgericht folgte den Argumenten der Staatsanwaltschaft. Auch gegen den DGB-Chef Michael Sommer, der aus Solidarität bei einer Veranstaltung ebenfalls das Protestzeichen gegen Neonazis trug, ermittelte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Der BGH machte diesem Spuk im März 2007 ein Ende und korrigierte das Urteil des Landgerichts.
Anhand skandalöser Fälle – darunter der sächsische Korruptionsskandal, der zwischenzeitlich zur Abberufung und Versetzung des sächsischen Verfassungsschutzpräsidenten geführt hat – machen die Autoren deutlich, wie der Rechtsstaat ausgehöhlt wird, weil die dritte Gewalt nicht mehr funktioniert und Staatsanwälte auf Tauchstation gehen, wenn nicht gar in Seilschaften mit Politikern und Wirtschaftsbossen verstrickt sind. Die Autoren zeigen insbesondere auch, wie couragierte Bürger sich gegen diese Mißstände wehren, aber auch Beispiele dafür, wie die Zivilcourage einzelner Bürger im Keim erstickt zu werden droht – weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Jürgen Roth/Rainer Nübel/Rainer Fromm: Anklage unerwünscht! Korruption und Willkür in der deutschen Justiz. Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 2007, 304 Seiten, 19,95 Euro