Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas hat sich für eine Verschärfung des Ordnungsrechts im Bundestag ausgesprochen. „Ich glaube, man muss beispielsweise viel mehr mit dem Instrument des Ordnungsgeldes arbeiten statt mit dem Ordnungsruf“, sagte die sächsische Christdemokratin im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Die Debattenkultur im Bundestag sei viel rauer geworden, berichtete Magwas. „Ordnungsrufe werden von AfD-Abgeordneten quasi als Trophäen betrachtet, mit Diffamierungen werden Grenzen des Sagbaren verschoben.“ Magwas verwies auf Gespräche zwischen „Koalition und demokratischer Opposition“ über eine Novellierung der Geschäftsordnung des Parlaments. Die Gespräche seien inzwischen in einer „sehr konkreten Phase“.
Mit Blick auf die Umfrageerfolge der in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vom Verfassungsschutz jeweils als gesichert rechtsextrem und bundesweit als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuften „AfD“ betonte Magwas, dass sich ein Großteil der Menschen „unserer Demokratie sehr eng verbunden“ fühle. „Darum bleibe ich dabei: Wir haben eine wehrhafte Demokratie.“ Nichtsdestotrotz müsse man sehr genau schauen, welche Instrumente die wehrhafte Demokratie habe. „Das heißt beispielsweise auch Prüfung des Entzugs der staatlichen Parteienfinanzierung oder eines Verbotsverfahrens“, führte die 44-Jährige aus.
Die TP Presseagentur Berlin dokumentiert das am 18. Mai 2024 in der Wochenzeitung „Das Parlament“ erscheinende Interview vorab im vollen Wortlaut:
Das
Parlament: Frau
Magwas, etliche Abgeordnete, darunter auch Sie, haben nach dem brutalen
Überfall auf den SPD-Europawahlkandidaten Matthias Ecke die „Striesener
Erklärung“ unterschrieben. Darin wird unter anderem körperliche Gewalt im
Wahlkampf verurteilt. Was läuft schief im Land, wenn es inzwischen so eine
Erklärung braucht? Das sollte doch selbstverständlich sein.
Yvonne Magwas: Ja, eigentlich sollte, muss das selbstverständlich sein.
Es ist erschreckend, dass es so einer Erklärung bedarf. Was läuft schief? Ein
Stück weit können wir auch im Deutschen Bundestag sehen, dass sich die Debattenkultur
verändert hat. Sie ist viel rauer geworden, Ordnungsrufe werden von
AfD-Abgeordneten quasi als Trophäen betrachtet, mit Diffamierungen werden die
Grenzen des Sagbaren verschoben. Es hat viel damit zu tun, dass die AfD das
massiv betreibt und zu oft ein Stück weit andere dann auf den Zug aufspringen.
So kommt es zu einer überhitzten Diskussionskultur. Und aus Worten werden
leider folgend auch Taten.
Das
Parlament: Sind die
Fälle, über die nun berichtet wird, ein neues Phänomen oder wird gerade nur
genauer hingeschaut?
Yvonne Magwas: Ich glaube schon, dass es eine bisher ungekannte
Dimension erreicht hat. Klar, auch in früheren Wahlkämpfen wurden Plakate
beschädigt. Aber dass es direkte Übergriffe auf Wahlkämpfende und
Politikerinnen und Politiker gibt, das hat deutlich zugenommen. Gleiches gilt
für Einschüchterungsversuche, für Bedrohungen, Beleidigungen und
Sachbeschädigungen. Früher haben wir oft nachts plakatiert, weil es da viel
weniger Verkehr gibt und das ja auch die Freizeit der Ehrenamtler ist. Heute
muss man der Polizei Bescheid sagen, wenn man plakatiert, egal wann, damit sie
sicherheitshalber regelmäßig eine Streife vorbeischickt. Das ist eine neue
Qualität. Das ist im Grunde völlig irre!
Das
Parlament: Ihre
Partei ist in Sachsen im Kommunal- und Europawahlkampf. Was geben Sie den
Ehrenamtlichen mit?
Yvonne Magwas: Ich gebe unseren Leuten Vorsichtsmaßnahmen mit auf den
Weg. Am besten nicht allein gehen, am besten nicht nachts plakatieren – aber
bitte dennoch plakatieren! Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen. Denn das
ist das perfide Ziel der Angreifer und der Hetzer. Es ist wichtig, dass im
Wahlkampf politische Parteien Bürgerinnen und Bürgern ihre Positionen an
Infoständen und auf Plakaten deutlich machen und veranschaulichen – davon
dürfen wir uns nicht abbringen lassen.
Das
Parlament: Wie gehen
Sie selbst mit verbalen Angriffen um und was macht das mit Ihnen?
Yvonne Magwas: Ich nutze die Instrumente des Rechtsstaates. Wir sind
eine wehrhafte Demokratie und darum sollte man sich mit Strafanzeigen wehren.
Wie geht man damit um? Manchmal bewegt es einen mehr, manchmal weniger. Ich
mache mir vor allem Sorgen um die Signalwirkung solcher Angriffe.
Das
Parlament: Was meinen
Sie damit?
Yvonne Magwas: Das sind keine Angriffe auf die Person, das sind Angriffe
auf die Demokratie, Angriffe auf staatliche Institutionen und
Verfassungsorgane. Mir macht viel mehr Angst, wie sich das auf das zukünftige
Engagement von Kommunalpolitikern oder Wahlkämpfenden auswirkt. Ich weiß, wie
schwierig es immer wieder ist, die Kandidatenlisten der Partei für die Stadt-,
Gemeinde- und Ortschaftsräte aufzustellen. Viel zu wenige wollen sich
engagieren. Nun sagen diese sich: Mich dann auch noch anschreien oder anpöbeln
zu lassen, das muss ich mir nicht antun. Das ist nachvollziehbar, aber zutiefst
fatal!
Das
Parlament: Was kann
die Politik im Allgemeinen tun, um das Problem anzugehen? Es gibt Vorschläge,
das Strafrecht zu verschärfen.
Yvonne Magwas: Die Vorschläge muss man sich genau anschauen, ich bin da
grundsätzlich nicht abgeneigt. Es muss aber vor allem schnellere Verfahren
geben. Ich habe selbst schon einige Anzeigen wegen Beleidigung und dergleichen
gestellt. Wenn ich dann sehe, dass es bis zur Vergabe eines Aktenzeichens schon
ein halbes Jahr dauert, ist das zu lang. Dazu braucht man mehr Personal in der
Justiz und bei der Polizei, das ist mir bewusst. In Baden-Württemberg gibt es
beispielsweise Schnellverfahren. Das könnte auch ein Rezept für andere
Bundesländer sein. Ebenso könnten Schwerpunktstaatsanwaltschaften ein wichtiges
Instrument sein. Und die Strafrahmen müssen zudem ausgeschöpft werden gerade in
solchen Fällen. Es geht aber auch um den Umgang von uns Demokratinnen und
Demokraten untereinander. Wir müssen einen ordentlichen Umgangston behalten,
müssen achtsam miteinander sein.
Das
Parlament: Nun lebt ein
Wahlkampf von Attacken und Zuspitzungen. Welche Grenzen sehen Sie für
politische Auseinandersetzungen?
Yvonne Magwas: Wenn es beleidigend wird oder demokratische Wettbewerber
zu Feinden erklärt werden, wird es zum Problem. Der zugespitzte Wahlkampf, den
man vor vielen Jahren im Bierzelt gemacht hat, ist vielleicht auch nicht mehr
das Mittel der Wahl. Die aufgeheizte Stimmung, die es zum Teil in der
Bevölkerung gibt, sollte nicht noch mehr befeuert werden:
Das
Parlament: Sie
erwähnten den raueren Ton im Bundestag, für den die AfD-Fraktion verantwortlich
gemacht wird. Haben Sie das Gefühl, dass Ordnungsmaßnahmen des Präsidiums noch
eine Wirkung entfalten?
Yvonne Magwas: Es hat schon noch eine gewisse Wirkung. Wir sehen aber
auch, dass wir das Ordnungsrecht verschärfen müssen. Ich glaube, man muss
beispielsweise viel mehr mit dem Instrument des Ordnungsgeldes arbeiten statt
mit dem Ordnungsruf. Die Geschäftsordnungsnovellierung läuft gerade. Koalition
und demokratische Opposition sind im Austausch dazu, wir als Präsidium haben
Vorschläge vorgelegt. Die Gespräche sind inzwischen in einer sehr konkreten
Phase.
Das
Parlament: In
Thüringen und Sachsen liegt mit der AfD eine Partei in Umfragen vorne, die
jeweils vom Landesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch
eingeschätzt wird. Die Bundespartei gilt als rechtsextremer Verdachtsfall.
Trotzdem sind die Umfragen so, wie sie sind. Wie steht es um die Wehrhaftigkeit
unserer Demokratie?
Yvonne Magwas: Ein Großteil der Menschen fühlt sich unserer Demokratie
sehr eng verbunden. Darum bleibe ich dabei: Wir haben eine wehrhafte
Demokratie. Nichtsdestotrotz müssen wir sehr genau schauen, welche Instrumente
diese an die Hand gegeben bekommen hat, um dem entgegenzutreten und zu sagen:
Stopp! So nicht weiter! Das heißt beispielsweise auch Prüfung des Entzugs der
staatlichen Parteienfinanzierung oder eines Verbotsverfahrens.
Das
Parlament: In ihrem
sächsischen Wahlkreis ist die AfD stark. Was sagen Sie Wählern und Wählerinnen
vor Ort?
Yvonne Magwas: Schaut euch an, was sie wollen, etwa den EU-Austritt oder
das antiquierte Frauen- und Familienbild. Das kann doch nicht das Ziel
vernünftiger Menschen sein. Man muss auch deutlich festhalten, dass es eine
rechtsextreme Partei ist – ganz grundsätzlich. Und ich will ganz ehrlich sagen:
Man wählt keine rechtsextreme Partei. Auch nicht, wenn man Sorgen hat.
Das
Parlament: Deutschland
feiert am 23. Mai 75 Jahre Grundgesetz. Haben wir angesichts der Lage Grund zu
feiern?
Yvonne Magwas: Ja, das haben wir: 75 Jahre Grundgesetz, knapp 34 Jahre
Grundgesetz auch für die neuen Bundesländer. Oftmals wird immer noch davon
gesprochen, was Ost und West trennt. Ich bin dafür, mehr darüber zu sprechen,
was uns verbindet. Und das tut das Grundgesetz: Als Kompass, als eine
Handreichung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Die Freiheit, die Werte,
die Rechte und auch die Pflichten, die in der Verfassung kodifiziert sind – das
kann man wahrlich feiern. Noch nie in unserer Geschichte haben wir Deutschen so
lang in Frieden, Freiheit und breitem Wohlstand umgeben von Freunden
gelebt.
Das
Parlament: Wenn Sie
sich zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes etwas wünschen dürften, was sollte
denn noch in die Verfassung?
Yvonne Magwas: Ich würde mir eher wünschen, dass man viel früher mit der
Vermittlung des Grundgesetzes beginnt, in den Schulen zum Beispiel. Warum
machen wir nicht einen Aktionstag zum Grundgesetz an Schulen?! Der 23. Mai
würde sich dafür anbieten. Denkbar wäre auch, dass alle 15- oder 16-Jährigen
das Grundgesetz in einer für Jugendliche aufgearbeiteten Form mit einem
Anschreiben der Bundestagspräsidentin erhalten. Wir sollten den jungen Menschen
noch stärker nahebringen, was das Grundgesetz ausmacht, was Demokratie lebendig
macht – und, dass sie von aktiven Demokratinnen und Demokraten lebt.
Fotoquelle: By Foto-AG Gymnasium Melle – Own work, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35297517