In Anwesenheit von vier Überlebenden aus Israel, Polen und der Ukraine wurde heute an den 80. Jahrestag der Befreiung der Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen erinnert.
In der Gedenkstätte Sachsenhausen wurde heute in Anwesenheit der Überlebenden Bogdan Bartnikowski (Polen), Richard Fagot (Israel), Mykola Urban (Ukraine) und Jerzy Zawadzki (Polen) mit zahlreichen Veranstaltungen an die Befreiung der Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen vor 80 Jahren erinnert und der Opfer gedacht. Bei der zentralen Gedenkveranstaltung am Nachmittag sprachen Stiftungsdirektor Axel Drecoll, der Präsident des Internationalen Sachsenhausen Komitees (ISK), Dik de Boef, Ministerpräsident Dietmar Woidke und der israelischen Überlebende Richard Fagot zu den anwesenden Gästen. Im Anschluss wurden Gebete gesprochen und zahlreiche Kränze am Gedenkort „Station Z“ niedergelegt.
Unter den Gästen befanden sich Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die Präsidentin des Landtages Brandenburg, Ulrike Liedtke, der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, die Vizepräsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses, Bahar Haghanipour, sowie zahlreiche Abgeordnete des Bundestages, der Landesparlamente von Brandenburg und Berlin sowie der Kommunalparlamente. Außerdem nahmen Botschafterinnen und Botschafter sowie Botschaftsangehörige zahlreicher Staaten, Vertreterinnen und Vertreter von Opferorganisationen und zahlreiche Angehörige ehemaliger Häftlinge aus dem In- und Ausland an der Gedenkveranstaltung teil.
Ministerpräsident Dietmar Woidke sagte: „80 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen wollen manche Geschichtsleugner vom Holocaust nichts mehr wissen. Doch weder Erinnerung noch historische Verantwortung kennen einen Schlussstrich. Es gibt immer weniger Zeitzeugen, die von den grausamen Bedingungen der Inhaftierung und Tötung tausender Menschen hinter den Mauern der Lager berichten können. Deshalb ist es an uns, ihre wahrhaften Geschichten und die historischen Orte der NS-Verbrechen wachzuhalten. Wir dürfen nicht weggucken bei Diskriminierung, Fremdenhass und schließlich auch nicht bei der Umdeutung des schlimmsten Kapitels deutscher Geschichte. Denn wir wollen eine demokratische und weltoffene Zukunft.“
Der israelische Überlebende Richard Fagot erklärte: „80 Jahre, das ist eine ziemlich lange Zeit und für manche ein guter Vorwand, die Ereignisse, die sich vor 80 Jahren hier abgespielt haben, endlich vergessen zu wollen. Umso mehr gebührt ein höchstes Lob allen, die sich unermüdlich bemühen, die Erinnerung wachzuhalten. Dennoch wird in letzter Zeit wieder verstärkt Antisemitismus laut. Diese neue Art oder Abart des Antisemitismus geht mit der Leugnung des Holocaust einher. Sie negiert gleichzeitig die Grundwerte der westlichen Kultur und gefährdet die Werte der Demokratie. Wer das nicht erkennt, übersieht auch den Keim der Gefahr für seine eigene Zukunft. Wer die Vergangenheit vergisst oder sie vergessen lässt, läuft Gefahr, dass sie sich wiederholt, der stellt das Gelübde des ‚Nie wieder‘ in Zweifel.
Stiftungsdirektor Axel Drecoll sagte: „Unsere liberale Demokratie und ihre Verfassung sind unmittelbar aus der Erfahrung der nationalsozialistischen Diktatur und ihrer unermesslichen Verbrechen entstanden. Wir alle, denen diese Demokratie am Herzen liegt, sind aufgerufen, ihre Werte und Errungenschaften gegen immer bedrohlicher werdende Angriffe gemeinsam und entschlossen zu verteidigen. Zu diesen Errungenschaften gehört auch eine von kritischem Geschichtsbewusstsein geprägte Gedenkkultur. Auch sie wird zunehmend von Rechtsextremisten diskreditiert und in Frage gestellt, sieht sich mit fake news, Geschichtslügen und Revisionismus konfrontiert. Die zentrale Botschaft, die daher heute von diesem Ort und diesem Anlass ausgeht, muss daher lauten, diesen Tendenzen, wo immer sie auftreten, mit Entschiedenheit entgegenzutreten und die Anstrengungen der historischen Bildung auf allen Ebenen zu verstärken.“
Astrid Ley, Leitung der Gedenkstätte Sachenhausen, ergänzte: „Wir freuen uns, dass vier Überlebende des KZ Sachsenhausen aus Israel, Polen und der Ukraine unseren Jahrestag mit ihrer Anwesenheit bereichern. Zwei unserer vier Gäste sind zum ersten Mal überhaupt in der Gedenkstätte. Die Stimmen der Überlebenden erinnern uns eindringlich an das unermessliche Leid, das sie erdulden mussten. Zugleich mahnen sie uns, das ‚Nie wieder‘ in Gegenwart und Zukunft aktiv zu verteidigen und zu fördern. Ihre Präsenz bei unserer Veranstaltung ist ein kostbares Zeugnis – gegen das Vergessen und für die Menschlichkeit.“
Bereits am Vormittag fanden ein interreligiöser Gottesdienst, ein Zeitzeugengespräch sowie partizipative Angebote mit Angehörigen von NS-Verfolgten statt. Bei dezentralen Gedenkveranstaltungen gedachten internationale Opferverbände und weitere Initiativen einzelner Verfolgtengruppen. Die Botschaft von Aserbaidschan weihte eine Gedenktafel für ihre im KZ Sachsenhausen verfolgten und umgekommenen Landsleute ein. Vor der zentralen Gedenkveranstaltung kamen Ministerpräsident Dietmar Woidke und der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, zu einem Gespräch mit den anwesenden Überlebenden zusammen.
Hintergrund
Am 22./23. April 1945 erreichten sowjetische und polnische Soldaten das unmittelbar zuvor von der SS geräumte KZ Sachsenhausen, in dem zwischen 1936 und 1945 mehr als 200.000 Menschen inhaftiert waren. Mindestens 55.000 von ihnen starben an den unmenschlichen Haftbedingungen oder wurden Opfer von Mordaktionen der SS. Die Befreier fanden im Lager rund 3.000 kranke Häftlinge vor. Mehr als 30.000 Häftlinge befanden sich zu diesem Zeitpunkt auf einem Todesmarsch weiterhin in der Gewalt der SS, die in dieser Schlussphase nochmals mit besonderer Brutalität Häftlinge ermordete. Mehr als 16.000 Häftlinge mussten sich für einige Tage unter freiem Himmel in einem provisorischen Lager im Belower Wald bei Wittstock aufhalten. Die letzten Überlebenden wurden in den ersten Maitagen befreit.