Demokratie ist untrennbar.

TP-Interview mit Pierre Kaldor, Frankreich.

TP: Herr Kaldor, Sie wurden heute von der GBM mit dem Menschenrechtspreis 1997 ausgezeichnet, weil sie sich in Deutschland gegen die sogenannten Berufsverbote engagiert haben.
Was motiviert einen französischen Rechtsanwalt, sich in Deutschland gegen Berufsverbote zu engagieren? Gibt es in Frankreich keine Probleme, für die es sich lohnt, etwas dagegen zu unternehmen?

Kaldor: Die Demokratie ist untrennbar. Wenn die Demokratie irgendwo angegriffen ist, hat es auch irgendwo anders einen Nachklang – vor allem in Nachbarländern. Und wenn ein Erfolg stattfindet, ist es nicht nur für ein Land gut.

TP: Wurden Ihnen in Deutschland hinsichtlich Ihres Engagements Schwierigkeiten gemacht – z.B. von behördlicher Seite?

Kaldor: Nein, nie. Am Anfang wurde mir am Flughafen oder am Bahnhof gefolgt in der westlichen BRD. Man hat mich aber nie danach gefragt, wer ich bin oder woher ich komme.

TP: Wer hat Sie verfolgt?

Kaldor: Ich wurde nicht verfolgt, mir wurde lediglich gefolgt. Es handelte sich wahrscheinlich um Polizisten …

TP: … oder den Verfassungsschutz …

Kaldor: … ja, wahrscheinlich vom Verfassungsschutz. Sie wußten, wo ich wohne, das war meistenteils bei Freunden, sehr selten in Hotels.

TP: Man kann also festhalten: Sie wurden beobachtet.

Kaldor: Ja, das hat aber nicht lange gedauert. Nach 1977 habe ich jedenfalls nichts mehr davon bemerkt. Einmal gab es allerdings eine Vorbereitungskonferenz in einem großen eleganten Restaurant in Düsseldorf. Alle ausländischen KFZ-Kennzeichen, die vor diesem Restaurant standen, wurden von Polizisten notiert. Da ich ohne Auto gekommen bin, wurde ich am Eingang nach meinem Ausweis gefragt. Aber ich sehe das im Verhältnis zu dem, was wir hier in Deutschland machten, als unwichtig an. Allgemeinerweise kann ich sagen: Ich habe keinerlei Hindernisse für die Solidaritätsaktion in Deutschland erlebt. Sogar bei den Gerichten bin ich öfter sehr nett empfangen worden. Vor den Gerichten in Neubrandenburg, Neustrelitz, Leipzig und Dresden bin ich von den Richtern überaus freundlich behandelt worden.

TP: Hatten Sie vor deutschen Gerichten bereits Erfolge oder mußten Sie immer erst den Europäischen Gerichtshof bemühen?

Kaldor: Wir hatten bereits auch Erfolge in Deutschland, aber das war nicht immer sehr leicht. Es gab Kampagnen. Man kann es so sagen: Wo es keine Kampagnen gab, gab es selten Erfolge. Das heißt nicht, daß jede Kampagne einen Erfolg brachte, aber diese Kampagnen, auch wenn sie nicht siegreich waren, waren allgemeinerweise für die demokratische Bewegung in Deutschland sehr nützlich.

TP: Wie war die Zusammenarbeit mit den Kollegen in Deutschland?

Kaldor: Mit den deutschen Kollegen habe ich ausgesprochen gut zusammengearbeitet.

TP: Sie haben heute bei der Preisübergabe sehr bescheiden gesagt, daß sie den Preis nur stellvertretend für die Vielen angenommen haben, die sich im Kampf gegen die Berufsverbote engagiert haben. Warum so bescheiden?

Kaldor: Es entspricht der Wirklichkeit. Ich wollte beruflich Germanist werden, und zufälligerweise bin ich Jurist geworden. Ich bin auch mein ganzes Leben Germanist geblieben und habe mich mit den deutschen Angelegenheiten beschäftigt. Da ich während des Krieges auch eine Geisel der Wehrmacht war, hatte ich irgendwie eine Empfindlichkeit mit den deutschen Angelegenheiten. So habe ich mich weiter mit den deutschen Angelegenheiten beschäftigt. Und als Mitglied einer Juristengesellschaft, der Internationalen Vereinigung demokratischer Juristen, bin ich hier und da auch nach Deutschland als Beobachter geschickt worden – zum Beispiel während des DKP-Prozesses nach Karlsruhe. Das Verfahren hat 5 Jahre gedauert, zwischen 1951 und 1956 bin ich acht Mal in Karlsruhe gewesen. Aber ich war nicht der einzige Beobachter. Das hatte damals nichts mit den Berufsverboten zu tun. Aber als demokratischer Jurist fühlte ich mich interessiert.

TP: Als ich Sie am Anfang fragte, warum Sie sich als französischer Rechtsanwalt für Probleme in Deutschland interessieren, haben Sie geantwortet: Die Demokratie ist unteilbar. Ich erwartete eigentlich, daß Sie sagen: Die Menschenrechte sind unteilbar…

Kaldor: Ich bin ein Jurist, dem die Internationalen Konventionen sehr am Herzen liegen. Das heißt, die Charta der UNO, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Europäische Konvention für die Menschenrechte sind mir Richtschnur meines Handelns.

TP: Wie bewerten Sie die Prozesse, die derzeit gegen ehemalige DDR-Funktionsträger geführt werden?

Kaldor: Das ist etwas anderes als die Berufsverbote, aber das hat mit der Verpflichtung der Staaten und der Leute zu tun, die internationalen Konventionen ich Acht zu halten. Ich bedauere sehr, daß an der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten Menschen getötet wurden. Aber ich sage auch, ein jedes Land verteidigt seine Grenzen. Wie gut und wie schlecht, ob menschlich oder weniger menschlich, ist eine andere Frage, aber das ist das Recht eines Staates. Und bei einer Vereinigung soll man die Gesetze und Handlungen des anderen Staates achten. Der Straßburger Gerichtshof hat die Berufsverbote in Deutschland wegen der Verletzung von Menschenrechten verurteilt. Das darf man nicht vergessen. Sollen jetzt die Richter, die die Berufsverbote in Deutschland bestätigt haben, strafrechtlich wegen Rechtsbeugung verurteilt werden? Ha, ha…

TP: Haben auch z.B. die Politbüromitglieder eine Chance, daß das Urteil gegen sie aufgehoben wird in Straßburg?

Kaldor: Ich bin kein Prophet. Die Richter im Straßburger Hof sind Delegierte ihrer eigenen Staaten. Die einen sind sehr fortschrittlich angelegt, andere nicht. Der Richter aus Litauen ist sehr reaktionär. Und im Falle von Dorothea Vogt hat er negativ geurteilt. Ich kenne von jedem Richter das Votum. Es waren 10 zu Stimmen zugunsten von Dorothea Vogt ( die Lehrerin Dorothea Vogt aus Niedersachsen wurde wegen Mitgliedschaft in der DKP aus dem Schuldienst entlassen. Sie klagte dagegen und bekam erst vor dem Europäischen Gerichtshof Recht., Anm. des Interviewers ).

TP: Wie würde z.B. der französische Vertreter im Falle von Egon Krenz u.a. entscheiden?

Kaldor: Es kommt darauf an, welcher Richter in der Zeit der Entscheidung da sein wird. Heute haben wir in Frankreich eine linke Regierung. Wenn das andauert, soll der heutige französische Vertreter, wenn er noch nicht zu alt ist, weiter in Straßburg sein. Und ich denke, daß er positiv entscheidet. Übrigens ist der ganze Prozeß hinsichtlich Krenz u. a. für mich, der juristisch eine gewisse internationale Erfahrung hat, sehr fragile. Und das hat man bei dem Prozeß selbst sehr deutlich gemerkt. Auch im Urteil spürt man das. Aber ich bin kein Prophet. Man muß fest darauf hinarbeiten, daß es positiv ausgeht. Was Herr Streletz heute gesagt hat, soll viel zu denken geben. Er hat die Frage wirklich in das Zentrum der Problematik gestellt. Und darüber werden wir in Frankreich arbeiten, um etwas juristisch Solides zu bauen als Solidaritätshandlung.

Interview: Dietmar Jochum, TP Berlin

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