Ein zur salafistischen Szene gehörender Prediger aus Bonn darf vorerst nicht abgeschoben werden.

Das Verwaltungsgericht Köln hat einem gegen die Bundesstadt Bonn gerichteten Eilantrag eines zur salafistischen Szene gehörenden Predigers gegen seine Ausweisung und die Androhung seiner Abschiebung in den Kosovo stattgegeben. Anhand der im Eilverfahren vorgelegten Erkenntnismittel lasse sich nicht feststellen, ob bei dem Antragsteller überhaupt ein nach den gesetzlichen Vorschriften erforderliches Ausweisungsinteresse vorliege, führt das Gericht in der Begründung seines Beschlusses vom heutigen Tag (02.10.2024) aus. Die aktuelle Gesetzeslage lasse nicht die Annahme zu, dass Anhänger des politischen Salafismus ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung darstellten und damit bereits als solche ein besonders schweres Ausweisungsinteresse erfüllten. 

Die Stadt Bonn hatte gegen den Antragsteller eine Ausweisungsverfügung erlassen und seine Abschiebung in den Kosovo angedroht. Zur Begründung führte sie aus, der Antragsteller gefährde als Anhänger des politischen Salafismus die freiheitliche demokratische Grundordnung. Jedenfalls aber gehe von ihm eine solche Gefahr aus wegen seiner vielfältigen Tätigkeiten als Prediger, als zuführender Akteur für die radikale Szene und wegen seiner Kontakte zu führenden salafistischen Predigern, Mixed-Martial-Arts-Kämpfern und Mitgliedern der so genannten Clan-Szene. Dies rechtfertige trotz seiner familiären Bindungen seine Ausweisung und die daran anknüpfende Abschiebung in den Kosovo.

Der Antragsteller stellte gegen die Ordnungsverfügung der Stadt Bonn am 24.09.2024 einen Eilantrag. Diesem gab das Gericht nunmehr statt. In der Begründung des Beschlusses heißt es: Voraussetzung für eine Ablehnung des Eilantrags wäre nach dem Prozessrecht, dass die Ordnungsverfügung offensichtlich rechtmäßig ist. Dies aber lässt sich auf der Grundlage der von der Antragsgegnerin vorgelegten und vom Gericht gründlich ausgewerteten Erkenntnismittel nicht feststellen. Zwar besteht bei dem Antragsteller eine Nähe zur salafistischen Szene. Es ist aber nichts Belastbares dafür erkennbar, dass der Antragsteller über die bloße Zugehörigkeit zum politischen Salafismus hinaus durch seine Aktivitäten die für den freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat unverzichtbaren Grundsätze angreift. Dies wäre indes Voraussetzung für das von der Antragstellerin angenommene besonders schwere Ausweisungsinteresse im Sinne der Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes (§§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Dass der Antragsteller den Terrorismus oder eine derartige Vereinigung unterstützt, was nach den gesetzlichen Vorgaben ebenfalls ein besonders schweres Ausweisungsinteresse begründen würde, lässt sich anhand der vorgelegten Erkenntnisse ebenfalls nicht feststellen. Dies wird auch von der Antragsgegnerin nicht angenommen. Ebenso wie diese hat das Gericht ferner nicht feststellen können, dass der Antragsteller selbst öffentlich zu Gewalt oder Hass aufgerufen hätte (§ 54 Abs. 1 Nr. 4 oder 5 AufenthG). Insoweit trifft die Bezeichnung des Antragstellers als Hassprediger jedenfalls nach dem Erkenntnisstand des Gerichts, der sich auch auf eine Sichtung umfangreichen Videomaterials stützt, nicht zu.

Nach Überzeugung des Gerichts lässt die aktuelle Gesetzeslage nicht die Annahme zu, dass Anhänger des politischen Salafismus, zu denen grundsätzlich auch der Antragsteller gehören dürfte, ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung darstellen und damit bereits als solche ein besonders schweres Ausweisungsinteresse erfüllen. Ein Gesetzesänderungsvorhaben mit der Intention, in solchen Fällen bereits ein besonders schweres Ausweisungsinteresse anzunehmen, ist zuletzt im Bundestag gescheitert (vgl. BT-Drucksache 20/11663).

Abgesehen davon ist derzeit offen, ob sich der Antragsteller gegenüber einem etwaigen Ausweisungsinteresse im Hinblick auf das Zusammenleben mit seiner Ehefrau und drei minderjährigen Kindern, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, auf schwerwiegende Bleibeinteressen berufen kann. Eine Ausweisung wäre dann zulässig, wenn das damit verbundene gewichtige Interesse des Antragstellers an einem Verbleib im Bundesgebiet in einer Abwägung hinter dem Ausweisungsinteresse zurückstünde. Dies lässt sich nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens jedenfalls nicht schon im Hinblick auf bekannt gewordene Fälle häuslicher Gewalt und eine Bedrohungslage für die damals fünfjährige Tochter des Antragstellers bejahen. Denn Jugendamt und Familiengericht haben mangels Fortbestands einer Gefährdungslage entsprechende Verfahren eingestellt.

Offen und weiter aufzuklären ist ferner, ob dem Antragsteller wegen seiner Bindung zu den deutschen Kindern ein aus dem Recht der Europäischen Union resultierendes Aufenthaltsrecht zusteht. In diesem Fall wäre seine Ausweisung nur unter noch höheren rechtlichen Anforderungen zulässig.

Da sich danach im Eilverfahren nicht feststellen lässt, ob die Ordnungsverfügung offensichtlich rechtmäßig oder rechtswidrig ist, hat das Gericht eine Abwägung zu treffen zwischen dem Interesse des Antragstellers am vorläufigen Verbleib in Deutschland bis zur Entscheidung des Gerichts im Klageverfahren und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisungsverfügung. Dabei überwiegt das Bleibeinteresse des Antragstellers wegen der Auswirkungen einer sofortigen Abschiebung auf seine noch kleinen Kinder und angesichts des Umstands, dass derzeit eine von ihm persönlich ausgehende Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht belegt ist.

Sollte sich im Laufe des Hauptsacheverfahrens durch Vorlage weiterer Erkenntnisse erweisen, dass der Antragsteller die für den freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat unverzichtbaren Grundsätze durch eigene Aktivitäten angreift oder angegriffen hat, wäre eine Abänderung des jetzt ergangenen Beschlusses zulasten des Antragstellers jederzeit grundsätzlich möglich. In diesem Fall müsste auch sein im Hinblick auf seine Kinder bestehendes Bleibeinteresse neu bewertet werden.

Gegen den Beschluss können die Beteiligten Beschwerde einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Sitz in Münster entscheiden würde.

Aktenzeichen: 5 L 1832/24

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