„Bürde und Herausforderung zugleich“.

Die Nuba-Fotografien und Filme im Nachlass von Leni Riefenstahl: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland und dem Sudan forschen gemeinsam – Symposium in Berlin.

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz erhielt 2018 den Nachlass der Filmemacherin und Fotografin Leni Riefenstahl (1902-2003) geschenkt. Die Bestände wurden entsprechend der wissenschaftlichen Kompetenzen innerhalb der SPK aufgeteilt: Schriftgut – Staatsbibliothek zu Berlin, Abteilung Handschriften und Historische Drucke, Fotografien – Kunstbibliothek, Sammlung Fotografie und Ethnografika – Ethnologisches Museum. Das filmische Werk, das technische Equipment und die Textilien wurden der Stiftung Deutsche Kinemathek (SDK) übergeben.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth sagt: „Der Nachlass von Leni Riefenstahl, den die SPK 2018 übernommen hat, ist Bürde und Herausforderung zugleich. Denn Riefenstahl prägte in ihren Filmen wie niemand sonst die Ästhetik des nationalsozialistischen Deutschlands. Und sie weigerte sich zeitlebens, sich mit ihrer Verantwortung und Schuld auseinanderzusetzen. Gleichwohl sind ihre Fotografien aus den Nuba-Bergen für die Nuba-Gesellschaften wichtige Zeitzeugnisse. Die Bilder machen das unterdrückte kulturelle Erbe der Nuba sichtbar und greifbar. Im Rahmen dieses Projekts wollen wir gemeinsam einen Weg finden, wie wir mit diesen Fotografien umgehen – und wie diese für die Nuba-Gesellschaften zugänglich und nutzbar gemacht werden können. Grundsätzlich ist das Projekt auch ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung des Kolonialismus und zur Verständigung zwischen dem Sudan und Deutschland.“

„Die SPK ist sich bewusst, dass sie mit diesem Nachlass nicht nur ein viel diskutiertes künstlerisches Werk übernommen hat, sondern dass damit auch eine besondere Verantwortung für die kritische Auseinandersetzung mit dieser umstrittenen Person der Zeitgeschichte verbunden ist. Genau dem stellen wir uns“, so Vizepräsident Gero Dimter. „Im Kontext der Dekolonisierung der Sammlungen können wir mit diesem Projekt einen wichtigen Beitrag leisten, da wir mit mehreren SPK-Einrichtungen und ihren jeweiligen Expertisen an der Erschließung arbeiten und wir von Anfang an die Perspektiven der Nuba-Akteure ins Zentrum der Erforschung gestellt haben.“

Ein Schwerpunkt der Erschließungsarbeit lag zunächst auf Riefenstahls Nuba-Fotografien, die in den 1960er und 70er Jahren im südlichen Sudan entstanden. Ihre Aufnahmen wurden damals weltweit kontrovers rezipiert. Wie blicken die Nuba heute auf diese Arbeiten und wie sieht der künftige Umgang damit aus? Die Perspektiven außereuropäischer Akteure, so der Direktor der Kunstbibliothek, Moritz Wullen, sollten ganz bewusst am Anfang der Auseinandersetzung mit Riefenstahls Werk stehen: „Historische Verantwortung bedeutet, dass wir uns immer wieder neu den Geschichten stellen. Diese besondere Verantwortung legitimiert jedoch kein Privileg des eigenen Blicks. Genau darum geht es in unserem Forschungsprojekt: Erstmals erforschen Expertinnen und Experten aus dem Sudan gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Deutschland die etwa 10.000 Fotografien und die Filme, welche Leni Riefenstahl in den Nuba-Bergen gemacht hat“.

Unter dem Titel „Deutsch-Sudanesische kollaborative Erschließung und Präsentation des Nuba-Werks von Leni Riefenstahl“ wurden die Arbeiten erforscht und kontextualisiert. Das Projekt wurde von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aus Mitteln des Kabinettsaus-schusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus gefördert. Ein wichtiger Partner des Projekts ist das Pan-Nuba Council aus dem Sudan. Zum ersten Mal ist es gelungen, die Sichtweisen von Vertreterinnen und Vertreter dieser Bevölkerungsgruppen auf Riefenstahls Bilder in den Fokus zu rücken. Außerdem geht es in dem Projekt darum, eine internationale Zugänglichkeit zu erreichen sowie die Nuba- und Afrika-Bestände Riefenstahls zu sichern, zu archivieren und digital zu erschließen.

„Das indigene Volk der Nuba ist in der gesamten vor-, kolonialen und postkolonialen Zeit im Sudan soziokulturell unterdrückt, politisch ausgegrenzt und wirtschaftlich marginalisiert worden. Dieses kollaborative Forschungsprojekt erkennt die Nuba als handelnde Akteure und Eigentümer ihrer Geschichte und Gegenwart an. Die Art und Weise, wie die betroffenen Nuba-Gemeinschaften und Einzelpersonen konsultiert wurden – die in Riefenstahls Werken passive Objekte waren – ist eine wohl noch nie da-gewesene Praxis. Das Projekt ist ein Meilenstein im Kampf der Nuba um ein kollektives Zugehörigkeitsgefühl und eine würdevolle soziale und politische Zukunft,“ so Shamsoun Khamis Kafi Tiyah, Chairman des Pan-Nuba Council.

Lars-Christian Koch, Direktor des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst ergänzt: „Von Anfang an haben wir die Perspektiven, Wünsche und Bedürfnisse unserer Nuba-Partnerinnen und Partner in den Vordergrund unserer Arbeit gestellt. Wir befinden uns mitten in einem spannenden Prozess, europäische Sichtweisen und Emotionsrepertoires zu relativieren und durch neue Zugänge zu bereichern – ein Prozess, den es unbedingt fortzusetzen gilt. Umso mehr hoffen wir, dass gerade angesichts der schrecklichen Situation im Sudan, die allzu oft aus dem Blickfeld der europäischen Öffentlichkeit gerät, die digitale Übergabe der Bilder für unsere Partnerinnen und Partner und vielleicht auch für die Nuba-Gemeinschaften insgesamt einen kleinen Lichtblick in eine andere, bessere Zukunft darstellen kann.“

Die gemeinsame Forschung kommt zu dem Schluss, dass Leni Riefen-stahls Fotografien und Filme der Nuba sowie ihre Sammlung afrikanischer Kulturgegenstände in einem kolonialen wie rassifizierten Kontext gesehen werden müssen. Die Reisen Riefenstahls in den Sudan fanden zwar nach der formalen Unabhängigkeit statt – aus der Perspektive der Nuba bezieht sich das Verständnis von kolonialer Herrschaft und Unterdrückung jedoch auch auf die arabische Dominanz im Sudan und die islamistische Herrschaft der letzten 30 Jahre, die Gesellschaft, Politik und Kultur bestimmen.

Nuba ist eine Sammelbezeichnung für mehr als 50 verschiedene ethnische Gruppierungen, die in zehn verschiedene Sprachgruppen unterteilt sind und in den Nuba-Bergen im Süden des Sudan leben. Die Bevölkerungszahl dieser größten nichtarabischen Gruppe des Landes liegt bei über einer Million Menschen.

Das Projekt hat nunmehr Riefenstahls Arbeiten im politischen, kulturellen und sozialen Umfeld des Sudan verortet. Wie sind diese Bilder entstanden? Hat Riefenstahl dabei die Nuba manipuliert und ausgebeutet? Im Rahmen der Kontextualisierung der Aufnahmen während der Workshops erarbeiteten die Teilnehmenden spezifische Themen der Bildinhalte und dafür geeignete Schlagwörter, die eine Neuanordnung von Bildgruppen und der Archivstruktur ermöglichen sowie die Bildrecherche von Nutzerinnen und Nutzern und unterstützen. Die Kontextualisierung des Materials umfasst neben der kritischen Auseinandersetzung mit dem Werk Riefenstahls und der Ästhetik der Aufnahmen besonders die Entwicklung von neuen Erzählungen zu den Bildern, die den kolonial-rassistischen Blick, konterkarieren. Im Fokus stehen lokale Perspektiven auf die Bilder und ihre Entstehungszusammenhänge in den Nuba-Bergen.

Am 25. und 26. Oktober 2024 wird es auf einem internationalen Symposium mit dem Titel „Collaboration and Digital Handover: Discussing the Project Nuba Images by Leni Riefenstahl“ am Kulturforum in Berlin um diese und andere Fragen gehen. Am Ende der Veranstaltung werden die digitalisierten Fotografien Riefenstahls an das Pan-Nuba Council übergeben.

Fotos: Claudia Roth und Gero Dimter

Fotoquellen: TP Presseagentur Berlin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*