Die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer sieht noch einige Baustellen am Selbstbestimmungsgesetz.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer lobt das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und die Änderung des Vornamens als „überfälligen Meilenstein“. Allerdings, so Ganserer, gebe es noch einige Baustellen, zum Beispiel bei Regelungen für transgeschlechtliche Eltern und deren Eintrag in die Geburtsurkunde ihrer Kinder. 

Kritisch bewertet sie außerdem den sogenannten Hausrechtsparagrafen: „Verweise auf bestehende andere Gesetze, die keine Auswirkungen haben, sind eigentlich überflüssig. Das Hausrecht gilt und wird auch in Zukunft gelten. Menschen, die sich nicht anständig benehmen, können zur Tür verwiesen werden, unabhängig davon, ob sie heterosexuell, schwul oder trans sind. Ich habe kein gutes Gefühl bei diesem Paragrafen, weil er bewusst missverstanden werden und dazu führen könnte, Menschen absichtlich zu diskriminieren.“ 

Als verstörend bezeichnet sie die Debatte über den Zugang zur Frauenhäusern oder anderen ähnlichen Bereichen: „Ich finde es schwer erträglich, dass über Frauen diskutiert wird und Sorgen geäußert werden, ohne dass man auf die Frauenorganisationen verweist. Eine ganze Reihe wichtiger Verbände, darunter auch jene der Frauenhäuser, haben sich  intensiv mit dem SBGG befasst und sich am Ende eindeutig für dieses Gesetz ausgesprochen. Ich bedaure es, dass diese Stimmen der großen Frauenverbände im gesellschaftlichen Diskurs nicht deutlich genug gehört und stattdessen mögliche Missbrauchsszenarien an die Wand gemalt werden. Für den Schutz vor Gewalt braucht es insgesamt mehr Mittel, aber das ist kein Grund, transgeschlechtlichen Menschen das Recht auf Selbstbestimmung zu verwehren.“
 

Die TP Presseagentur dokumentiert das am 18.11.2023 in der Wochenzeitung „Das Parlament“ erscheinende Interview vorab im vollen Wortlaut im Wortlaut:

Frage: Frau Ganserer, mit dem Selbstbestimmungsgesetz soll es  deutlich einfacher werden, seinen Vornamen und Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Sind aus Ihrer Sicht die diskriminierenden Hürden damit beseitigt?

Ganserer: Das Gesetz ist absolut überfällig! Diese pathologisierende, demütigende Zwangsbegutachtung von transgeschlechtlichen und nonbinären Personen endlich hinter uns zu lassen, das fordert der Europarat seit 2015. Es ist wirklich ein Meilenstein. Allerdings sehe ich im aktuellen Entwurf an einigen Punkten noch Verbesserungsbedarf.

Frage: Minderjährige können dies nicht ohne Zustimmung der Sorgeberechtigten tun. Über das Kindeswohl wurde in diesem Zusammenhang heftig diskutiert. Können Sie einschätzen, wie viele Jugendliche das überhaupt betrifft?

Ganserer: Das ist sehr schwer einzuschätzen. Aber es gibt viele Studien, die zeigen, dass sich insbesondere trans Jugendliche viele Jahre vor ihrem äußeren Coming-out, also bevor sie sich jemandem mitteilen, bewusst sind, wer und was sie sind. Sie haben über viele Jahre Angst, sich zu outen. Angst davor, im Elternhaus nicht akzeptiert, in der Schule gemobbt zu werden und Gewalt zu erfahren. Und tatsächlich erleben auch fast alle nach ihrem Coming-out Diskriminierungen. Unsere Gesellschaft macht daraus also nach wie vor eine sehr schwere Entscheidung, aber diese Jugendlichen gehen sehr reflektiert damit um.

Frage: Die Änderung des Namens und Geschlechts muss drei Monate vorher beim Standesamt angemeldet und kann frühestens nach einem Jahr wieder geändert werden. Warum diese Fristen und warum in dieser Länge?

Ganserer: Sie sind entstanden, um diesen Befürchtungen, die die Debatte plötzlich dominiert haben, irgendetwas entgegenzuhalten. Mit der Angst, dass Menschen nun leichtfertig zum Standesamt rennen und die Regelung missbrauchen könnten, wurde leider stark gespielt. Die Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern zeigen aber, dass Missbrauch so gut wie gar nicht stattfindet.

Frage: Heftig diskutiert wurde auch die Frage, welche Folgen das Gesetz für den Zugang zu Frauenhäusern oder Frauensaunen haben wird. Wie haben Sie diese Debatte empfunden?

Ganserer: Ich finde es schwer erträglich, dass über Frauen diskutiert wird und Sorgen geäußert werden, ohne dass man auf die Frauenorganisationen verweist. Eine ganze Reihe wichtiger Verbände, darunter auch jene der Frauenhäuser, haben sich  intensiv mit dem SBGG befasst und sich am Ende eindeutig für dieses Gesetz ausgesprochen. Ich bedaure es, dass diese Stimmen der großen Frauenverbände im gesellschaftlichen Diskurs nicht deutlich genug gehört und statt dessen mögliche Missbrauchsszenarien an die Wand gemalt werden. Für den Schutz vor Gewalt braucht es insgesamt mehr Mittel, aber das ist kein Grund, transgeschlechtlichen Menschen das Recht auf Selbstbestimmung zu verwehren.

Frage: Nicht zuletzt wegen dieser Diskussion wurde der Hausrechtsparagraf in das Gesetz aufgenommen. Was bringt es aus Ihrer Sicht, in diesem Zusammenhang auf das Hausrecht zu verweisen?

Ganserer: Verweise auf bestehende andere Gesetze, die keine Auswirkungen haben, sind eigentlich überflüssig. Das Hausrecht gilt und wird auch in Zukunft gelten. Menschen, die sich nicht anständig benehmen, können zur Tür verwiesen werden, unabhängig davon, ob sie heterosexuell, schwul oder trans sind. Allerdings rechtfertigt das Hausrecht auch keine Willkür. Es kann nur im Rahmen des gültigen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) angewendet werden. Ich habe kein gutes Gefühl bei diesem Paragrafen, weil er bewusst missverstanden werden und dazu führen könnte, Menschen absichtlich zu diskriminieren.

Frage: Auch für den Sport wurde klargestellt, dass die Vereine selbst entscheiden, wen sie zu welchen Wettkämpfen zulassen. Nun ist es aber gerade im Sport für trans- oder intergeschlechtliche Menschen oft schwer, akzeptiert zu werden.

Ganserer: Der Sport regelt diese Dinge bisher schon eigenständig und die großen Sportverbände haben für den Profisport längst klare Regelungen, die sportmedizinisch begründet sind. Es betrifft ja nicht nur transgeschlechtliche Menschen, sondern die Diskussion ist vor allem durch intergeschlechtliche Menschen entstanden. Der DFB hat vor zirka zwei Jahren eine Regelung beschlossen, wonach Menschen mit dem Geschlechtseintrag divers selbst entscheiden können, ob sie in einer Damen- oder Herrenmannschaft spielen wollen. Ich habe in den letzten Jahren nicht von einem Fall gehört, wo es deshalb zu Problemen gekommen wäre.

Frage: Teile der queeren Community kritisieren, das Gesetz sei immer noch nicht diskriminierungsfrei. Können Sie das nachvollziehen?

Ganserer: Ja. Denn es gibt einige Punkte wie den Hausrechtsparagrafen oder die Ausnahmen beim Offenbarungsverbot, die für Irritationen sorgen. Die Übergangsregelung beim Eltern-Kind-Verhältnis ist zum Beispiel eine deutliche Verschlimmbesserung der jetzigen Situation, weil danach insbesondere trans Frauen nach wie vor in der Geburtsurkunde ihrer Kinder zwangsgeoutet werden. Auch nonbinäre Eltern haben  Schwierigkeiten, diskriminierungsfrei in der Geburtsurkunde genannt zu werden. Es gibt also viele kleine Baustellen. Im parlamentarischen Verfahren sollten wir da mutig sein und das Gesetz weiter optimieren, damit es ein echtes Selbstbestimmungsgesetz wird.

Frage: Auf der anderen Seite des Diskurses stehen jene, die das Gesetz komplett ablehnen. Es gefährde die Akzeptanz „echter“ trans Personen, wenn kein psychologisches Gutachten mehr für die Änderung von Namen und Geschlecht nötig sei. Was entgegnen Sie denen?

Ganserer: „Echte“ trans Personen? Wer entscheidet denn das? Da verweise ich gern auf die Position der Psychotherapeutenkammer, wonach diese Zwangsbegutachtung nach dem „Transsexuellengesetz“ nichts bringt und demütigend für die Betroffenen ist.

Frage: Der Streit um die Gutachten ist das eine. Das andere ist die zum Beispiel von Alice Schwarzer geäußerte Ansicht, die Transidentität würde heute wegen eines Modetrends als Weg des geringsten Widerstandes gewählt, nach dem Motto lieber trans als schwul oder lesbisch.

Ganserer: Bezüglich der Diskriminierung von transgeschlechtlichen Menschen haben wir in Teilen unserer Gesellschaft kein Erkenntnis-, sondern ein Akzeptanzproblem. Es gibt zahlreiche Studien, die eindeutig belegen, dass transgeschlechtliche, nonbinäre Menschen, egal welchen Alters, signifikant mehr Diskriminierung erfahren als lesbische oder schwule Menschen. Zu behaupten, trans zu sein, wäre rosa Zuckerwatte, ist vollkommen realitätsfern.

Frage: Die Gewalt gegenüber transgeschlechtlichen Menschen hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Was muss die Politik tun, um sie besser zu schützen und welche Strategie haben Sie persönlich gegen den Hass?

Ganserer: Die Politik muss vor allem, das kann sonst niemand anderes tun, Benachteiligen in Recht und Gesetz abschaffen. Sie muss selbst klare Haltung zeigen, Akzeptanz vorleben und dafür werben. Die Intoleranz schleicht sich nicht einfach aus der Gesellschaft aus. Dafür braucht es permanentes aktives Handeln für Akzeptanz, für ein gutes diskriminierungsfreies Miteinander. Das macht die aktuelle Bundesregierung unter anderem mit dem Aktionsprogramm für Toleranz und Vielfalt. Und dort, wo Intoleranz in Gewalt umschlägt, muss der Rechtsstaat sich entschlossen auf die Seite der Betroffenen stellen – auch durch eine Weiterentwicklung des AGG. Ich persönlich bringe alles zur Anzeige, wenn es gerechtfertigt ist.

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