TP-Interview mit dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn in der Friedenskirche Berlin-Grünau.
„28 Jahre Wiedervereinigung. Was geht mich heute noch die DDR an?“, war vorgestern das Thema einer Veranstaltung in der Friedenskirche in Berlin-Grünau.
Neben dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Roland Jahn, nahmen auch der SPD-Abgeordnete aus dem Abgeordnetenhaus Berlin, Robert Schaddach, sowie der Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Bohnsdorf-Grünau, Ulrich Kastner, an der Diskussion teil, in der sich alles um die 1989/1990 dahingeschiedene DDR und ihre Staatssicherheit handelte.
Nach der Veranstaltung hatten wir die Gelegenheit Roland Jahn (https://de.wikipedia.org/wiki/Roland_Jahn) einige Fragen zu stellen.
TP: Herr Jahn, 111 Kilometer Stasi-Akten, die Hälfte davon in Berlin, haben Sie gesagt. Was wollen wir 28 Jahre nach der Wiedervereinigung noch damit machen?
Jahn: Nach wie vor wollen Menschen in die Akten schauen, die über sie angelegt worden sind und die dokumentieren, wie eine Geheimpolizei eingegriffen hat in das Leben der Menschen. Jeder soll die Chance haben in diese Akten zu schauen. Und deswegen stellen wir sie zur Verfügung.
Zweitens ist es natürlich so, dass wir Wissenschaftler, Journalisten haben, die aufklären wollen über das, wie eine Diktatur funktioniert hat, wie die Herrschaftsmechanismen in der DDR funktioniert haben. Auch deswegen stellen wir diese Akten zur Verfügung.
TP: Der ehemalige Generalstaatsanwalt in Berlin, Christoph Schaefgen, hat einmal in einem Spiegel-Interview von einer Zwei-Klassen-Überprüfung hinsichtlich des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gesprochen. Ihr Vor-Vorgänger Joachim Gauck in seiner Funktion als Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen bezeichnete dieses Gesetz in einem Interview gegenüber uns dagegen als ein vorzügliches Gesetz.
Die Delegitimierung einer Diktatur ist für mich eine wichtige Sache Interview mit Joachim Gauck
Wenn das Stasi-Unterlagengesetz ein vorzügliches Gesetz sein soll, warum kann man keine Auskunft über eine bestimmte Person erhalten, ob sie Stasimitarbeiter war oder nicht, sondern nur ein Antragsteller über sich selbst, ob er bespitzelt wurde und gegebenenfalls von wem?
Jahn: Ich denke, dass das Stasi-Unterlagen-Gesetz ein ausgezeichnetes Gesetz ist, weil es möglich ist Transparenz herzustellen über das Wirken der Stasi und Datenschutz gewährt über die Bürger, die von der Stasi bespitzelt und bearbeitet wurden. Und in dem Sinne kann ich nur sagen, es ist möglich, dass jeder, der wissen will, wer Unrecht begangen hat und wie, diese Stasiakten nutzen kann. Jeder kann Forschungsanträge stellen. Jeder kann dafür sorgen, dass Öffentlichkeit hergestellt wird über das geschehene Unrecht. Da müssen Forschungsanträge gestellt werden.
Anders wiederum ist es, dass man in die Akten seiner Person schaut. Jeder darf nur zu seiner Person in die Akten schauen und nicht in die Akten anderer beim Zugang zum individuellen Akteneinsichtsrecht.
Drittens gibt es noch die Überprüfung öffentlicher Stellen mit Hilfe dieser Stasi-Akten auf Stasi-Tätigkeit. Es wird im öffentlichen Dienst und in den Parlamenten weiter überprüft. Auch dafür stellen wir die Akten zur Verfügung.
TP: Die Stasi hat ja nun jede Menge Säcke mit Schnipseln hinterlassen. Wie viele sind mittlerweile davon zusammengefügt?
Jahn: Die Stasi hat mehr als 15000 Säcke mit zerrissenen Akten hinterlassen. Mehr als 500 Säcke haben wir schon zusammengesetzt. Das sind mehr als 1 Million Blatt, wo wir mit Hilfe dieser zusammengesetzten Dokumente das Archiv ergänzen. Wir arbeiten weiter daran Schritt für Schritt zielgerichtet einzelne Säcke zusammenzusetzen, um so Erkenntnisse zu bekommen an den Stellen, wo im Archiv Lücken sind, an den Stellen, wo gerade in den Stasi-Dienststellen in den Kreisen und Bezirken hier Dokumente aufklären können über das Wirken der Stasi gegenüber den Menschen.
TP: Wenn die Stasi-Unterlagenbehörde 28 Jahre gebraucht hat von 15000 Säcken mit zerrissenen Akten erst 500 zusammenzufügen, wie lange dauert es dann bis alle zusammengesetzt sind? Wird das mit Computerprogrammen überhaupt möglich sein?
Jahn: Wir haben zusätzlich zur manuellen Zusammensetzung die Möglichkeit mit Computerprogrammen hier virtuell die Akten zusammenzusetzen. Da sind wir dabei die technischen Möglichkeiten auszubauen. Das ist erst ein Pilotprojekt gewesen, bei dem deutlich gemacht wurde, dass es funktioniert. Und jetzt geht es darum die Zahl der Möglichkeiten, das Tempo zu erhöhen. Dazu brauchen wir eine bessere Scanner-Technik, eine bessere Software, die in einer größeren Stückzahl diese Schnipsel zusammensetzt. Das wird weiter erarbeitet. Das Ziel ist es, dass die Stasi nicht bestimmen darf, was wir lesen können und was nicht.
TP: Was hat das überhaupt noch für einen Sinn? Strafrechtlich dürften solche Sachen, die noch entdeckt werden könnten, längst verjährt sein. Und ob jemand Verantwortung für sich selbst übernimmt, möge er doch mit seinem Herrgott ausmachen?
Jahn: Strafrechtlich spielt das nur noch bei Mord eine Rolle. Mord verjährt nicht. Wir haben gerade Mordanklagen aus Tschechien vernommen im Zusammenhang mit Todesschüssen an der Grenze gegen Flüchtlinge, die aus der DDR gekommen sind und in den Westen wollten. Diese Anklagen, die da jetzt auf den Weg gebracht worden sind, da helfen auch Stasi-Akten das zu dokumentieren. In diesem Sinne spielen auch die Stasi-Akten eine gewisse Rolle. Aber hauptsächlich geht es um die Aufklärung der Herrschaftsmechanismen, wie dieses System funktioniert hat. Das ist sozusagen der Erkenntnisgewinn für die nächste Generation.
TP: Ein Fall, der Ihnen sehr am Herzen liegen dürfte, ist der Ihres Jugendfreundes Matthias Domaschk, der möglicherweise auch von der Stasi ermordet worden sein könnte. Besteht da die Hoffnung, dass da noch irgendetwas ans Tageslicht kommt darüber?
Jahn: Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass zusätzliche Erkenntnisse gewonnen werden. Da gibt es eine Arbeitsgruppe, die die Landesregierung in Thüringen eingesetzt hat, die sich jetzt noch einmal intensiv mit den Akten beschäftigt; die aber auch versucht Zeitzeugen zu vernehmen, und in dem Sinne hoffe ich darauf, dass wir in absehbarer Zukunft einen Zugewinn haben.
TP: Speziell zum Fall Matthias Domaschk?
Jahn: Ja genau, zu dem Fall Matthias Domaschk. Dieser Fall geht mir natürlich besonders nah, weil es ein persönlicher Freund von mir war. Aber prinzipiell ist es wichtig, dass die Todesfälle, die es bei Oppositionellen in der DDR gab, aufgeklärt werden. Das ist natürlich etwas, was die Menschen besonders berührt, wenn Menschen zu Tode gekommen sind. Da muss Verantwortung festgeschrieben werden.
Interview: TP Presseagentur Berlin/dj
Foto: Roland Jahn
Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin
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