„Solidarität im digitalen Kapitalismus“ – Impulsveranstaltung im Willy-Brandt-Haus in Berlin.

„Solidarität im digitalen Kapitalismus“ – 2. Impulsveranstaltung im Willy-Brandt-Haus in Berlin.

Digitale Plattformen wie Facebook, Google oder Amazon bestimmen Wirtschaft und Gesellschaft heute auf unterschiedlichsten Ebenen. Sie sind zu riesigen Playern geworden, die mit Daten, Wissen und Netzwerken eine enorme Macht entfalten. Doch zu welchem Preis und nach welchen Regeln?

Dazu fand heute im Willy-Brandt-Haus in Berlin nach dem 13. Juni 2018 die 2. Veranstaltung zum Thema „Solidarität im digitalen Kapitalismus“ statt.

Andrea Nahles und Trebor Scholz diskutierten nach Einführungsreden mit Gästen.

Wir dokumentieren diese Veranstaltung. Interviews der TP Presseagentur mit Trebor Scholz und Axel Venn folgen in einigen Tagen am Ende dieses Beitrags.

Impuls 2 – Solidarität im digitalen Kapitalismus

Digitale Plattformen wie Facebook, Google oder Amazon bestimmen Wirtschaft und Gesellschaft heute auf unterschiedlichsten Ebenen. Sie sind zu riesigen Playern geworden, die mit Daten, Wissen und Netzwerken eine enorme Macht entfalten. Doch zu welchem Preis und nach welchen Regeln?Darüber diskutiert Andrea Nahles mit Trebor Scholz, Associate Professor an der New School in New York, im Rahmen unserer Impulsreihe.Heute ab 18 Uhr hier im Livestream.

Publiée par SPD sur Jeudi 23 août 2018

Rede der SPD-Parteivorsitzenden

Andrea Nahles

„Solidarität im digitalen Kapitalismus“

Es gilt das gesprochene Wort!

  1. August 2018

„Die Idee der Genossenschaften ist für uns als SPD nicht neu. Sie liegt uns seit unserer Gründung am Herzen.
Genossenschaften aber als Antwort auf den digitalen Kapitalismus ins Spiel zu bringen, lieber Trebor, das ist sehr wohl neu. Und deshalb sollten wir darüber miteinander diskutieren.

Wenn wir das Internet heute mit dem Internet von vor zehn Jahren vergleichen, dann fällt eine große Veränderung auf:

Das Netz hat sich zentralisiert.
Im Internet zu surfen heißt heute, fast immer auf denselben Seiten zu sein: Facebook, Twitter, Youtube, Amazon und Google. Und abends vielleicht noch Netflix oder Spotify. Von den unendlichen Weiten des Cyberspace ist inzwischen nicht mehr viel übrig. Stattdessen hängen wir in einer immer enger gewordenen digitalen Nachbarschaft ab: Eben bei den oben genannten Internet-Firmen. Die steckten vor 10 Jahren noch in den Kinderschuhen. Und haben sich dann innerhalb einer Dekade zu den mächtigsten Unternehmen entwickelt, die die Welt je gesehen hat:
Apple hat gerade als erstes Unternehmen überhaupt den Rekord aufgestellt, mehr als eine Billion Dollar Börsenwert.
Facebook zählt inzwischen mehr als 2,2 Milliarden User. Tendenz steigend.
Und während ich diesen Satz sage, hat Google 200.000 Suchanfragen beantwortet. Genau gesagt 40.000 pro Sekunde, oder 3,5 Milliarden pro Tag.
Durch die Digitalisierung erleben wir gerade eine grundlegende Veränderung des Kapitalismus:

Zwischen Herstellern, Dienstleistern und Nutzern verändert sich etwas.

In den Stufen der Produktion wird Schritt für Schritt eine neue Schicht eingezogen.

In dieser Schicht geht es nicht mehr nur um die fabrikmäßige Herstellung von Waren und deren Verkauf, sondern um den Zugang und die Nutzung von Daten.

Algorithmen werden zum entscheidenden Produktionsmittel.

Daten zum zentralen Rohstoff.

Und Informationen zur Ware Nummer eins.

Wer sie wie sammelt, verwertet und was dann mit ihnen geschieht – das ist eine der großen Fragen unserer Zeit.

PLATTFORMEN

Zu dieser neuen Form des Datenkapitalismus gesellt sich die Ökonomie des Teilens, die sogenannte „Sharing-Economy“.

Sie hat bei genauerer Betrachtung aber nichts mit Teilen zu tun, sondern eher mit vermieten. Wir müssten sie daher eher „Renting Economy“ nennen, als beschönigend von Teilen zu sprechen.

Auf den Plattformen findet nämlich ein Vermieten statt – im Tausch gegen Bares oder Daten.

Bei UBER zum Beispiel. Hier lautete die ursprüngliche Idee: Wenn ich privat von Kreuzberg nach Friedrichshain fahre, dann kann ich auch jemanden gegen etwas Kohle mitnehmen. Also eigentlich nichts Anderes als bei einer Mitfahrzentrale, die wir in Deutschland lange kennen.

Wenn ich aber jeden Tag Menschen durch die Stadt kutschiere und damit mein Geld verdiene, dann ist das schlicht Erwerbsarbeit.

Und es gibt keinen Grund, warum dafür andere Regeln gelten sollten, als für Taxi-Unternehmer.

Das Problem ist nicht, dass Plattformen wie UBER ein innovatives Geschäftsmodell haben und damit bestehenden Branchen Druck machen.

Im Gegenteil, mehr Wettbewerb und Innovation sind willkommen!

Das Problem ist, dass bestehende Regeln und Normen zum Schaden der Gesellschaft unterlaufen werden.
Und sich viele neue Plattform-Betreiber dadurch einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Wir brauchen aber keinen Wettbewerb um die geringsten Löhne und Standards.
Wir brauchen einen Wettbewerb um die innovativsten Ideen und Geschäftsmodelle!  Darum geht es!

Deswegen finde ich, dass Politik hier stärker regulieren muss.
Denn wenn wir das nicht tun, ist das Resultat: Die Ehrlichen, die ihre Mitarbeiter korrekt anstellen und sozialversichern, gucken in die Röhre.

Mir ist klar, dass solche Regulierungen keinem renditeorientierten Unternehmen gefallen.
Schließlich schmälern wir damit die Gewinn-Marge. Aber: Sozialdemokratische Politik ist nun mal dem Wohl der ganzen Gesellschaft verpflichtet.

Nicht dem Rendite-Streben einiger weniger Multis!

INTERNET-GENOSSENSCHAFTEN ALS CHANCE

An dieser Stelle kommen Internet-Genossenschaften ins Spiel, auch wenn sie bisher nur einen kleinen Teil der Plattform-Ökonomie ausmachen. Sie haben aber das Potenzial, die Internet-Wirtschaft fairer und demokratischer zu machen.
Und das ist etwas, lieber Trebor, wobei ich und die gesamte SPD Dich unterstützen wollen!

Offline und Online-Genossenschaften stehen für Geschäftsmodelle, die nachhaltigen Nutzen erwirtschaften und nach dem eleganten Prinzip der drei „S“ funktionieren:

Selbstbestimmung, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung.

Eine Sache zeigt unsere Erfahrung dabei immer wieder: Genossenschaften pressen ihre Mitarbeiter nicht wie Zitronen aus.

Und sind dabei trotzdem wirtschaftlich erfolgreich!

Denn im Gegensatz zu anderen Unternehmen hängen sie nicht an der Nadel irgendwelcher Kapitalgeber oder -Märkte.
Werden zum Quartalsende nicht an ihrer Rendite gemessen.
Und müssen deswegen keinen maximalen Profit in minimaler Zeit erwirtschaften.

Die Gewinne einer Genossenschaft fließen also nicht ab. Sie verbleiben bei den Produzenten.

Und zielen auf das langfristige Wohl ihrer Eigentümer und Nutzer ab.

Ich verstehe zum Beispiel nicht: Warum schließen sich Restaurants und Gastronomiebetriebe nicht einfach selbst zusammen und gründen ihr eigenes „Foodora“?

Warum überlassen sie diesen Service einem renditegetriebenen Tech-Unternehmen, das selbst keine einzige Mahlzeit kocht? Aber auf dessen Teller am Ende die Profite landen.

Trebor hat dargestellt, welchen Stellenwert der einzelne Arbeitnehmer in der Genossenschaft genießt.

Er ist kein bloßer Kostenfaktor.
Keine gesichtslose Zahl in der Buchhaltung eines Unternehmens.
Er ist ein Mensch, der ordentlich bezahlt wird und sozialversichert ist.

Dessen Stimme „zählt“. Und der als Mit-Eigner der Genossenschaft ein Interesse daran hat, „dass der Laden läuft“.
Letzteres ist übrigens ein bewährtes Konzept in Deutschland: Wir nennen das „Mitbestimmung“. Und ist ein wichtiger Grund für den Erfolg unseres Mittelstandes.

Ich kann mir jedenfalls gut vorstellen, dass Online-Genossenschaften gerade auf lokaler Ebene funktionieren können.

Also da, wo sich Genossenschaftler und Kunden bereits kennen. So wie bei Sparkassen und Volksbanken, die übrigens besser durch die Finanzkrise gekommen sind, als kapitalmarktabhängige Banken.

Es geht jetzt natürlich nicht darum, dass es am Ende nur noch Genossenschaften im Internet gibt. Das wäre Unsinn.

Mir geht es darum, dass auch andere Eigentumsmodelle im Internet eine Chance auf Erfolg bekommen. Und nicht an formalen Hürden scheitern.
Deswegen wollen wir Internet-Genossenschaften in ihrer Gründungsphase künftig besser unterstützen.

Wir müssen deshalb darüber nachdenken, wie wir Online-Genossenschaften und gemeinwohlorientierte Start-Ups künftig ähnlich fördern wie wir das heute schon bei normalen Unternehmensgründungen tun.

DATEN FÜR ALLE GESETZ

Wir brauchen in der digitalen Wirtschaft einen fairen Wettbewerb. Den gibt es inzwischen kaum mehr.

Stattdessen haben wir Daten-Monopole der Tech-Riesen wie Google, Amazon und Co. Das werden wir nicht länger hinnehmen.
Denn digitale Monopole verhindern Innovation und beschneiden sowohl den Wettbewerb als auch die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher.

Im digitalen Zeitalter sind Innovationen datengetrieben.

Neue und verbesserte Produkte werden in Zukunft vor allem durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz und Feedback Daten entstehen.

Das heißt: Nur wer Daten hat, hat eine Chance auf Erfolg.
Und diese Daten werden derzeit monopolisiert von einigen wenigen Tech-Supermächten aus dem Silicon Valley.

Ich möchte, dass das Internet wieder ein Raum der Innovation und Freiheit wird. Deswegen akzeptiere ich nicht, dass Amazon, Google und Co. ihre Daten-Monopole weiter ausnutzen.
Gebt die Daten frei, das ist die Devise!

Wie soll das gehen? Ich habe dazu einen konkreten Vorschlag gemacht: Ein „Daten-für-Alle-Gesetz“.

Sobald ein Digital-Unternehmen einen bestimmten Marktanteil überschreitet, muss es einen anonymisierten und repräsentativen Teil seines Datenschatzes öffentlich zugänglich machen.

Andere Unternehmen und Start-Ups können die geteilten Daten dann ebenfalls nutzen, um neue Produkte zu entwickeln und damit an den Markt zu gehen.

Das Prinzip kennen wir aus dem Arzneimittelsektor. Dort dürfen Medikamente nach Ablauf eines Patents von Mitbewerbern nachgeahmt und verkauft werden.

Das funktioniert. Und die Innovationskraft der Pharmabranche hat darunter ebenso wenig gelitten wie ihre Profite.

Was ich an diesem Ansatz gut finde – und übrigens auch viele Ökonomen, die nicht alle SPD-Anhänger sind:

–        Wir durchbrechen den Teufelskreis, dass Google und Co. die Daten der User exklusiv nutzen, um damit ihre Marktmacht einbetonieren.

–           Der Wettbewerbsdruck steigt. Der Markt funktioniert wieder.

–           Und davon haben am Ende alle etwas: Die Verbraucher, die neue und bessere Dienstleistungen bekommen.

Und die Unternehmen, die mit innovativen Ideen endlich eine faire Chance bekommen.

–        Selbstverständlich werden alle Informationen, die unter das Daten-für-Alle-Gesetz fallen, bruchsicher anonymisiert. Beim Datenschutz darf es keine Abstriche geben!

Ich möchte, dass wir das Daten-für-Alle-Gesetz in absehbarer Zeit auf den Weg bringen.
Das werden wir aber auf eine neue Art machen, als bisher üblich.

Die SPD wird nämlich ein „offenes Gesetzvorbereitungs-Verfahren“ durchführen.

Das heißt: Wir werden die Eckpunkte des Gesetzes nicht nur mit Facebook und Google diskutieren.
Wir werden es zusammen mit Start-Ups, der deutschen Industrie, der Zivilgesellschaft und IT-Spezialisten erarbeiten.

Nicht hinter verschlossenen Türen.
Sondern öffentlich und transparent.

SOLIDARISCH-DIGITALE MARKTWIRTSCHAFT AUF EUROPÄISCHER EBENE

Wenn wir den digitalen Kapitalismus zähmen wollen, dürfen wir nicht nur national denken. Wir müssen den Blick über den Tellerrand wagen.
Und der macht mir, trotz vieler Fortschritte auf europäischer Ebene, noch immer ziemliche Sorgen.
Denn derzeit gibt es weltweit zwei Modelle, wie die Digitalisierung der Weltwirtschaft aussehen könnte:

Auf der einen Seite das stark unternehmensgetriebene Modell in den USA.
Ich nenne das an dieser Stelle „Wild-West-Digitalisierung“, weil es auf weitestgehend unregulierten Digital-Märkten und geringem Datenschutz beruht.
Das Silicon Valley mag dabei zwar für einen hohen Grad an Innovation sorgen. Gleichzeitig überfahren die Tech-Konzerne aber alle möglichen bestehende Sozial- und Arbeitsschutzrechte in den USA. Siehe UBER.
Auf der anderen Seite steht ein chinesisches Modell, das man inzwischen nur noch als „digitalen Totalitarismus“ beschreiben kann.
Ich weiß, Totalitarismus ist ein großes Wort.
Wenn man sich aber anschaut, wie allumfassend der chinesische Staat in die tiefsten Lebensbereiche seiner Bürgerinnen und Bürger eindringt, dann scheint mir der Begriff passend.
Denn in kaum einem anderen Land wird das Internet so stark zensiert, kontrolliert und staatlich gesteuert wie in China.
Die Digitalisierung wird damit zur ultimativen Kontrollinstanz des Staates über die Bürger. Ein orwell‘scher Albtraum!

Wir sind als Europäer dazu aufgerufen, uns genau zu überlegen: Welches Modell der Digitalisierung können und wollen wir dem digitalen Totalitarismus aus China und der Wild-West-Digitalisierung des Silicon Valley entgegenstellen?
Wie kann Europa sein eigenes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell in Zeiten der Digitalisierung schützen?

Meine Antwort darauf ist: Einzig und allein mit einer solidarischen Marktwirtschaft.
Mit klaren Regeln für die Internet-Ökonomie und einer Digitalisierung, von der die gesamte Gesellschaft profitiert.
Das ist der politische Handlungsauftrag an die Sozialdemokratie in Deutschland. Und in Europa.

Natürlich sind das Daten-für-Alle-Gesetz und die digitale Genossenschaft von Trebor Scholz nur ein Anfang.

Aber: Selbst der längste Weg beginnt mit einem ersten Schritt.

In welcher realen und digitalen Welt wir in 20 oder 30 Jahren leben werden, das steht heute noch nicht fest.

Fest steht aber, dass wir uns von der technischen Entwicklung nicht überrollen lassen wollen.
Sondern dass wir sie demokratisch gestalten werden und eine Ökonomie des Miteinanders schaffen wollen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.“

Fotoquelle und Collage: TP Presseagentur Berlin

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