„Miese Ehe“.

Die große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD von 1966 bis 1969.

Von Dietmar Jochum, TP Berlin

Auf massive Ablehnung unter Intellektuellen stieß die 1966 zwischen SPD und CDU/ CSU vereinbarte große Koalition. Daran erinnert Klaus Schönhoven in seinem hervorragend recherchierten Buch »Wendejahre«. Günter Grass beschwor Brandt, diese »miese Ehe« nicht einzugehen, und das Wahlkontor deutscher Schriftsteller, das die SPD damals im Bundestagswahlkampf unterstützt hatte, reagierte verbittert und enttäuscht.

Aber auch anderswo gab es keine Begeisterungsstürme. Auf die DDR, so Schönhoven, habe die Koalition wie ein Wettersturz gewirkt: »Sie versetzte die SED-Führung buchstäblich in höchste Alarmstimmung, weil man von diesem Regierungsbündnis zum einen eine Intensivierung der Osteuropapolitik unter Umgehung der DDR erwartete und weil man zum anderen nicht abschätzen konnte, welche Schubkraft eine von Christdemokraten und Sozialdemokraten gemeinsam getragene gesamtdeutsche Politik auch bei der eigenen Bevölkerung entfalten würde.« Die Antwort Ostberlins auf die Große Koalition habe daher gelautet: Verschärfung der Abgrenzungspolitik gegenüber der Bundesrepublik und Verdichtung der Bündnisbeziehungen im Warschauer Pakt.

Schönhoven zeigt auf, daß schon die Absicht der SPD, die im Sommer 1966 abgebrochenen Kontakte zur SED wiederzubeleben, eine Koalitionskrise ausgelöst habe: »Während die Sozialdemokraten auf ein Nebeneinander mit der DDR zusteuerten, das eine Normalisierung der deutsch-deutschen Beziehungen ohne völkerrechtliche Anerkennung des SED-Regimes zum Ziel hatte, bekräftigten die Hardliner in der CDU/CSU die altbekannten Rechtsstandpunkte der früheren bundesdeutschen Regierungen, deren Eckpfeiler der Alleinvertretungsanspruch und die Nichtanerkennung der DDR waren.« Zwar konnte sich Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) dann doch dazu durchringen, einen seit Anfang der fünfziger Jahre geübten Bonner Brauch, Post der DDR-Regierung ungeöffnet zurückzusenden, aufzugeben, aber sein Antwortbrief an DDR-Ministerpräsident Willi Stoph im Juni 1967 befriedigte niemand: »Er wies den Alles-oder-Nichts-Standpunkt der DDR zurück, hielt an der bundesdeutschen Nichtanerkennungsposition fest und forderte die Gegenseite zu Gesprächen auf, um zu verhindern, ›daß die Deutschen in der Zeit der erzwungenen Teilung sich menschlich auseinanderleben‹.«

Neuen Geist atmete dagegen die 1968 verabschiedete Reform des politischen Strafrechts, mit der die Verfolgung von Kommunisten gelockert und die Aufnahme politischer Kontakte zur DDR entkriminalisiert wurde. Der in der Ära des Kalten Krieges als Verfolgungsmotiv grundsätzlich akzeptierte Antikommunismus habe im Zuge der einsetzenden Entspannungspolitik an Plausibilität verloren. Fortan mußte die politische Justiz die faktische Zweistaatlichkeit in Deutschland respektieren und konnte nicht mehr länger eine Kontaktsperre zwischen der Bundesrepublik und der DDR verhängen.

Schönhoven vertritt die Auffassung, daß die drei Regierungsjahre jenseits des »Mythos 68« eine Neuorientierung in wichtigen Politikfeldern erbrachten. Dazu gehörten das Lohnfortzahlungsgesetz, das Arbeitsförderungsgesetz sowie das Ausbildungs- und das Berufsbildungsgesetz, die Finanzverfassungsreform von 1969, aber auch die Notstandsgesetze, die gegen den massiven Widerstand einer breiten außerparlamentarischen Opposition verabschiedet wurden.

Schönhovens Buch gehört unbedingt in die Reihe bedeutender Werke zur Zeitgeschichte und der Kanzlerbiographien.

* Klaus Schönhoven: Wendejahre. Die Sozialdemokratie in der Zeit der Großen Koalition 1966-1969, J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2004, 734 Seiten, 58 Euro

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