Lage und Zukunft der Dritten Gewalt in Deutschland und Europa.

Von Hans-Jürgen Papier.

Am 09. Juni 2018 fand im Jüdischen Museum in Berlin der Festakt zum 550. Jubiläum des Kammergerichts statt. Das Kammergericht residierte in diesem Gebäude von 1735 bis 1913. Die TP Presseagentur Berlin dokumentiert die einzelnen Festreden (hier die des Ex-Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Prof. Dr. Dres. H.C. Hans-Jürgen Papier). Bericht folgt später. Es gilt das gesprochene Wort.

Rede zum 550. Jubiläum des Kammergerichts am 09.06.2018 im Jüdischen Museum in Berlin.

 Rede Prof. Papier – Lage und Zukunft der Dritten Gewalt in Deutschland und Europa (3)

Vorbemerkung „Ja, wenn das Kammergericht in Berlin nicht wäre“, so die Antwort des Müllers von Sanssouci, die vor allem in der Wendung „Il y a des juges à Berlin“ geradezu Weltruhm erlangte. Gemeinhin wird dieser Ausspruch als Ausdruck des Vertrauens der Preußen in die Justiz, in ihre Unparteilichkeit und in die von ihr verfolgte Gerechtigkeit unter Friedrich dem Großen gewertet. Es lässt deshalb schon aufhorchen, wenn rund 220 Jahre später und unter verfassungsrechtlich gesicherten rechtsstaatlichen Bedingungen ein Verlust des Vertrauens der Bürger in den Rechtsstaat und in sein Rechtssystem beklagt wird, eine Klage, die man etwa den Äußerungen des Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa, entnehmen muss. Was ist dran an solchen Klagen des Verlustes an Respekt und Wertschätzung für das Rechtssystem, die mit der allgemeinen Befürchtung einhergeht, dass das Recht zunehmend in die Defensive gerate, weil es nicht mehr konsequent angewendet werde (Jens Gnisa). In einer solchen Situation scheint es mir angemessen, einige Überlegungen zur Lage und Zukunft der Dritten Gewalt in Deutschland und Europa anzustellen, ohne hierbei den Anspruch einer auch nur annähernden Vollständigkeit zu erheben.

Deutschland weist eine Reihe von „Vorzeigeprodukten“ in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft auf, die im Ausland Achtung, manchmal sogar Bewunderung und Übernahmetendenzen erzeugen. Die rechtsprechende Gewalt, ihre Effizienz, ihre geregelten Strukturen und ihre Unabhängigkeit gehörten Jahrzehnte mit Sicherheit dazu. Laut den Ergebnissen einer im Jahre 2011 vorgelegten Untersuchung des „World Justice Project“ zu Rechtsstandards und Qualität von Rechtssystemen in knapp 70 Ländern war „mit Blick auf Recht und Gesetz Deutschland eines der führenden Länder“, Deutschland habe das zweitbeste zivile Justizsystem weltweit. Dabei ist ziemlich erschreckend, wie defizitär bei weltweiter Betrachtung die richterliche Unabhängigkeit rechtlich verankert und tatsächlich gesichert ist. In nicht wenigen Staaten dieser Erde sind richterliche Verfahren und Entscheidungen nicht mehr als eine Farce und wirken wie Inszenierungen eines traurigen Theaters, aufgeführt von erbarmungswürdigen Personen, denen man immerhin pompöse Verkleidungen angelegt hat.

  1. Rechtsstaatlichkeit und Justizgewähr a) Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehören zu dem Identitätskern der verfassungsmäßigen Ordnung Deutschlands. Die verfassungsmäßige Ordnung im Bund und in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland muss den Grundsätzen des demokratischen und sozialen Rechtsstaats entsprechen (Art. 20, 28 Abs. 1 GG). „Demokratie ist gewiss ein preisenswertes Gut, Rechtsstaat aber ist wie das tägliche Brot, wie Wasser zum Trinken und wie Luft zum Atmen, und das Beste an der Demokratie gerade dieses, dass nur sie geeignet ist, den Rechtsstaat zu sichern“. Diese vielleicht etwas pathetisch klingenden Worte stammen aus dem Jahre 1946. Niedergeschrieben wurden sie von dem bekannten Rechtsphilosophen Gustav Radbruch am Schluss seines berühmten Aufsatzes „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“, und zwar – um hier die Bayerische Verfassung aus ihrer Präambel zu zitieren – „angesichts des Trümmerfeldes“, das die Terrorherrschaft und der Militarismus des Nationalsozialismus in Deutschland hinterlassen hatten. Dabei war es eine schmerzliche Erkenntnis der Nachkriegszeit, dass die Weimarer Verfassung trotz ihrer demokratischen Mehrheits- und Verfahrensregelungen die Terrorherrschaft des Nationalsozialismus und damit das entsetzlichste Unrecht, welches überhaupt jeder Rechtsnatur entbehrte, nicht hatte verhindern können; dass also Demokratie eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für die Bewahrung von Rechtsstaatlichkeit ist und dass es deshalb über die demokratischen Vorgaben der Verfassung hinaus eines weiteren Schutzmechanismus für die menschliche Freiheit und Würde bedarf.
  2. b) Rechtsstaatlichkeit kann man nicht auf einen einfachen definitorischen Nenner bringen, aber mit Sicherheit gehören die uneingeschränkte Herrschaft des Rechts, seine Unverbrüchlichkeit und seine Durchsetzbarkeit für und gegen jedermann dazu. Rechtsstaatlichkeit beinhaltet ferner das Gewaltmonopol des Staates, die Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt sowie das Recht eines jeden Bürgers auf staatliche Justizgewährung. Rechtsstaatlichkeit im Sinne des Grundgesetzes zeichnet sich aber auch durch die Etablierung einer Grundrechteordnung und einer auf ihr beruhenden Werteordnung aus.
  3. c) Dem grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzip ist also der allgemeine Justizgewährungsanspruch als umfassende verfassungsrechtliche Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes immanent. Die vom Grundgesetz konstituierte Rechtsstaatlichkeit knüpft an eine Rechtsstaatsidee an, für die schon im 19. Jahrhundert die untrennbare Verknüpfung der Herrschaft des Rechts mit ihrer Durchsetzung durch die rechtsprechende Gewalt bestimmend war. Otto Bähr formulierte bereits im Jahre 1864 in seiner Schrift „Der Rechtsstaat“ jene Verknüpfung mit folgenden Worten: „Damit der Rechtsstaat zur Wahrheit werde, genügt es nicht, dass das öffentliche Recht durch Gesetze bestimmt sei, sondern es muss auch eine Rechtsprechung geben, welche das Recht für den concreten Fall feststellt, und damit für dessen Wiederherstellung, wo es verletzt ist, eine unzweifelhafte Grundlage schafft“.

Dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ist mithin die Gewährleistung staatlichen Rechtsschutzes immanent, die einen Ausgleich für das staatliche Gewaltmonopol, das Selbsthilfeverbot für den Bürger und seine prinzipielle Friedenspflicht darstellt. „Aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ist auch für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten…die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes abzuleiten…“ (BVerfGE 54, 277, 291). Diese Feststellung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich auf den allgemeinen Justizgewährungsanspruch, der neben der speziellen grundgesetzlichen Rechtsschutzverbürgung gegenüber Akten der öffentlichen Gewalt im Art. 19 Abs. 4 GG im Wesentlichen für die bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten eine eigenständige Bedeutung hat.

Die rechtsstaatliche Verpflichtung zur Justizgewährung bezieht sich auf die Zugänglichkeit und die Wirksamkeit eines richterlichen Rechtsschutzes. Justizgewährung in diesem Sinne bedeutet Rechtsschutz durch den Richter. Andere Justizorgane, erst Recht andere staatliche Organe oder sonstige öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Einrichtungen vermögen den verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsschutz nicht zu gewähren. Damit muss grundsätzlich auch in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten der Zugang zu einem staatlichen Gericht deutscher Gerichtsbarkeit eröffnet sein.

  1. Justizgewährung, Schlichtung und Schiedsgerichtsbarkeit a) Das schließt allerdings eine privatautonome Streitentscheidung durch eine Schieds- oder Verbandsgerichtsbarkeit nicht aus, doch sind auch in diesen Fällen die Zuständigkeit und die Kontrollkompetenz der staatlichen Gerichte nicht völlig verdrängt oder verdrängbar. So unterliegen schiedsgerichtliche Entscheidungen etwa einer gewissen staatlich-gerichtlichen Missbrauchs- oder Evidenzkontrolle, beispielsweise wegen der Einhaltung des Verfahrensrechts einschließlich der Gewährung rechtlichen Gehörs und der Wahrung der guten Sitten und der öffentlichen Ordnung. Auch im Bezug auf die vereinsrechtliche Disziplinargewalt gilt eine begrenzte staatliche Rechtsschutzgewähr. Die prinzipielle Gewährleistung des Zugangs zu den staatlichen Gerichten hindert den Gesetzgeber des Internationalen Privatrechts grundsätzlich nicht, bei Zivilsachen mit dominierender oder doch erheblicher Auslandsberührung den Rechtsweg zu den deutschen Gerichten zugunsten einer auswärtigen Gerichtsbarkeit auszuschließen. Solche Regelungen sind allerdings dann mit der Justizgewährungsverpflichtung unvereinbar, wenn die Verweisung an die ausländische Gerichtsbarkeit mangels einer tatsächlichen Auslandsberührung willkürlich oder mangels einer rechtsstaatlichen Mindestanforderungen genügenden auswärtigen Gerichtsbarkeit für die Beteiligten unzumutbar ist.
  2. b) Der allgemeine Justizgewährungsanspruch ist grundsätzlich auf einen Rechtsschutz und eine Streitentscheidung durch eine richterliche Gewalt gerichtet, deren Träger den Anforderungen der Art. 97, 98 GG entsprechen. Mit der Feststellung, dass bei der Erfüllung des Justizgewährungsanspruchs der Funktionsvorbehalt des Art. 92 GG eingreift und eine Delegation auf Private ausscheidet, ist indes noch nichts darüber gesagt, wann eine Erfüllung des Justizgewährungsanspruchs durch den Staat stattfindet. Das Hauptkennzeichen der richterlichen Tätigkeit, mit der der Justizgewährungsanspruch erfüllt wird, ist, dass ein Streit – vorbehaltlich etwaiger Rechtsmittel – abschließend und rechtsverbindlich entschieden wird. Nur für diese Tätigkeit verbietet Art. 92 GG eine Delegation auf nicht-richterliche, also auch auf private Stellen. Nicht jede vom Staat veranlasste oder privatautonom vereinbarte Befassung irgendeiner Person oder Institution mit der rechtlichen Prüfung einer Angelegenheit ist aber bereits Teil der Erfüllung des Justizgewährungsanspruchs. Vorgeschaltete Verfahren von privaten Gerichten können grundsätzlich zulässig sein, auch wenn in ihrem Rahmen kein Richter mit der Angelegenheit befasst wird.

Die Frage. ob solche konkreten Verfahren, sei es vor einer privaten oder staatlichen Stelle, im Einzelfall mit dem Justizgewährungsanspruch vereinbar sind, lässt sich daher nicht pauschal beantworten, sondern nur indem es als rechtfertigungsbedürftige Beschränkung des Justizgewährungsanspruchs auf die Verfassungsmäßigkeit und speziell Verhältnismäßigkeit hin überprüft wird. Solche Verfahren sind jedenfalls dann verfassungsrechtlich unproblematisch, wenn und soweit sie den traditionellen gerichtlichen Rechtsschutz nicht ersetzen oder auch nur unverhältnismäßig beschränken, sondern ihn ergänzen.

  1. c) Mit der europäischen „Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten“ vom 21. Mai 2003, die bis zum 9. Juli 2015 in nationales Recht umzusetzen war, wurde so eine grundlegende Veränderung des Rechtsschutzsystems in die Wege geleitet. Die Verbraucher bekommen flächendeckend einen neuen Zugang zum Recht, der den traditionellen staatlichen gerichtlichen Rechtsschutz ergänzt. Im Vollzug dieser Richtlinie sieht das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz den Zugang der Verbraucher zu einem außergerichtlichen Schlichtungsverfahren durch branchenspezifische private Schlichtungsstellen sowie durch behördliche Auffangschlichtstellen vor. Die Beteiligung an einem Beschwerdeverfahren ist für die Verbraucher und Unternehmer freiwillig, das außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren wird somit verrechtlicht und als anerkanntes Instrument des Verbraucherschutzes dem Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten zur Seite gestellt. Erledigungen durch Streitschlichtung können für die Betroffenen kostengünstiger und vielfach wohl auch schneller erfolgen als eine gerichtliche Auseinandersetzung, sodass eine „befriedende Bewältigung des Konflikts“ vom Bundesverfassungsgericht als ausreichend erachtet worden ist, um eine Verfassungskonformität selbst eines obligatorischen vorgerichtlichen Schlichtungsverfahrens zu bejahen.
  2. d) Festzuhalten bleibt, dass es durch solche Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung zwar zu einer gewissen Verzögerung des Zugangs zu den staatlichen Gerichten kommen kann, dass die Vorteile einer außergerichtlichen befriedenden Bewältigung des Konflikts aber in der Regel überwiegen und dass es jedenfalls zu keiner Verletzung des Justizgewährungsanspruchs, sondern eher insgesamt und letzten Endes zu einer Bestärkung der staatlichen Justizgewähr infolge der Entlastungswirkung kommt.
  3. Rechtsschutz in angemessener Zeit a) Der Justizgewährungsanspruch betrifft nicht nur den Zugang zu den Gerichten als solchen, sondern auch die Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes. Dazu gehört, dass der Streitgegenstand einer umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung durch den Richter zugänglich ist und dass diese Prüfung mit einer verbindlichen Entscheidung abschließt. Mit der Garantie eines tatsächlich wirksamen richterlichen Rechtsschutzes ist auch die zeitliche Komponente angesprochen. Problematisch kann im Hinblick auf die Rechtsschutzeffizienz vor allem die Dauer der Rechtsschutzverfahren sein. Welche Zeit angemessen für den Rechtsschutz ist, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, etwa der Schwierigkeit des Einzelfalls, der Verfahrensart oder der Eilbedürftigkeit. Eine generelle Betrachtungsweise ist nicht möglich.
  4. b) Zur Sicherung eines „zeitgerechten“ Rechtsschutzes kann sich für die Gesetzgebung die Notwendigkeit ergeben, Instanzenzüge zu kürzen oder zu streichen oder sonstige Bestimmungen der Verfahrensstraffung und der Verfahrensbeschleunigung zu erlassen. Vor allem eine verbesserte sachliche und personelle Ausstattung der betreffenden Gerichtsbarkeit kann sich zu einem Verfassungsgebot verdichten. Aber auch dem Richter selbst obliegt kraft der Justizgewährungspflicht ein Gebot der Verfahrensbeschleunigung. Aus der rechtsstaatlich verbürgten Justizgewähr folgt in jedem Fall die Pflicht des Staates, seine das staatliche Gewaltmonopol besonders verkörpernde Justiz so zu organisieren und so finanziell und personell auszustatten, dass sie ihren verfassungsrechtlichen Verpflichtungen des Rechtsschutzes in angemessener Zeit effektiv zu entsprechen vermag. Kein Reformmodell kann ihn davon befreien.
  5. Richterliche Unabhängigkeit a) In Deutschland und in anderen Staaten, die von gesicherten rechtsstaatlichen Strukturen geprägt sind, ist die richterliche Unabhängigkeit wesentlicher Bestandteil des gewaltengegliederten Verfassungsstaates. Die dem Richter gewährte Unabhängigkeit ist alles andere als ein Standesprivileg des Richters. Sie hat den Zweck, die ausschließliche Bindung des Richters an Gesetz und Recht zu garantieren und die Rechtsprechung gegen sachfremde Einflussnahme von außen abzusichern. Denn nur der unabhängige Richter kann dem Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes sowie der im grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzip wurzelnden allgemeinen Justizgewährungspflicht des Staates genügen.

Die Richter sind ihrerseits verpflichtet, ihre richterliche Tätigkeit an jener staatlichen Justizgewährungspflicht auszurichten, es ist mit anderen Worten ihre verfassungsrechtliche Aufgabe, für die Erfüllung der staatlichen Justizgewährung Sorge zu tragen. Es obliegt ihnen damit die Dienstpflicht, ihre richterliche Tätigkeit in strikter Gesetzesbindung und in sachlicher Unabhängigkeit wahrzunehmen. Zum Inhalt der sachlichen richterlichen Unabhängigkeit gehören die Weisungsfreiheit gegenüber anderen Staatsgewalten. Weiterer Inhalt der Garantie müssen um der Sicherung der Justizgewährungsverpflichtung willen die Unabhängigkeit des Richters von den Parteien selbst und die sogenannte innere Unabhängigkeit sein.

  1. b) Die Unabhängigkeitsgewähr dient neben dem klassischen Schutz gegen die Exekutive auch dem Schutz der rechtsprechenden Gewalt vor Eingriffen der Legislative. Dies darf allerdings nicht als Widerspruch zur Bindung des Richters an die vom Parlament beschlossenen Gesetze missverstanden werden, die selbstverständlich zum Wesen der richterlichen Unabhängigkeit gehört. Es ist allerdings dem Parlament verboten, bei schwebenden Verfahren in prozessordnungswidriger Weise auf die zur Entscheidung berufenen Richter einzuwirken, etwa durch ein Einzelfallgesetz, durch einen schlichten Parlamentsbeschluss oder durch Maßnahmen informeller Art. Es ist dem Parlament durch Art. 92 GG auch untersagt, den Gerichten Einzelfälle oder ganze Sachgebiete zu entziehen oder sich selbst zum Richter zu erheben. Und schließlich kann sich der Richter auch gegen Gesetze des Parlamentes wehren, die eine unangemessene Besoldung der Richter einführen oder den Gerichten die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Haushaltsmittel entziehen oder vorenthalten.
  2. c) Die Unabhängigkeitsgewähr gilt aber auch innerhalb der Judikative. Die verfassungsrechtliche Garantie der sachlichen Unabhängigkeit betrifft den einzelnen Richter ebenso wie den Spruchkörper auch vor unzulässigen Einwirkungen Dritter. Damit korrespondiert zugleich die Verpflichtung des Richters, die Entscheidung frei von derartigen Interferenzen ausschließlich nach Gesetz und Recht zu treffen. Diese innere Unabhängigkeit des Richters kann allerdings weder die Verfassung noch das Gesetz garantieren, sie ist eine dem Richter persönlich gestellte Aufgabe. So können heute Medien durch die Art und Weise ihrer Berichterstattung und Kommentierung einen Druck erzeugen, dem nicht nur Politiker bei den von ihnen zu treffenden Entscheidungen kaum auszuweichen wissen, sondern der sich auch auf die Richter und die Gerichte auswirkt. Verstärkt wird dieser Druck noch, wenn Politiker, um dieser veröffentlichten Meinung zu entsprechen, ihre Erwartungen an die Gerichte in diesem Sinne zum Ausdruck bringen. Gegen solche Einflussnahmen helfen keine gesetzlichen Vorschriften, zumal es auch das in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich garantierte Recht der Medien ist, die Rechtsprechung der Gerichte kritisch zu begleiten. Es gibt auch keine individuellen Rechtsbehelfe des in dieser Weise bedrängten Richters. Es ist vielmehr ein richterliches Amtsethos gefordert, das den Richter befähigt, sich von den Erwartungen und Wünschen Dritter freizumachen, um ausschließlich nach Gesetz und Recht zu entscheiden, und das ihm die Kraft gibt, nicht auf den Beifall der Medien zu schielen und auch die unberechtigte und zuweilen unsachliche Kritik zu ertragen.
  3. d) Eines der meistdiskutierten Probleme ist das Verhältnis der richterlichen Unabhängigkeit zur Dienstaufsicht, also die Frage nach den Grenzen der richterlichen Unabhängigkeit. Dass hier immer wieder ein Spannungsverhältnis besteht und dass schwierige Abgrenzungsfragen auftreten, dürfte einleuchten. Es darf aber nicht übersehen werden, dass beide Institutionen, die richterliche Unabhängigkeit einerseits und die Dienstaufsicht über die Richter andererseits, ihr gemeinsame Grundlage in der verfassungsrechtlich verbürgten Justizgewährung des Staates finden. Die richterliche Unabhängigkeit ist wesentliche Voraussetzung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes und daher untrennbarer Bestandteil der rechtsstaatlichen Verpflichtung zur Justizgewährung. Es gehört zu den Dienstpflichten des Richters, seine richterliche Tätigkeit an jener staatlichen Justizgewährungsverpflichtung auszurichten. Jeder Richter hat mit anderen Worten für die Erfüllung der staatlichen Justizgewährverpflichtung Sorge zu tragen. Die Dienstaufsicht über die richterliche Tätigkeit soll die Einhaltung dieser richterlichen Dienstpflichten gewährleisten.

Die staatliche Justizgewährungsverpflichtung bestimmt damit nicht nur den Inhalt der richterlichen Dienstpflichten, sondern auch die Möglichkeiten und Grenzen der Dienstaufsicht. Die Dienstaufsicht darf also nicht allein im Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit gesehen werden. Sie ist auch ein Instrument der Sicherung und Durchsetzung der staatlichen Justizgewährungspflicht, die insbesondere das Gebot einer dem Gesetzmäßigkeitsprinzip entsprechenden richterlichen Entscheidung überhaupt und in angemessener Zeit enthält.

Ich kann und will die mir verbliebene Zeit nicht dadurch ausfüllen, dass ich Ihnen jetzt Kasuistik vortrage. Jedenfalls steht das Instrument der Dienstaufsicht beispielsweise einem etwaigen justizpolitischen Ansinnen nicht zur Verfügung, das Verhältnis von Quantität und Qualität richterlicher Tätigkeit zugunsten der Ersteren zu verändern. Unmittelbares oder mittelbares Anhalten zur Verminderung des Prüfungsumfangs, der Sachverhaltsaufklärung ebenso wie der rechtlichen Durchdringung widerstreitet unzweifelhaft der richterlichen Unabhängigkeitsgewährleistung.

  1. e) Ein Sonderproblem im Zusammenhang mit der richterlichen Unabhängigkeit stellt die Ressourcenallokation dar. Seit Jahren werden sogenannte neue Steuerungsmodelle diskutiert und partiell praktiziert, mit denen Organisations- und Führungsgrundsätze moderner Unternehmensleitung auf den öffentlichen Sektor und speziell auch auf die Dritte Gewalt übertragen werden sollen. In dieser Hinsicht möchte ich nur festhalten, dass sich jedes Modell zur Verbesserung der Effizienz der Justiz an den bestehenden verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Gegebenheiten auszurichten hat. Allein das Verfahrensrecht und das materielle Recht sind die verfassungslegitimen Steuerungselemente richterlicher Tätigkeit. Meint die Justizpolitik, die richterliche Tätigkeit unter Effizienzgesichtspunkten verändern zu müssen, so muss und kann sie allein hier ansetzen. Kontrolliert wird der Richter auf die Wahrung der Gesetzmäßigkeit seines Handelns hin grundsätzlich allein nach Maßgabe des Rechtsmittelrechts und in den dort geregelten Verfahren.

Es bleibt dem Gesetzgeber natürlich unbenommen, die Effizienz der Justiz durch Reformen in der Justizverwaltung und der Justizausstattung, das heißt außerhalb des Kernbereichs richterlicher Tätigkeit, vor allem aber auch durch die Straffung der gesetzlichen Verfahrensordnungen und – soweit nötig – durch Entschlackung und Vereinfachung des materiellen Rechts zu steigern. Wer aber immer mehr und immer kompliziertere, undurchschaubarere und teilweise widersprüchliche, ja bisweilen schlicht unjustiziable Gesetze in die Welt setzt, wird mit immer mehr richterlichen Entscheidungen und bedauerlicherweise vor allem auch mit immer längeren Entscheidungsverfahren konfrontiert sein.

  1. Selbstverwaltung der Justiz a) Ein viel diskutiertes und mit der richterlichen Unabhängigkeitsgewähr in einem engen Zusammenhang stehendes Thema stellt die Frage der Selbstverwaltung der Justiz dar, die in anderen europäischen Ländern seit Langem eingeführt ist. Aus der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit lässt sich weder eine Verpflichtung ableiten, die Justiz in eine völlige Selbstverwaltung zu entlassen und jeglichen Einfluss der Exekutive zu unterbinden, noch ein Gebot, den status quo aufrechtzuerhalten. Gegen die derzeitige Organisation der Justizverwaltung in Deutschland spricht jedenfalls nicht die Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit, da diese zum Einen die eigentliche richterliche Tätigkeit und eben nicht die Aufgaben der Justizverwaltung erfasst und zum Anderen Art. 97 GG die Unabhängigkeit des einzelnen Richters und nicht die der Gerichte als Institution garantiert.
  2. b) Vor allem kann aber eine Selbstverwaltung der Justiz zu einer „Legitimationslücke“ zwischen Erster und Dritter Gewalt führen. Diese Lücke zu vermeiden, ist ein verfassungsrechtliches Gebot, das sich aus dem Demokratieprinzip ergibt. Soll die demokratische Legitimation künftig nicht mehr über die Zweite Gewalt, insbesondere über die Justizminister, verlaufen, so muss sie unmittelbar von den Parlamenten geleistet werden. Hier eine funktionsgerechte und in der Praxis funktionierende Lösung zu finden, die ein hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau der Justiz sicherstellt, erscheint sehr schwierig. Von dieser Lösung hängt jedoch die Verfassungsmäßigkeit eines Selbstverwaltungsmodells ab.
  3. c) Die bekannten Reformmodelle werden in meinen Augen im Übrigen auch keine positiven Effizienzrenditen aufweisen können. Es ist beispielsweise eine Illusion zu glauben, dass Personalentscheidungen durch richterliche Gremien und in richterlicher Selbstverwaltung per se immer und ausschließlich fachlich motiviert sind. Auch innerhalb der Richterschaft gibt es Interessenfraktionen, selbst parteipolitischer oder standespolitischer Art oder auch nur in Form von Karriereseilschaften. Es ist im Übrigen auch sehr zweifelhaft, ob die autonome Wahrnehmung der Haushaltsbelange den finanzpolitischen Einfluss der Justiz wirklich verstärkt. Im Übrigen stand und steht die deutsche Justiz auch und gerade im europaweiten Vergleich gut da. Die gravierendsten Defizite, zum Teil auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit und Effizienzmängel der Justiz, weisen im Übrigen gerade die Staaten auf, die institutionell über die eine oder andere Art von Selbstverwaltung der Justiz seit Langem verfügen.
  4. Ende der Rechtsstaatlichkeit? a) Die gerichtliche Erledigung von Streitigkeiten wird vielfach jedenfalls in bestimmten Bereichen als suboptimal empfunden. Vor allem werden hier die überdurchschnittlich langen Verfahrensdauern kritisiert. Fehlendes Personal, vor allen Dingen fehlende Richterstellen und eine mangelhafte, teilweise altmodische Ausstattung werden hier als die wichtigsten Gründe für einen drohenden Kollaps des Justizapparates angeführt. In einigen Bereichen sei die Justiz – um es etwas salopp auszudrücken – schlicht abgesoffen oder stehe unmittelbar davor. Die Folgen sind dann bekanntermaßen eine überlange Verfahrensdauer oder die Neigung, Verfahren, hier meine ich vor allem die Strafverfahren, ohne Urteilsfällung einzustellen oder auf sogenannte Deals auszuweichen. In Zivilsachen wird es immer beliebter, auf Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung auszuweichen. Diese Entwicklung hin zu einer partiellen Überforderung und Überlastung der Justiz hat neuerlich durch den immensen Anstieg der Asylverfahren vor den Verwaltungsgerichten nochmals einen Auftrieb erfahren. Man sagt, etwa 80 % der Eingänge bei den Verwaltungsgerichten in Deutschland seien Asylverfahren, allein die Abarbeitung des angefallenen Bergs asylrechtlicher Verfahren wird möglicherweise Jahre in Anspruch nehmen. Darunter wird selbstverständlich der Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger in den allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Verfahren ernsthaft leiden.
  5. b) Die drohende Überforderung der Dritten Gewalt in gewissen Bereichen wird aber noch durch eine weitere Entwicklung gefördert. Oftmals wird die Gesetzgebungsmaschine von der Politik angeworfen, wenn wirkliche oder auch nur vermeintliche Skandale auftreten. Der Ruf nach neuen, immer komplizierteren und detaillierteren Gesetzen ist dann unüberhörbar. Die neuen Regeln sind dann nicht selten so kompliziert und so wenig durchdacht, dass sie in der Praxis kaum oder doch nur schwer justiziabel sind. Nicht selten gilt daher: Je mehr Gesetze, desto weniger gutes und vollziehbares Recht. Bisweilen verstärkt also eine Überregulierung von Lebensbereichen die Vollzugsdefizite und verletzt damit den Grundsatz der Unverbrüchlichkeit und uneingeschränkten Durchsetzbarkeit geltenden Rechts. Dies wiederum wird zu einem Verlust von Vertrauen der Bürger in den Staat und in seine Institutionen führen. Staatsverdrossenheit und Politikverdrossenheit sind die Folge. Also: Mehr Gesetze, weniger Recht? Selbstverständlich muss dies kein Automatismus sein. Eine diesbezügliche Gefahr lässt sich aber kaum leugnen. Ein Gesetzgeber, der auf Verständlichkeit und Transparenz, Systemgerechtigkeit und Folgerichtigkeit, aber auch auf Akzeptanz und vor allem konsequente Durchsetzung seiner Normen achtet, sollte deshalb von ganz allein zu einer – auch quantitativ – maßvollen Gesetzesproduktion gelangen.
  6. c) Die Rechtsstaatlichkeit und die staatliche Justizgewähr, aber auch das Große und Ganze unserer Rechtsordnung insgesamt gehörten stets mit Sicherheit zu den „Standortvorteilen“ Deutschlands. Die gegenwärtige Entwicklung zeigt allerdings, dass Recht und Rechtsstaatlichkeit keine Selbstverständlichkeiten sind, dass der Rechtsstaat und sein Medium, das Recht, vielmehr auf Grundlagen beruhen, die der Pflege und der beständigen Vergewisserung bedürfen. Es geht sicherlich nicht an, gegenwärtig festzustellende Schwächen in der Dritten Gewalt zu einem angeblichen Ende der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland aufzubauschen. Statt einem Vertrauensverlust entgegenzuwirken wird auf diese Weise der Vertrauensverlust nur verschärft. Aber Fehlentwicklungen bedürfen eben der rechtzeitigen, behutsamen und nachhaltigen Gegensteuerung. Eine Politik der eiligen, kurzatmigen „ad-hoc-Gesetzgebung“ und im permanenten „Krisenbewältigungsmodus“, die überdies nur auf den nächsten Wahltermin schielt, ist auch hier wenig zielführend.
  7. d) Dringend nötig ist etwa eine höhere Wertschätzung der Dritten Gewalt durch die Politik, die sich nicht allein, aber auch in einer verbesserten personellen und sächlichen Ausstattung sowie in einer der Stellung und Verantwortung des Richters angemessenen Vergütung widerspiegelt. Nur so können auch die tradierten hohen Qualitätsstandards der in der Dritten Gewalt tätigen Akteure bewahrt werden. Der in den letzten Jahren zu verzeichnende Abbau des Kollegialprinzips zugunsten der Einzelrichterentscheidung, verbunden vielfach mit einem Rechtsmittelentzug, ist überdies jedenfalls teilweise rückgängig zu machen. Zu Recht hat die Präsidentin des Bundesgerichtshofs „kluge Zugangsregelungen zu höchstrichterlicher Rechtsprechung“ gefordert, um Rechtsklarheit, Rechtseinheit und notwendige Rechtsfortbildung zu fördern.
  8. e) Das staatliche richterliche Rechtsprechungsmonopol muss schließlich auch im Zeitalter der Digitalisierung Bestand haben und darf nicht aus vermeintlich zwingenden Sachgründen einer Privatisierung der Streitentscheidung weichen. Das seit kurzer Zeit geltende sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz geht meines Erachtens demgegenüber in eine falsche Richtung; es ist zwar gut gemeint, aber schlecht gemacht. Private Anbieter sozialer Netzwerke, sogenannte Informationsintermediäre, sind kraft Gesetzes und unter Androhung hoher Geldbußen gehalten, rechtswidrige Inhalte zu löschen, also letztlich den vor allem grundrechtlich aufgeladenen Konflikt zwischen dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung und dem Grundrecht auf Schutz der freien Entfaltung der Persönlichkeit selbst zu entscheiden, was sie dann möglicherweise mittels technischer Einrichtungen erledigen. Rechtsstaatlichkeit und staatliches Rechtsprechungsmonopol erleiden hier in einem äußerst grundrechtsrelevanten und sensiblen Bereich jedenfalls faktisch eine problematische Durchbrechung. Dieser Einwand bezieht sich weniger auf die „offensichtlich rechtswidrigen“, sondern auf die vom Gesetz ebenfalls erfassten „schlicht“ rechtswidrigen Inhalte.
  9. Staatliche Justiz im Wettbewerb? a) Trotz rechtsstaatlicher Justizgewährungspflicht, staatlichem Rechtsprechungsmonopol und Richtervorbehalt sieht sich speziell die Zivilrechtsprechung seit geraumer Zeit einer neuen Herausforderung ausgesetzt. Schlichtungswesen und Schiedsgerichtsbarkeit, einschließlich der internationalen, haben auf gewissen Rechtsgebieten einen „Markt der Streitbeilegung“ (Wagner) eröffnet. So mancher Beobachter macht dies auch dafür verantwortlich, dass die Zivilgerichte in den letzten Jahrzehnten etwa ein Drittel an Verfahren verloren haben. Der Europäische Gerichtshof hat kürzlich in einem kühnen Spruch Schiedsklauseln in Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedsstaaten mit dem Unionsrecht für unvereinbar erklärt. Solche Klauseln beeinträchtigten die Autonomie des Unionsrechts, das allein durch ein Gericht des europäischen Gerichtssystems ausgelegt und angewendet werden dürfe. Zum europäischen Gerichtssystem gehörten die Unionsgerichte ebenso wie die Gerichte der Mitgliedsstaaten, nicht aber private Schiedsgerichte.

Diese Überlegungen des EuGH auf die Geltungskraft des nationalen Rechts zu übertragen und diesem gleichfalls ein Verbot von Schiedsklauseln zu entnehmen, wenn und soweit Schiedsgerichte nationales Recht auslegen und anwenden, dürfte zu weit gehen. Denn immerhin ist hier das verfassungsrechtlich ebenfalls geschützte Grundrecht der Privatautonomie der Parteien zu beachten. Schlichtungswesen und Schiedsgerichtsbarkeit sind – wie oben gesagt – jedenfalls unbedenklich, wenn und soweit die staatliche Streitentscheidung nicht ersetzt, sondern ergänzt wird.

  1. b) Diese staatliche Streitentscheidung ist in einer rechtsstaatlichen Demokratie unentbehrlich, nur durch sie können Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung verbindlich geklärt werden. Nur sie ist in der Lage, die unerlässliche Rechtsfortbildung zu leisten und für die unverzichtbare Rechtseinheit und Rechtssicherheit im Lande zu sorgen. Ein gerichtlicher Instanzenzug mag Zeit kosten, aber er bietet in der Regel auch bessere Möglichkeiten einer abgewogenen, die wissenschaftliche und rechtspolitische Diskussion berücksichtigenden Entscheidung als ein erst- und zugleich letztinstanzlich ergehender Schiedsspruch. Ober- und höchstgerichtliche Entscheidungen mit ihren eingehenden Begründungen sorgen überdies für Transparenz, Überzeugung und Rechtssicherheit. Schließlich verfügen allein die staatlichen Gerichte über die verfassungsrechtlich erforderliche demokratische Legitimation. Allerdings wird der Gesetzgeber stets Sorge dafür tragen müssen, dass diese Vorzüge staatlicher Streitentscheidung durch eine entsprechende Organisation und Ausstattung der staatlichen Justiz wirklich zum Tragen kommen können.
  2. c) Unerlässliche Vertrauensbasis für eine im Namen des Volkes entscheidende staatliche Gerichtsbarkeit ist aber vor allem eine ganz simple Erkenntnis, die der große deutsche Rechtswissenschaftler Rudolf von Ihering im 19. Jahrhundert mit der bildersprachlichen Formulierung zum Ausdruck brachte: „Denken wie ein Philosoph, aber reden wie ein Bauer“. Ich muss zugestehen, dass ich selbst daran zweifle, dass es mir heute und hier gelungen ist, nach dieser Maxime zu verfahren. Aber es wäre für mich schon ein Erfolg, wenn Sie nicht den Eindruck gewonnen haben, dass mein Vortrag genau umgekehrt angelegt war.

Prof. Dr. Dres. H.C. Hans-Jürgen Papier ist ein deutscher Staatsrechtswissenschaftler. Von April 2002 bis zu seinem Ausscheiden am 16. März 2010 war er Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

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