Nach dem gestrigen sog. „Ampel-Aus“ und der Entlassung von Christian Lindner als Finanzminister, sind heute nun Bettina Stark-Watzinger und Marco Buschmann von ihren Ministerämtern zurückgetreten. Volker Wissing trat dagegen gänzlich aus der FDP aus, will aber Minister bleiben.
Marco Buschmann gab heute folgende Erklärung ab:
Ich habe heute den Herrn Bundeskanzler ersucht, mich aus dem Amt des Bundesministers der Justiz zu entlassen. Folgende Gründe haben mich dazu bewogen:
I.
Deutschland steht vor großen Herausforderungen: außen- und sicherheitspolitisch, aber gerade auch ökonomisch. Der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands kommt eine Schlüsselrolle zu. Sie ist Grundlage für einen hohen Lebensstandard, sozialen Zusammenhalt und die Möglichkeit durch Talent und Fleiß aufzusteigen. Darüber hinaus schafft wirtschaftlicher Erfolg die Basis für die Stärkung von Menschenrechten, geopolitischen Einfluss und die Begrenzung der schädlichen Auswirkungen des Klimawandels. Denn wer Wohlstand aufbauen und erhalten kann, dem wird auf internationalem Parkett zugehört. Nur wer Wohlstand aufbauen und erhalten kann, kann sich auch die Wirkmittel leisten, die zur Verteidigung unseres liberalen Lebensmodells gegen Angriffe von außen nötig sind, und so Aggressoren angemessen abschrecken.
Die derzeitige Stagnation unserer Wirtschaft beschleunigt dagegen die Zentrifugalkräfte der Gesellschaft. Sie läuft Gefahr, auf den Pfad einer Nullsummen- oder gar Schrumpf- Logik abzugleiten. Hier drohen brutale Verteilungskämpfe, weil man nur noch etwas gewinnen kann, indem man anderen etwas wegnimmt. Die Verrohung der Debattenkultur in den letzten Jahren fällt nicht zufällig in eine Zeit wirtschaftlicher Rückschläge.
In einem solchen Umfeld gedeihen die Prinzipien des Rechts und der Humanität nicht gut.
Auch im US-Wahlkampf hat die Sorge um die wirtschaftliche Zukunft mit zu einer starken Polarisierung beigetragen. Es droht uns eine Zeit der Wölfe, in der zunehmend wieder das Hobbessche Wort vom „homo homini lupus“ gilt. Das muss auch einen Justizminister umtreiben.
II.
Die Wachstumsinitiative, die zur Überwindung der wirtschaftlichen Stagnation von den Spitzen der Koalition vereinbart worden ist, enthält eine Reihe nützlicher Beiträge, um die Leistungsbereitschaft in Deutschland zu stärken. Sie ist aber vor dem Hintergrund der aktuellen Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute eher zu klein als – in Anbetracht der aktuellen ökonomischen Herausforderungen – wirklich angemessen geraten.
Der Finanzminister hat innerhalb der Bundesregierung Vorschläge gemacht, um in dieser Lage eine Wirtschaftswende zum Besseren zu erreichen. Diese lagen den Koalitionspartnern seit letzter Woche vor. Nachdem sie öffentlich wurden, sind sie auf viel Zustimmung in Wirtschaft und Wissenschaft gestoßen. Im Koalitionsausschuss vom 6. November sollte beraten werden, was daraus für die Wirtschaftspolitik der Regierung folgen solle.
In dieser Sitzung hat der Bundeskanzler ein Maßnahmenpapier vom gleichen Tage vorgelegt. Es enthielt unter anderem eine Aussetzung der Schuldenbremse. Zudem enthielt es einige wenige – im Vergleich zur oben genannten Wachstumsinitiative – zusätzliche Maßnahmen, die aber kaum geeignet erscheinen, eine substanzielle Wirtschaftswende zu Besseren herbeizuführen.
Die FDP-Mitglieder im Koalitionsausschuss haben ihre Skepsis gegenüber der Aussetzung der Schuldenbremse signalisiert, waren im Übrigen aber bereit, weitere Gespräche über die Zusammenführung der verschiedenen Vorstellungen zu führen. Als sich hier kein Konsens abzeichnete, hat der Bundesfinanzminister vorgeschlagen, dass die drei Koalitionsparteien gemeinsam den Weg zu Neuwahlen freimachen, um dem Land geordnet und in Würde eine demokratische Richtungsentscheidung zu ermöglichen. Dies hat der Bundeskanzler zurückgewiesen. Vielmehr hat er darauf bestanden, dass sich der Bundesfinanzminister in der Sitzung bereit erklären solle, einem Beschluss zur Aussetzung der Schuldenbremse politisch zuzustimmen. Sonst könne man nicht zusammenkommen.
Der Bundesfinanzminister hat daraufhin klargestellt, dass er ökonomische und verfassungsjuristische Zweifel gegen dieses Vorgehen hegt. Ich teile diese Skepsis, da mir schon der Veranlassungszusammenhang zwischen der Begründung einer Haushaltsnotlage und den damit zu finanzierenden Maßnahmen nicht plausibel erscheint. Keinesfalls kann eine solche Entscheidung spontan ohne jede seriöse Prüfung erfolgen. Daher sah sich der Bundesfinanzminister meiner Ansicht nach völlig zu Recht außer Stande, dem Wunsch des Bundeskanzlers zu entsprechen. Daraufhin hat der Bundeskanzler bekundet, nicht mehr mit dem Bundesfinanzminister zusammenarbeiten zu wollen. Damit war die Koalition aufgekündigt. Sodann habe ich dem Bundeskanzler angekündigt, dass ich ihn unverzüglich schriftlich um die Entlassung aus dem Amt ersuchen werde. Warum der Bundeskanzler den geordneten Weg zu Neuwahlen ausgeschlagen hat, um sodann selbst die Koalition aufzukündigen und in völlig unklaren Verhältnissen Neuwahlen anzustreben, erschließt sich mir nicht.
III.
In den letzten drei Jahren ist in der Rechtspolitik vieles gelungen, wofür ich mich ausdrücklich bei den Mitarbeitenden in meinem Haus und den politischen Partnern, mit denen dies im Parlament erreicht wurde, bedanken möchte:
Die verfassungspolitisch zweifelhafte epidemische Lage nationaler Tragweite wurde unverzüglich außer Kraft gesetzt. Der übergroße Teil der coronabedingten Grundrechtseingriffe endete bereits im Frühjahr 2022. Der Schutz der Bürgerrechte blieb stets Leitmotiv der rechtspolitischen Arbeit: sei es beim Thema Vorratsdatenspeicherung, der sogenannten Chat-Kontrolle oder dem Schutz der Wohnung vor heimlichen Durchsuchungen. Deutschland kam rechtspolitisch gleich mehrfach auf der Höhe der Zeit an: Der Anachronismus des strafbewehrten Informationsverbotes für Ärztinnen und Ärzte über Schwangerschaftsabbrüche im alten § 219a StGB endete. Nach zehn gescheiterten Anläufen gelang eine historische Reform der Ersatzfreiheitsstrafe. Das Namensrecht wird nun den Anforderungen einer modernen Gesellschaft gerecht.
Mit einer Fülle von Maßnahmen haben wir materielles Recht und Prozessrecht digitalisiert – einschließlich einer Grundgesetzänderung, die die digitale Verkündung von Gesetzen ermöglicht. Mit der Digitalisierungsinitiative für die Justiz ist in eng abgestimmter und partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den Bundesländern ein großer Erfolg gelungen.
Erste Grundlagen für die künftige Entwicklung einer Bundesjustizcloud sind gelegt.
Das BMJ setzte aktiv Akzente in der Justizaußenpolitik: Wir etablierten in Folge des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine zum ersten Mal in der Geschichte einen G7-Justizministertrack. Deutschland modernisierte sein Völkerstrafgesetzbuch und stärkte die völkerstrafrechtlichen Ermittlungseinheiten des Generalbundesanwalts. Als Bundesminister der Justiz übernahm ich Entscheidungsverantwortung, um zum Gelingen des historischen Gefangenenaustauschs vom 1. August 2024 beizutragen, mittels dessen fünf deutsche Staatsbürger und zahlreiche Gesichter eines möglichen demokratischen Russlands der Zukunft ihre Freiheit zurückerhielten.
Der „Sonderauftrag Bürokratieabbau“ führte zu ersten Achtungserfolgen: Das Meseberger Bürokratieabbaupaket realisierte eine Einsparung von Erfüllungsaufwand in Höhe von ca. 3,5 Mrd. EUR jährlich. Der Bürokratiekostenindex sank zeitweise auf sein Allzeittief. Das erste Mal seit 2019, so berichtete der Nationale Normenkontrollrat zuletzt, sind die Belastungen für die Wirtschaft nicht gestiegen, sondern gesunken. Das Projekt „Gebäudetyp E“ mit einem prognostizierten Entlastungsvolumen von über 8 Mrd. EUR ist bis zur Kabinettsreife gelangt. Es sollte unbedingt noch im Parlament beschlossen werden. Freilich sind viele dieser Achtungserfolge durch einen nicht enden wollenden Strom neuer Regulierungen der EU-Kommission wieder zu Nichte gemacht worden. Der deutsche Gesetzgeber kann gar nicht so schnell Bürokratie abbauen, wie sie die EU derzeit nachproduziert. Es ist daher zu hoffen, dass die deutsch-französische Initiative zum Abbau von Bürokratie auf EU-Ebene von der neuen Kommission beherzt aufgegriRen und umgesetzt wird.
Schließlich gelang es, einen politischen Kompromiss zu moderieren, mit dem sich eine ganz breite Mehrheit seriöser Demokraten bereitfand, das Grundgesetz ändern zu wollen. Ziel ist es, die Arbeitsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts gegen Attacken auf seine Unabhängigkeit abzusichern, wie wir sie in den letzten Jahren etwa in Polen beobachten konnten. Es ist wichtig, dass dieser wertvolle Kompromiss nicht der Diskontinuität anheimfällt.
IV.
Die Aufgabe als Bundesminister der Justiz hat mir viel Freude bereitet. Sie erwuchs aus der ehrenvollen Aufgabe, mich meinen Leitprinzipen Recht und Freiheit mit ganzer Kraft widmen zu können. Die Freude erwuchs auch aus dem großartigen Ministerium, das ich leiten durfte. Dort arbeiten hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie haben mich mit offenen Armen empfangen – und ich darf sagen, dass ich diese Arme immer gut ausgelastet habe. Gemeinsam haben wir viel erreicht. Wer auch immer mir im Amt nachfolgen möge, kann sich auf den professionellen Rat und die loyale Unterstützung des Hauses für Recht und Freiheit verlassen.
Fotoquellen: TP Presseagentur Berlin