Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, erklärt zur 100. Wiederkehr des 9. November 1918:
„Wir erinnern uns in diesem Jahr der 100. Wiederkehr des 9. Novembers 1918. Der Erste Weltkrieg war verloren. Die alten Eliten schoben den verhassten Demokraten die Verantwortung zu, für die Folgen ihrer verantwortungslosen Kriegspolitik einzustehen. Vor diesem Hintergrund rief der Sozialdemokrat Philip Scheidemann hier in Berlin von einem Fenster des Reichstags die Republik aus. Darauf nimmt in diesen Tagen das internationale European Balcony Project aktuellen Bezug. Am 11. November war es der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, der den Waffenstillstand unterzeichnete – auf Drängen des hauptverantwortlichen Militärs und späteren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, der dann Hitler zum Reichskanzler berief. 1921 haben Rechtsextremisten Erzberger ermordet. Es ist gut und richtig, dass in zwei Tagen in unserem Land und auch in Berlin in Erinnerung an das Kriegsende Glocken läuten. Der Frieden ist kostbar, und die traumatische Erfahrung der Gräuel des Krieg, in unserer Stadt auch verbunden mit der Erfahrung von 1945, wirkt bis in unsere Gegenwart nach.“
Müller weiter: „Die Novemberrevolution hat auf den Trümmern des Kaiserreichs die Herrschaft einer freiheitlichen parlamentarischen Demokratie in Deutschland begründet, in deren Tradition auch unsere heutige demokratische Ordnung steht. Zum positiven und bleibenden Fundament von Weimar gehören vorbildliche Sozialgesetzgebung sowie die Festigung rechtsstaatlicher Prinzipien. Die 20er Jahre waren ein Stück weit das Jahrzehnt Berlins, in dem unsere Stadt eine seltene kreative kulturelle Blüte erlebt hat. Dabei ist das Stichwort Bauhaus nur eins unter vielen. Von Beginn an standen der Republik jedoch große Teile des Bürgertums, erst recht Nationalisten und Rechtsradikale feindselig gegenüber und betrieben mit Schlagworten wie ‚Kriegsschuldlüge‘ oder der Legende vom ‚Dolchstoß‘ ihre Hetze gegen die sogenannten ‚Novemberverbrecher‘. Das Scheitern der Weimarer Demokratie muss Mahnung auch für unsere Zukunft sein. Wer mit nationalistischer Ideologie und mit Hass auf andere Völker gegen internationale Verständigung, Friedenssicherung und Kooperation agitiert, der schadet dem demokratischen Staat und sät Gewalt – im Inneren wie im Äußeren. Die Jahre der Weimarer Republik waren von Gewalt geprägt, nichts zuletzt von der Gewalt eines menschenverachtenden Rechtsterrorismus, einer Gewalt, die sich damals auch auf den Straßen und Plätzen Berlins zeigte.“
Der Regierende: „Für die Berlinerinnen und Berliner hat der Erste Weltkrieg schon bald nach dem trügerischen Kriegsjubel des Juli 1914 vor allem Leid und Hunger gebracht. Dafür steht symbolisch der Begriff ‚Kohlrübenwinter‘. Die Männer starben an der Front, erlitten Verletzungen, körperlich und seelisch, die ihre Leben prägten. Auch in unserer Stadt starben zahllose Menschen den Hungertod. Die Kindersterblichkeit lag bei 50 Prozent. Die Lasten dieser bitteren Jahre trugen vor allem die Berlinerinnen, die mühsam Nahrungsmittel für die Familien zusammenkratzen mussten, sogar aus den Müllhaufen. Davon zeugen Fotos. Frauen übernahmen im öffentlichen Leben und vor allem in der Kriegsproduktion Aufgaben, die bisher Männer wahrgenommen hatten – und im Frieden wurden sie aus diesen Funktionen wieder verdrängt. Das ist der Hintergrund, vor dem sehr bald nach dem 9. November 1918 mit dem Reichswahlgesetz am 30. November das längst überfällige Frauenwahlrecht eingeführt wurde. Es war in allem damaligen Elend ein Meilenstein auf dem Weg zur Gleichberechtigung. Heute wissen wir, wie lang dieser Weg in Wirklichkeit geworden ist, und auch nach hundert Jahren ist die deutsche Gesellschaft nicht wirklich am Ziel angelangt.“