OLG Düsseldorf legt die Sache dem EuGH vor.
Der 1. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat heute
über die Beschwerden von Facebook gegen
die Abstellungsverfügung des Bundeskartellamts vom 6. Februar 2019 (B6
? 22/16) verhandelt (vgl. die ankündigende Pressemitteilung).
Das Amt hatte der irischen Facebook-Gesellschaft, welche die für
kartellrechtswidrig erachtete Datenerhebung und Datenverwendung vornimmt,
ferner deren deutschen Schwestergesellschaft, zudem der amerikanischen
Muttergesellschaft des Facebook-Konzern sowie schließlich allen mit den drei
genannten Gesellschaften „verbundenen Unternehmen“ untersagt, nutzer-
und gerätebezogene Daten der Facebook-Nutzer, die bei der gleichzeitigen
Nutzung von WhatsApp, Instagram und Oculus erhoben und gespeichert werden, mit
den Facebook-Daten zu verknüpfen und zu verwenden, ferner die geräte- und
nutzerbezogenen Daten, die bei dem Besuch dritter Webseiten oder der Nutzung
mobiler Apps dritter Anbieter generiert werden (Facebook Business Tools), zu
verknüpfen und zu verwenden, sofern der Facebook-Nutzer in diese Datenerhebung
und Datenverwendung nicht zuvor nach den Bestimmungen der
Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) eingewilligt hat.
Der Senat hat in der Verhandlung im Einzelnen zur Sach- und Rechtslage Stellung
genommen.
1.
Hinsichtlich der Erwägungen,
mit denen das Amt seine Entscheidung in der angefochtenen Verfügung begründet
hatte, ist der Senat zu dem Ergebnis gelangt, dass über die
Facebook-Beschwerden erst nach Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Union
(EuGH) entschieden werden kann. Die Frage, ob Facebook seine marktbeherrschende
Stellung als Anbieter auf dem bundesdeutschen Markt für soziale Netzwerke
deshalb missbräuchlich ausnutzt, weil es die Daten seiner Nutzer unter Verstoß
gegen die DSGVO erhebt und verwendet, kann ohne Anrufung des EuGH nicht
entschieden werden. Denn zur Auslegung europäischen Rechts ist der EuGH
berufen. Der Senat folgt mit einer Vorlage der Anregung, die das
Bundeskartellamt selbst im Eilverfahren gegen die angefochtene Amtsentscheidung
geäußert hatte.
2.
Zu den Ausführungen, mit
denen der Bundesgerichtshof im Eilverfahren das einstweilige
Rechtsschutzbegehren von Facebook zurückgewiesen hatte und auf welche sich das
Amt im Beschwerdeverfahren ergänzend stützt, hat der Senat auf mehrere
rechtliche Gesichtspunkte hingewiesen.
Der Bundesgerichtshof hatte angenommen, dass sich die Amtsverfügung aus dem
Gesichtspunkt der aufgedrängten Leistungserweiterung rechtfertige. Facebook sei
vorzuwerfen, dass die Nutzer ihres sozialen Netzwerks keine Wahlmöglichkeit
zwischen einer Nutzung des Netzwerks nur aufgrund ihrer dem Netzwerk
Facebook.com selbst überlassenen Daten (kleine Datenmenge) und einer Nutzung
des Netzwerks auch aufgrund ihrer außerhalb des Netzwerks, d.h. u.a. bei
WhatsApp, Instagram und Oculus sowie auf dritten Webseiten und Apps
hinterlassenen Daten (große Datenmenge) eingeräumt werde. Dadurch, so der
Bundesgerichtshof, werde den Facebook-Nutzern eine Leistungserweiterung
aufgezwungen.
Der Senat hat ausgeführt, dass ein Kartellgericht nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs nicht befugt ist, die Begründung der Amtsverfügung in einem
Umfang auszuwechseln, dass sich das Wesen der kartellbehördlichen Entscheidung
ändert, und dass unter Berücksichtigung der dazu bislang ergangenen
höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des
Bundesverwaltungsgerichts vieles dafür spricht, dass es sich bei dem Vorwurf
der aufgedrängten Leistungserweiterung um einen gänzlich anderen,
wesensverschiedenen Kartellverstoß handelt.
Der Senat hat ferner die Frage aufgeworfen, ob der Kartellverstoß einer
fehlenden Wahlmöglichkeit des Facebook-Nutzers überhaupt vom Verbotsausspruch
des Amtes umfasst wird. Er hat in diesem Zusammenhang ferner darauf verwiesen,
dass sich eine „aufgedrängte“ Leistungserweiterung möglicherweise auch
dadurch verhindern lässt, dass der Facebook-Nutzer in die streitbefangene
Datenerhebung und Datenverwendung „eingewilligt“ haben muss. Daneben
kommen weitere Möglichkeiten in Betracht, mit denen Facebook den in Rede
stehenden Kartellverstoß abstellen kann. Facebook kann nicht nur sein soziales
Netzwerk in Deutschland schließen, sondern ? wie der Bundesgerichtshof meint ?
in seinen Nutzungsbedingungen auch eine Wahlmöglichkeit zwischen der Erhebung
und Verwendung einer erlaubten kleinen Datenmenge und der unerlaubten großen
Datenmenge einräumen. Die Auswahl unter diesen Abstellungsalternativen wird
Facebook unter Verstoß gegen § 32 GWB womöglich genommen, wenn ihm aufgegeben
wird, einen kartellrechtmäßigen Zustand dadurch herzustellen, dass der Facebook-Nutzer
vor einer Datenerhebung und Datenverwendung eingewilligt haben muss.
Darüber hinaus hat der Senat näher dargelegt, dass sich jedenfalls für einen
Teil der streitbefangenen Nutzerdaten, nämlich insbesondere für diejenigen von
Instagram und Oculus, keine tragfähigen Feststellungen zu den vom
Bundesgerichtshof für relevant erachteten Fragen treffen lassen, ob den
Facebook-Nutzern eine Leistung aufgedrängt werde, die sie möglicherweise nicht
wollen und die im Wettbewerb nicht zu erwarten gewesen wäre, und ob durch diese
Leistungserweiterung die Facebook-Konkurrenten im Wettbewerb behindert werden.
3.
Abschließend hat der Senat
begründet, dass der Verbotsausspruch des Amtes fehlerhaft ist, soweit die
verbundenen Unternehmen der drei verfahrensbeteiligten Facebook-Gesellschaften
in die Pflicht genommen werden, und ferner auch, soweit das Amt die deutsche
Schwestergesellschaft der datenerhebenden irischen Facebook-Gesellschaft und
die amerikanische Muttergesellschaft des Facebook-Konzerns in Anspruch genommen
hat. Den verbundenen Unternehmen ist vor Erlass der angefochtenen
Amtsentscheidung schon kein rechtliches Gehör gewährt worden. Die
Inanspruchnahme der deutschen Schwestergesellschaft ist fehlerhaft, weil diese
keinen bestimmenden Einfluss auf ihr irisches Schwesterunternehmen besitzt und
deshalb zur Abstellung des Kartellverstoßes nicht maßgeblich beitragen kann.
Der Verfügungserlass gegen die Facebook-Muttergesellschaft ist rechtswidrig,
weil sie im Ermessen des Amtes steht und das Amt keinerlei Ermessenserwägungen
angestellt hat. Das Amt hat überdies keine Anhaltspunkte dafür festgestellt,
dass die irische Facebook-Gesellschaft dem kartellbehördlichen Gebot keine
Folge leisten wird und aus diesem Grund auch das Mutterunternehmen in die
Pflicht genommen werden muss.
Der Senat hat am Ende der mündlichen Verhandlung zur Auslegung von Bestimmungen
der DSGVO einen Vorlagebeschluss an den EuGH seinem wesentlichen Inhalt nach
verkündet. Der Beschluss wird in den nächsten Wochen schriftlich abgesetzt und
den Verfahrensbeteiligten zugestellt werden.
Düsseldorf, 24. März 2021
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