7. Auflage des Alternativkommentars zu Strafvollzugsgesetze (AK-StVollzG) erschienen.
Von Dietmar Jochum, TP Presseagentur
Am 1. September 2006 trat die so genannte Föderalismusreform in Kraft, die die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder übertrug. Sie wurde im Juni und Juli 2006 von Bundestag und Bundesrat mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit beschlossen.
Seitdem sind die einzelnen Bundesländer befugt, den Strafvollzug mit eigenen Gesetzen zu regeln und haben das auch – nach und nach – getan. So gibt es nun in jedem Bundesland eigene Gesetze für den Straf- und Jugendvollzug, den Jugendarrest, aber auch zur Untersuchungshaft und der Sicherungsverwahrung. Resozialisierungsgesetze sollen folgen und sind bereits im Entwurfsstadium vorhanden.
Teile des bisherigen Bundesstrafvollzugsgesetzes sind allerdings noch in Kraft geblieben, wozu insbesondere die Vorschriften über den gerichtlichen Rechtsschutz gehören, so dass es den Gefangenen bei Rechtsstreitigkeiten mit den jeweiligen Vollzugsanstalten/Vollzugsbehörden möglich ist und gemacht wird, nach wie vor gerichtliche Hilfe bei den Strafvollstreckungskammern der Landgerichte wahr- bzw. in Anspruch zu nehmen.
Vor einigen Monaten ist nun auch die 7. Auflage des so genannten Alternativkommentars zu den Strafvollzugsgesetzen (AK-StVollzG) erschienen, der nun auch all diese Landesvollzugsgesetze berücksichtigt. Entsprechend ist diese 7. Auflage ein regelrecht „dicker Wälzer“ geworden. Seit der 1. Auflage unermüdlich als Herausgeber und Autor dabei: Johannes Feest, Dr. Soz.-Wiss., Jurist und Soziologe, Professor für Strafverfolgung, Strafvollzug, Strafrecht an der Universität Bremen (i.R.).
Woran bei der 6. Auflage noch nicht zu denken war und dementsprechend auch nicht berücksichtigt werden konnte, ist die zwischenzeitliche Existenz einer – im Jahre 2014 (lange nach Redaktionsschluss der 6. Auflage) in der JVA Berlin-Tegel gegründete – Gefangenengewerkschaft. Während einerseits in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten wird, dass sich Gefangene nicht zu einer Gewerkschaft zusammenschließen könnten (so etwa das Kammergericht in Berlin), verweist der Alternativkommentar (nun in seiner 7. Auflage) konsequent auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichtes Hamm vom 2. Juni 2015, mit der die Gründung einer Gefangenengewerkschaft grundsätzlich zu konzedieren und mit dem Wesen der Freiheitsstrafe keineswegs grundsätzlich als unvereinbar zu begreifen ist. Entsprechend dieser Entscheidung wird die Auffassung des Berliner Kammergerichts im Alternativkommentar auch als „nicht überzeugend“ gewürdigt. Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes, der das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, für jedermann und alle Berufe gewährleistet, gelte demnach – so auch zustimmend der Alternativkommentar – hinter Gittern.
Was die im Jahre 2014 gegründete Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) von Anfang an fordert, ist die Einbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Kranken-, Pflege und Rentenversicherung. Bisher vergeblich, was auch im Alternativkommentar scharf kritisiert wird. Insbesondere die Nichteinbeziehung in die Rentenversicherung sei „umso mehr ein Skandal, als der Bundestag bereits beim Erlass des bisherigen (bundeseinheitlichen) Strafvollzugsgesetzes 1976/1977 eine Einbeziehung von Gefangenen in die Sozialversicherungen beschlossen hatte“. Eine Einbeziehung in die Arbeitslosen- und Unfallversicherung besteht dagegen ohnehin. Während es nach Auffassung des Bundesgesetzgebers seinerzeit nicht gerechtfertigt (gewesen) sei, den Gefangenen neben den notwendigen Einschränkungen, die der Freiheitsentzug unvermeidbar mit sich bringe, weitere vermeidbare wirtschaftliche Einbußen zuzufügen, ist das vorgesehene Bundesgesetz zur Umsetzung der Einbeziehung in die Sozialversicherungen nie erlassen worden. Im Alternativkommentar wird daher ausdrücklich darauf hingewiesen, dass den betroffenen Haftentlassenen ein Alter in Armut und Abhängigkeit von Sozialleistungen, die wiederum die Allgemeinheit zu erbringen hätte, drohe.
So wird im Alternativkommentar auch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus dem Jahre 2011 kritisiert, wonach es nicht gegen die Europäische Menschenrechtskommission (EMRK) verstoßen soll, wenn in Österreich Gefangene nicht in die Rentenversicherung einbezogen sind.
Auch mit der Arbeitspflicht von Gefangenen befasst sich der Alternativkommentar. Während in 3 Bundesländern, etwa Brandenburg, die Arbeitspflicht mit guten Erfahrungen abgeschafft wurde, besteht sie in den anderen Bundesländern unverändert fort. Im Alternativkommentar wird darauf hingewiesen, dass die Erfahrungen der Praxis nach Abschaffung der Arbeitspflicht in diesen Bundesländern sehr positiv seien: Weder sei es zu einer Reduzierung des Angebotes von Arbeitsplätzen in den Anstalten gekommen, noch habe der Anteil der Inhaftierten, die nicht arbeiten wollen, zugenommen. Bei gesetzlich vorgesehener Zwangsarbeit stelle sich jedoch die Frage, inwieweit das ILO-Übereinkommen (Internationale Arbeitsorganisation) berücksichtigt werden müsse, das die Zustimmung des Gefangenen voraussetze, wenn er an einen Privatunternehmer „verdingt oder ihm sonstwie zur Verfügung gestellt wird“. Im Alternativkommentar wird insofern auf eine Verfassungsgerichtsentscheidung verwiesen, die gegen eine Beschäftigung von Gefangenen in einem von einem Privatunternehmer unterhaltenen Betrieb keine verfassungsrechtliche Bedenken sehe, wenn die Vollzugsbehörde die öffentlich-rechtliche Verantwortung für die ihr anvertrauten Gefangenen behalte.
Für die GG/BO stellt sich aber ungeachtet dessen die Frage nach einem Mindestlohn für arbeitende Gefangene, insbesondere wenn Privatunternehmer als Arbeitgeber in den Haftanstalten fungierten. Für die Autoren des Alternativkommentars gipfelt die Diskussion über die Höhe der Gefangenenvergütung daher ebenfalls in der Frage, ob das Mindestlohngesetz (MiLoG) auch auf die Arbeit in Haft Anwendung finde. Während der Verfassungsgerichtshof des Landes Rheinland-Pfalz und das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg dies verneinten, weil Gefangene keine Arbeitnehmer im Sinne des Mindestlohngesetzes seien, sind nach Auffassung der Autoren daher die Landesgesetzgeber aufgefordert, die Lohnverhältnisse in Gefängnissen den Bestimmungen des MiLoG zumindest anzupassen. Das gelte für Pflichtarbeit und freiwillige Arbeit gleichermaßen.
In der Haft werden oft so genannte Vollzugslockerungen mit der Begründung einer angenommenen Fluchtgefahr trotz Selbststellung des Gefangenen versagt. Das reiche jedoch nicht aus. Nehme eine Vollzugsbehörde demnach eine generelle Fluchtgefahr an, ohne in ausreichendem Maße „entgegenstehende Umstände wie z.B. die Außervollzugsetzung eines Haftbefehls oder die Selbststellung zu berücksichtigten, handele sie rechtswidrig“. Im Alternativkommentar wird auf Rechtsprechungshinweise Bezug genommen.
Besonders macht der Alternativkommentar deutlich, welch einen Flickenteppich die Föderalismusreform geschaffen hat. Während z.B. im Saarland Personen, gegen die eine vollziehbare Ausweisungsverfügung vorliegt, grundsätzlich von Vollzugslockerungen ausgeschlossen sind, stellt dies z.B. in Berlin keinen Versagungsgrund dar.
In allen Ländervollzugsgesetzen sowie im bundeseinheitlichen Vollzugsgesetz ist das so genannte Vollzugsziel, wonach Gefangene befähigt werden sollen ein Leben ohne Straftaten zu führen, postuliert. Hier verspreche der Gesetzgeber „allerdings mehr, als der Vollzug einlösen könne“. Nicht nur, dass es unserer Rechtskultur widerspreche, Menschen gegen ihren Willen ändern zu wollen, treibe die Inhaftierung von Straftätern in totalen Institutionen deren „kriminelle Karriere“ häufig voran, statt sie zu beenden.
Insofern ist der Alternativkommentar nach wie vor ein fortschrittlicher Kommentar, der sich insbesondere mit den schädlichen Folgen, die für die Gefangenen durch die Haft zwangsläufig entstehen, strikt auseinandersetzt. Da sich zumindest einige der Autoren, insbesondere der ehemalige JVA-Leiter Thomas Galli, als Abolitionisten verstehen, ist das nur konsequent. Wer auf der anderen Seite hier Patentrezepte erwartet, wird allerdings enttäuscht werden. Die Gefängnistüren öffnen sich nicht von heute auf morgen. Der Kommentar zeigt aber doch Möglichkeiten auf, wie’s etwas zügiger gehen könnte und müsste – vor allem in rechtsstaatlicher Art und Weise.
Von den Themen Abolitionismus bis Zwangsmaßnahmen, wird ausführlich und kritisch in dem Alternativkommentar informiert. Von seinem Umfang her (über 1900 Seiten) weniger ein Handbuch denn eher als ein Studienwerk zu bezeichnen, liefert dieser Kommentar aber doch in allgemeinverständlicher Sprache für diejenigen, die darauf angewiesen sind (insbesondere Gefangene und ihre Rechtsanwälte), aber auch Vollzugshelfern, Sozialarbeitern und Psychologen sowie wohlwollenden Richtern und Anstaltsleitern, eine hervorragende Arbeitsvorlage, aus der sie zitieren und Rechtsauslegung im positiven und besten Sinne schöpfen können.
Feest/Lesting/Lindemann (Hrsg.): Strafvollzugsgesetze, Kommentar (AK-StVollzG), 7. Auflage, 2017, 1926 Seiten, 168 Euro.
Eine kleine Korrektur: „Woran bei der 6. Auflage offensichtlich noch nicht gedacht und dementsprechend nicht berücksichtigt wurde, ist die zwischenzeitliche Existenz einer – im Jahre 2014 in der JVA Berlin-Tegel gegründete – Gefangenengewerkschaft“. An die GG/BO konnte in der Vorauflage (2012) in der Tat noch nicht gedacht werden, weil sie erst 2014 gegründet wurde.
Aber ansonsten ist dies eine sehr informative und (für die Herausgeber sehr schmeichelhafte) Besprechung.
Wurde nun berücksichtigt und entsprechend angepasst. Dankbar für den Hinweis.
TP Presseagentur