„Ein Reich, ein Volk, ein Führer…“.

Der Fernsehjournalist Klaus-Rainer Jakisch hat ein Buch über Margaret Thatcher und die deutsche Einheit geschrieben.

Von Dietmar Jochum, TP Berlin.

Solange die deutsche Einheit noch in ungewisser Ferne lag, stand die britische Premierministerin Margaret Thatcher ganz in der Tradition britischer Außenpolitik und Kontinuität ihrer Amtsvorgänger und gönnte den Deutschen den Zusammenschluß offenbar von Herzen. So gab sie 1984 mit Helmut Kohl eine gemeinsame Erklärung zu den deutsch-britischen Beziehungen ab, in der es hieß: „Die Premierministerin bekräftigte ihre Überzeugung der vorangegangenen britischen Regierungen, daß wirkliche und anhaltende Stabilität in Europa schwierig zu erreichen sein wird, solange die deutsche Nation gegen ihren Willen geteilt ist.“ In einer Erklärung der NATO zu ihrem 40jährigen Bestehen bekräftigte sie dieses Bekenntnis. Als die Einheit einige Monate später durch die Öffnung der Berliner Mauer dann in greifbare Nähe gerückt war oder – aus der Sicht eines adäquaten Betrachters – Wirklichkeit zu werden drohte, gab es für die „Eiserne Lady“, wie die sowjetische Nachrichtenagentur TASS Margarete Thatcher einst nannte, kein Halten mehr: Die Einigung Deutschlands mußte mit allen zu Gebote stehenden Mitteln verhindert werden. Über die dann enormen Anstrengungen und Motive Thatchers, die Einigung zu sabottieren und, als diese Position nicht mehr zu halten war, sie wenigstens erheblich zu verzögern, hat der u.a. als Inlands- und Börsenkorrespondent aus der Tagesschau bekannte Fernsehjournalist Klaus-Rainer Jakisch nun ein fesselndes Buch verfaßt, das den Leser am Einigungsprozeß und an den Aktivitäten der daran beteiligten Akteure – im Mittelpunkt die schon Amok laufende britische Premierministerin – minitiös teilnehmen läßt.
Es wird eine regelrecht Klinken putzende Margaret Thatcher sichtbar, die nichts unversucht läßt, zunächst bei den Bündnispartnern, aber auch bei der Sowjetunion selbst, auf die nicht nur aus ihrer Sicht immensen Gefahren und Auswirkungen hinzuweisen, die von einer Einigung für die Reformpolitik Gorbatschows (Perestroika und Glasnost), die Europäische Gemeinschaft sowie insbesondere den unmittelbaren Grenznachbarn Polen ausgehen könnten. Klaus-Rainer Jakisch zitiert den britischen Wissenschaftler Richard Davy, der die Haltung Thatchers in Bezug auf die Einigung Deutschlands mit einem weit entfernten Verwandten verglich, über den es leicht war, nett zu reden, solange er nicht tatsächlich vor der Tür stand. Und nun stand er davor, der deutsche Kanzler versprach blühende Landschaften, verfaßte ohne Rücksprache mit den Verbündeten sogar einen Zehn-Punkte-Plan, in dem noch nicht einmal die Anerkennung der Oder/Neiße-Grenze zu finden war, was die „Eiserne Lady“ zutiefst empört habe und sie dazu veranlaßte, Helmut Kohl einmal richtig die Leviten zu verlesen.
Klaus-Rainer Jakisch zeigt auch auf, daß die Haltung Thatchers zu den Deutschen bereits vor der Aussicht auf eine Einigung von starker Abneigung geprägt war.
Schon als George Bush im Mai 1989 Bonn und nicht London in den Mittelpunkt der transatlantischen Beziehungen stellte, sei Thatcher in Rage geraten und habe das als „mit Verlaub, einfach lachhaft“ bezeichnet. Die „special relationship“, die bisher das Verhältnis zwischen Großbritannien und den USA kennzeichneten, hatten damit ihren Knacks weg. Und das konnte Thatcher nicht verwinden, daß ausgerechnet diese Deutschen, die in einem Seminar auf ihrem Landsitz Chequers dann auch mit Attributen wie „Aggressivität, Angst, Minderwertigkeitskomplex, Rücksichtslosigkeit, Selbstgefälligkeit, Sentimentalität und Überheblichkeit“ versehen worden seien, nun eine Führungsrolle mit den USA in den transatlantischen Beziehungen haben sollen; denn eine solche gebühre – wie bisher – doch wohl nur den Briten.
Eine Einigung Deutschlands schien Thatchers ohnehin schon stark vorhandene Abneigung gegen die Deutschen dann nur noch zu verstärken.
Im Gegensatz zu ihren Kollegen, die in einer Einigung der beiden deutschen Staaten eine logische Konsequent der Beendigung des Kalten Krieges sahen und Bush, der – wie er später in seinen Memoiren schrieb – den Deutschen ohnehin zugestand, daß sie viel getan haben, um ihre NS-Vergangenheit aufzuarbeiten, habe Thatcehr instinktiv gefühlt, daß das Böse immer noch Teil des deutschen Charakters sei und immer wieder an die Oberfläche zurückkehren könne. Kohl, der ihrer Meinung nach ohnehin kein richtiger Politiker sei und der, wie sie es selbst erlebt habe, eine wichtige Verhandlung unterbrach, um sich ein Fußballspiel seiner Nationalelf im Fernsehen anzusehen, nahm sie ohnehin nicht ernst. Solche persönlichen Erfahrungen und Vorbehalte, aber auch ihre traumatischen Kriegserlebnisse (als 13jährige habe sie unter einem Tisch vor deutschen Bomben gesucht und dort ihre Hausaufgaben gemacht), sollen Thatchers Deutschlandspolitik bestimmend geprägt haben.
Die Verstrickung der deutschen mit der europäischen Frage war für sie ein Sturmangriff, und wenn eine Einigung schon nicht zu verhindern war, erst einmal eine neue Architektur gefunden werden mußte, in der das vereinte Deutschland keinen destabilisierenden Einfluß haben, kein übermächtiges Gebilde und kein Elefant im Porzellanladen werden würde.
Klaus-Rainer Jakisch zeichnet nach, als Margaret Thatcher bei den Bündnispartnern und der Sowjetunion letztendlich abblitzte – für die USA stellte die Einigung Deutschlands ohnehin keine Bedrohung dar – habe sie ein Mitspracherecht der KSZE-Staaten angemahnt und versucht, die EG-Länder Griechenland, Irland, Spanien und Portugal als Netto-Empfänger aus den europäischen Strukturfonds davon zu überzeugen, oder besser gesagt: zu waren, daß die schnelle Aufnahme der DDR in die EG sie zu künftigen Verlierern machen würde. Auch hier hatte sie am Ende keinen Erfolg. Lediglich Polen stand noch auf ihrer Seite, gab sich spätestens aber dann geschlagen, als es bei den betreffenden Grenzfragen eines vereinten Deutschlands am Verhandlungstisch des Zwei-Plus-Vier-Gremiums teilnehmen durfte.
Klaus-Rainer Jakisch macht plastisch deutlich, daß die Politik Thatchers, auch wenn sie teilweise von nachvollziehbaren Motiven und Argumenten geprägt war, letztendlich scheitern mußte, sie sich isolierte und am Ende abtreten mußte, weil sie an den Realitäten, aber auch an den wie immer gearteten Interessen, die andere – auch das britische Volk – mit der Einigung Deutschlands verbanden, völlig vorbeiging und Einwände kaltschnäuzig ignorierte.
Selbst im „Küchenkabinett“, ihrem aller engsten Führungszirkel, habe sie schließlich keine Rückendeckung mehr gefunden und konnte die Einigung nicht aufhalten. Bedenken aus den eigenen Reihen hinsichtlich ihrer als übertrieben empfundenen Aversionen gegen die Deutschen habe sie gewöhnlich lakonisch mit den Worten abgewürgt: „Ein Reich, ein Volk, ein Führer …“
Nichtsdestotrotz wünschen ihr heute nicht wenige – auch Deutsche -, sie hätte sich diplomatischer verhalten und die Einheit, wenn schon nicht verhindert, so doch wenigstens um 10 – 15 Jahre hinausgezögert.

Dietmar Jochum, TP Berlin

Klaus-Rainer Jakisch: Eisern gegen die Einheit. Margaret Thatcher und die deutsche Wiedervereinigung. Societätsverlag, Frankfurt am Main 2005, 360 Seiten, geb., 22,80 Euro.

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