Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Festakt zum 100. Gründungsjubiläum der Friedrich-Ebert-Stiftung am 11. März 2025 in Berlin.

Wenn Friedrich Ebert auf eins keinen Wert gelegt hat, dann auf’s Protokoll. Deshalb verkürze ich meine Anreden und sage einfach nur:

Liebe Gäste, lieber Martin Schulz, danke für die Einladung. Danke, dass ich bei dieser wunderbaren Geburtstagsfeier dabei sein darf. Ich bin gerne gekommen, nicht nur, weil es sonst wenig zu feiern gibt in dieser verrückten Welt, sondern auch weil wir erinnern wollen, was in der ersten deutschen Demokratie auf den Weg gebracht und von Antidemokraten wieder zerstört wurde; dass nichts von selbst kommt und nur wenig von Dauer ist, wie jemand gesagt hat! Und was das heißt für unseren Auftrag heute!

Friedrich Ebert schaut mir auch heute noch jeden Tag über die Schulter. Seine Büste steht in meinem Amtszimmer hinter meinem Schreibtisch. Er war nicht nur das erste deutsche Staatsoberhaupt der 1918 errungenen Demokratie. Er ist Traditionsstifter für das Amt, das 1949 unter dem Grundgesetz leicht verändert wieder entstand, und das ich heute ausüben darf. Sein markanter Kopf erinnert mich tagtäglich an seinen Kampf für die Demokratie und für soziale Gerechtigkeit – und an seinen Kampf für ein Bildungsversprechen, das er für unverzichtbar hielt, um die junge deutsche Demokratie zu festigen, und das tatsächlich für so viele den Weg zu einem Hochschulstudium öffnen sollte.

Dieses Vermächtnis Friedrich Eberts, das schützen und bewahren Sie, die nach ihm benannte Stiftung, seit Ihrer Gründung vor 100 Jahren. Damit sind Sie die älteste der heutigen politischen Stiftungen. Sie haben Maßstäbe gesetzt und Ihrerseits demokratische Tradition begründet. Und darauf können Sie stolz sein! Sie führen das Erbe weiter, und das ist eine große Verantwortung und Verpflichtung zugleich. Dafür danke ich Ihnen heute, und ich gratuliere Ihnen allen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Partnern und Freunden, den Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung sehr herzlich zu diesem Jubiläum! Herzlichen Glückwunsch zum 100.!

Die politischen Stiftungen in Deutschland suchen ihresgleichen auf der Welt. Wir haben damit eine Pluralität in der politischen Bildung und Begabtenförderung, die einzigartig ist – und nicht wegzudenken aus der gesellschaftlichen Verwurzelung unserer Demokratie.

Wie wichtig, ja überlebenswichtig die Förderung von begabten jungen Demokratinnen und Demokraten für die Weimarer Republik sein würde, das wusste Reichspräsident Friedrich Ebert sehr gut – er, der selbst aus einfachen Verhältnissen kam, der einst Handwerksgeselle war. Demokraten aus dem Arbeitermilieu als Gegengewicht zu den traditionellen Eliten, die sich oft noch das Kaiserreich zurückwünschten – das war seine zukunftsweisende Vision.

Was es heißt, Ziel von Hass und Hetzkampagnen antidemokratischer Kräfte zu sein, das hatte Friedrich Ebert selbst immer wieder erfahren müssen. Ihm war wie nur wenigen klar, wie sehr die junge deutsche Demokratie der Stärkung bedurfte, neuer Köpfe, überzeugter Demokraten. Er selbst verteidigte die noch junge, wenig geübte und in Teilen der Bevölkerung auch verhasste Staatsform, trotz oder gerade wegen aller Anfeindungen. Er verteidigte sie gegen Agitation von Links- und Rechtsaußen. Friedrich Ebert war ein aufrechter Republikaner, ein überzeugter Demokrat aus Leidenschaft!

Soziale Gerechtigkeit, das war für ihn in einer Demokratie unabdingbar, ja, eine Voraussetzung für ihr Gelingen. Viele seiner politischen Gegner rümpften über seine Herkunft die Nase, als „Sattlergeselle“ wurde er von der Hetzpresse bezeichnet und seine Legitimität in Frage gestellt. Aus eigenem Erleben und auch durch seine Frau Louise hatte er ein feines Gespür dafür, dass die tiefen sozialen Gräben, die die erste deutsche Republik prägten, überwunden werden müssten, um sie zu stabilisieren.

So verhasst Friedrich Ebert den Republikfeinden war, so sehr wurde er von anderen aber auch bewundert. An seiner Trauerfeier 1925 vor dem Berliner Reichstag nahmen fast eine Million Menschen teil. Sein früher Tod im Jahre 1925 markiert so etwas wie einen Kipppunkt der Weimarer Demokratie. Die demokratische Mitte versagte in der Wahl eines überzeugten Demokraten als Nachfolger Eberts. Hindenburg, ein den alten Mächten verbunden gebliebener Militär, wurde Reichspräsident. Gesellschaftliche Polarisierung und autoritäre Politikmuster prägten die letzten Jahre der Weimarer Republik, bevor die Nazis sie zerstörten.

Dank vieler Spenden konnte die nach Ebert benannte Stiftung tatsächlich bald – noch in seinem Todesjahr – gegründet werden. Wenn es Weimar wirklich an Demokratinnen und Demokraten fehlte, wollte diese Stiftung etwas dagegen setzen, eine republikanische Haltung für Freiheit und Gleichheit. Und wie notwendig ist diese Mission auch heute, gerade heute wieder!

Viele von uns haben derzeit das Gefühl, dass es die Welt auseinanderreißt – zwischen Europa und dem globalen Süden, zwischen Europa und Amerika, zwischen Ost und West, zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen Respekt vor dem Völkerrecht samt Landesgrenzen und neoimperialem Wahn. Um unseren Kurs zu bestimmen, um all die Umbrüche einordnen zu können, brauchen wir einen Zukunftsradar für Demokratie, wie Sie ihn sich zum Leitbild gemacht haben. Und wir brauchen mehr denn je Organisationen, die Kontakte in alle Welt pflegen und den Austausch über Grenzen hinweg beleben, so wie Sie es in Ihrem internationalen Netzwerk tun. Letzte Woche in Südamerika habe ich erneute Bestätigung dafür erfahren!

Mit mehr als 100 Auslandsbüros sind Sie in allen Teilen der Welt vertreten. Ob es um internationale Gewerkschaftsarbeit geht, die Stärkung der Zivilgesellschaft, die Entwicklung von Sicherheitsarchitekturen: Sie sind nah dran und sehen schnell, wo Unterstützung gebraucht wird.

Internationale Zusammenarbeit ist immer ein Geben und Nehmen. Weltweit profitieren demokratische und gewerkschaftliche Kräfte von den Projekten der Friedrich-Ebert-Stiftung, von Ihrem Knowhow, Ihrer Solidarität. Und davon wiederum profitiert Deutschland. Mit Ihnen und Ihren lokalen Mitarbeitern und Partnern verfügen wir über ein kostbares internationales Netzwerk in den Zivilgesellschaften auf aller Welt. Und Ihre Auslandsbüros geben Input für unsere Wirtschaft, für das Regierungshandeln im eigenen Land, unsere Positionierung in der Welt. Internationale Zusammenarbeit, das ist nicht nur ein Gebot der Humanität. Internationale Zusammenarbeit trägt entscheidend zum weltweiten Austausch bei, und das ist in einer Zeit wie der heutigen gar nicht hoch genug zu schätzen!

Wenigstens verstehen, was anderswo auf der Welt passiert, warum viele uns schätzen, manche auch ablehnen, was Hintergründe von Konflikten und Kriegen sind, wo Friedensperspektiven sein könnten, all das brauchen wir für die Bestimmung unserer eigenen Positionen in einer unübersichtlichen Welt. Aber das ist nicht so einfach – auch für Sie nicht.

Denn gleichzeitig haben sich in vielen Ländern die Arbeitsbedingungen für politische Stiftungen dramatisch verschlechtert. Heute gibt es leider immer mehr Staaten, in denen die Spielräume von politischen Stiftungen eingeengt werden und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Repressalien rechnen müssen. Und es gibt Länder wie Russland oder den Iran, in denen Sie gar nicht mehr arbeiten können. Und lange haben wir mit Ägypten ringen müssen, dass Stiftungen, denen die Arbeit schon untersagt war, wieder zurückkehren durften.

Ich bin überzeugt: Wir dürfen uns davon nicht einschüchtern und nicht entmutigen lassen. Und ich weiß: Sie tun das auch nicht! Dafür bin ich Ihnen dankbar! Dass autoritäre Staaten so viel Aufwand betreiben, um gegen politische Stiftungen vorzugehen, das zeigt doch gerade, wie notwendig deren Einsatz für Demokratie, für Menschenrechte und weltweite Zusammenarbeit tatsächlich ist! Deshalb bleibt nicht nur wichtig, dass sich die deutsche Politik für gute Arbeitsbedingungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen im Ausland einsetzt! Es wird von Tag zu Tag wichtiger!

Die Bedrohung der Demokratie, die neue Faszination des Autoritären, die Verachtung demokratischer Institutionen und ihrer Repräsentanten sind leider auch eine Realität in unserem eigenen Land. Zu lange waren zu viele zu sicher, dass die Bedrohung der Demokratie nur von außen kommt, von den Feinden des Westens. Dass jetzt sogar die Führungsmacht des demokratischen Westens die Friedens- und Nachkriegsordnung in Europa für obsolet erklärt, das hätten wir uns alle bis vor Kurzem kaum vorstellen können. Dass ausgerechnet das Land, dem wir unsere Nachkriegsdemokratie im Wesentlichen verdanken, heute gegen liberale Ausprägungen der Demokratie zu Felde zieht und antidemokratische Kräfte in unseren Ländern fördert und stärkt.

Diese neue Erfahrung erschüttert uns. Aber sprachlos darf sie uns nicht machen. Wir müssen das, was wir in unseren eigenen Händen halten, schützen, festigen, neu beleben: ein geeintes, starkes, demokratisches Europa! Und: Wir müssen in Europa und in Deutschland Vertrauen in die demokratischen Institutionen und ihre Repräsentanten zurückgewinnen.

Wir brauchen Menschen und Institutionen, die sich gegen die Verächter der Demokratie stellen, die ihnen nicht das Feld überlassen. Und hier leisten Sie, die Friedrich-Ebert-Stiftung und auch andere politische Stiftungen so wertvolle Arbeit. Eine Arbeit, die sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen und sich immer wieder strategisch neu ausrichten muss. Rückzug ist auch unter Druck keine gute Lösung. Ich möchte Sie ermutigen, in der nationalen wie der internationalen Arbeit alle Räume zu nutzen und sie, wo immer möglich, auch wieder zu erweitern.

Politische Bildung, Fortbildung für Menschen, die politisch, gewerkschaftlich oder bürgerschaftlich aktiv sind, politische Beratung für Wissenschaft und Wirtschaft – all das gehört zu Ihrem beeindruckenden Programm und ist es geblieben, trotz des Haushaltsdrucks. Aufklären, damit wir besser verstehen, was in unserer Gesellschaft vor sich geht: Das ist Ihr Anspruch! Und dafür leisten Sie wertvolle Arbeit – ich denke nur an Ihre „Mitte-Studie“, die uns regelmäßig Erkenntnisse über die Einstellung der Bürgerinnen und Bürger zu unserer Demokratie und zu den demokratischen Grundrechten liefert. „Die distanzierte Mitte“, das war der Titel Ihrer neuesten Studie. Ein Befund, der durchaus besorgniserregend ist, denn er belegt, dass sich „ein deutlich größerer Anteil der Mitte der Gesellschaft von demokratischen Werten, Normen und Grundprinzipien“ entfernt. Das war Ihre Prognose, noch bevor Wahlergebnisse Ihre Studie bestätigten. Und damit geht oft, auch das belegt die Studie, ein starker Anstieg rechtsextremer Einstellungen und Feindseligkeit gegenüber Minderheiten einher.

Umso wichtiger ist es, dass Sie den Menschen den Rücken stärken, die sich einsetzen für Zusammenhalt, Solidarität, Rechtsstaat und Demokratie. Sie helfen mit, engagierte Demokratinnen und Demokraten gegen die immer heftigeren Angriffe von Extremisten zu schützen. Das ist es, was wir jetzt brauchen: Genau die zu stärken, sichtbar und hörbar zu machen, denen unsere Demokratie am Herzen liegt. Und genau das tun Sie! Dafür danke ich Ihnen heute im Namen unseres Landes!

Ich bin überzeugt, dass wir bei unserem Einsatz für die Demokratie massiv zulegen müssen. Gleichgültigkeit und Abwarten ist keine Haltung! Demokratisches Engagement, Einsatz für unser Gemeinwesen ist das Gebot der Stunde. Nehmen wir das Erbe Friedrich Eberts neu an! So wie er müssen wir mit Verve, mit Leidenschaft, mit aller Kraft einstehen für Demokratie und Freiheit in unserem eigenen Land und in Europa. Auch die Gesellschaft muss wieder lernen, dass Demokratie nicht nur dann gut ist, wenn Entscheidungen dem eigenen Interesse nutzen. Selten gibt es zu hochkomplexen Gemengelagen – Rente, Gesundheit, Klima, Wirtschaft – nur richtig oder falsch. Demokratie ist eher der tägliche Umgang mit Zielkonflikten. Das verlangt Vertrauen in die Institutionen und Bereitschaft zum Kompromiss! Ja, die Suche nach Kompromissen, der Interessenausgleich – all das ist oft mühsam und anstrengend. Aber in keiner anderen Staatsform werden die Rechte aller Bürger so stark berücksichtigt, in keiner anderen Staatsform sind die Freiheiten so groß, und keine Staatsform ist besser in der Lage, Fehler zu korrigieren.

Und wir sollten nicht vergessen, dass uns das auch immer wieder gelungen ist. Und jetzt müssen wir die Kraft haben, aus dem doppelten Epochenbruch – dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und der Entfernung der USA von Europa – die richtigen Schlüsse zu ziehen: Die Stärkung unserer Sicherheit steht ganz vorn, aber es ist noch mehr zu tun. Die Erinnerung an unsere eigenen Stärken sollte uns Zuversicht für anspruchsvolle Aufgaben geben.

Zum Schluss: Es ist großartig, dass Sie Ihren Geburtstag mit einem Demokratie-Festival begehen und einen Zukunftspreis für Demokratie ausgelobt haben. Wir brauchen Begeisterung für die Demokratie! Neuen Schwung, der jene mitreißt, die der Demokratie inzwischen distanziert gegenüberstehen.

Liebe Gäste, ich selbst habe der Friedrich-Ebert-Stiftung viel zu verdanken. Ich komme aus einer Familie, in der Abitur und Universität für die Kinder nicht vorgesehen waren. Doch dank der Friedrich-Ebert-Stiftung konnte ich mit finanzieller Unterstützung studieren, Erfahrungen und Austausch jenseits des Studiums haben, Netzwerke knüpfen. Das hat mir geholfen, meinen Weg zu gehen. Dafür danke ich auch persönlich! Helfen Sie bitte weiter jenen, denen eine Bildungskarriere nicht in die Wiege gelegt ist, ihren Weg zu gehen. Machen Sie weiter – mit Herz, Mut und Hoffnung und ermutigen Sie und unterstützen Sie Demokratinnen und Demokraten in aller Welt!

Noch einmal meinen ganz herzlichen Glückwunsch zum 100. Geburtstag!

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