Walter Mühlhausen hat eine umfangreiche Biographie über den SPD-Politiker Friedrich Ebert vorgelegt.

Gewöhnungsprozess an Kurzstrecke.

Walter Mühlhausen hat eine umfangreiche Biographie über den SPD-Politiker Friedrich Ebert vorgelegt.

Von Dietmar Jochum, TP Berlin

Von den einen als Landes-, den anderen als Arbeiterverräter bezeichnet, erlebte Friedrich Ebert als erster Präsident der Weimarer Republik, wie Walter Mühlhausen in seiner umfassenden Biographie über den Reichspräsidenten hervorhebt, »nicht weniger als neun verschiedene Kanzler mit zwölf Kabinetten – durchschnittliche Haltbarkeitsdauer einer Regierung: sechs Monate«.

Es gab für Ebert Gründe genug, das Handtuch zu werfen, ja, es werfen zu müssen, gar hinterher geworfen zu bekommen. Aus seiner Sicht trat der 1871 in Heidelberg geborene Schneidersohn und gelernte Sattler sein Amt im Februar 1919 an, als »härteste Bedrängnis von außen, tiefste Erschütterung im Innern, soziale Nöte, drohender Zerfall« die Gegenwart bestimmte. Aber er stand zur »Politik der eisernen Faust« seines Reichswehrministers Gustav Noske und ließ diesen beim Einsatz gegen die Räterepubliken von Bremen und München oder in den Märzkämpfen 1919 in Berlin uneingeschränkt gewähren.
Anti-Bolschewist
Mit Eberts Zustimmung konnte der Einfluß der Soldatenräte, deren »Herum- und Hineinregieren« er beklagte, durch Noske, der nach dem Kapp-Putsch 1920 gegen Eberts Widerstand zurücktreten mußte, vermindert werden. Den »Bluthund Noske«, der bereits bei der Niederschlagung des Matrosenaufstands November 1918 und beim sogenannten Spartakusaufstand im Januar 1919 sowie bei der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts eine unrühmliche Rolle spielte, wollte Ebert vor allem deswegen im Kabinett halten, um, so Mühlhausen, »dieses wichtige Amt für die SPD zu bewahren«. Schließlich habe er jedoch eingesehen, »daß die Opferung Noskes hohen symbolischen Wert für die organisierte Arbeiterbewegung besaß und eine Vorbedingung für die Rückkehr zu normalen Verhältnissen war«. Die Koalitionen der SPD mit der KPD in Sachsen und Thüringen 1923 waren dementsprechend für ihn eine schwere Belastung der eigenen Partei. Überall schien er die (soziale) Revolution zu wittern.

So war Ebert, zu dessen Prinzipien die Bekämpfung des Bolschewismus gehörte, auch davon überzeugt, daß die Kommunisten in die sächsische Regierung nur deswegen eingetreten waren, um den Umsturz propagieren und steuern zu können. Schon vor seiner Amtszeit gab er dem kaiserlichen Reichskanzler, Max von Baden, gegenüber zu verstehen, daß, falls der Kaiser nicht abdanke, »die soziale Revolution unvermeidlich (ist)«, er aber »hasse sie wie die Sünde« Obgleich es die SPD ablehnte, eine verfassungsmäßig zustande gekommene Regierung abzusetzen, befürwortete Ebert in letzter Konsequenz die Reichsexekution gegen Sachsen. Insbesondere aus seiner eigenen Partei wurde schwere Anklage gegen ihn erhoben, weil gegen Bayern, von dem ein (rechter) »Marsch nach Berlin« nach dem Vorbild Mussolinis drohte, nichts geschah. US-Botschafter Alanson B. Houghton hielt dagegen im Tagebuch fest, »daß es für Deutschland ein Glücksfall ist, ihn an dieser Stelle zu haben«.

»Die soziale Revolution gehaßt wie die Sünde?«, fragt Mühlhausen. Eher habe Ebert, so der Autor, »die Politik der Straße, die unkontrollierte Masse, bolschewistische Zustände«, wie er es mehrfach genannt habe, »also die Herrschaft einer Minderheit, die den Weg zur Demokratie gefährden konnte«, gehaßt. Ebert sei, wie der Autor äußerst wohlwollend meint, »beseelt von dem Glauben an die Reform und geprägt von demokratischer Grundüberzeugung«. Ein »befristetes diktatorisches (Revolutions-)Regime« lehnte er ab, »setzte statt dessen voll auf die parlamentarische Karte«. Dem steht jedoch gegenüber, was auch Mühlhausen nicht unterschlägt, daß Ebert in seiner Amtszeit 136 »(Not-)Verordnungen« auf der Basis von Artikel 48 der Weimarer Verfassung erließ. Dabei spielte es für Ebert keine Rolle, daß – wie im Falle von Sachsen – Justizminister Gustav Radbruch (SPD) aus verfassungsrechtlichen Gründen widersprach, »denn es sei nicht möglich, aufgrund von Artikel 48 eine Landesregierung abzusetzen«. Ebert setzte sich darüber hinweg.
Gewöhnungsprozeß
Wenngleich, so Mühlhausen, Ebert den Artikel 48 zur Erhaltung der Demokratie eingesetzt habe, stellte sich bei ihm (wie bei der Regierung) ein gewisser Gewöhnungsprozeß an diese »elegante legislatorische Kurzstrecke« ein.

In Amtsverständnis und Amtsführung mit seiner eigenen Partei in Konflikt geratend, habe er sich nicht an weitreichenden Entscheidungen hindern lassen, von deren Richtigkeit er überzeugt war – etwa daß eine offensive Auseinandersetzung mit der Kriegsschuldfrage und ein offenes Bekenntnis zur deutschen Schuld vonnöten waren oder daß die (milden) Urteile gegen die Mörder von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nicht zu bestätigen, sondern aufzuheben seien. Hier stieß der Artikel 48 der Weimarer Verfassung jedoch an seine Grenzen. Auch im Februar 1925, kurz vor seinem Tod, als ihm ein Gericht in Magdeburg bescheinigte, Landesverrat begangen zu haben.

Ebert selbst verbrannte viele Unterlagen, sein Nachlaß wurde bei einem Bombenangriff auf Berlin im Jahre 1943 vernichtet. Obwohl Mühlhausen daher einen großen Teil von Quellen nicht mehr nutzen konnte, hat er eine umfassende Biographie vorgelegt, die trotz seiner überaus wohlwollenden Beurteilung des ersten Reichspräsidenten einen tiefen und differenzierten Einblick in dessen Denken und Handeln vermittelt, dem sich auch Eberts Gegner nicht verschließen sollten.

Walter Mühlhausen: Friedrich Ebert 1871–1925. Reichspräsident der Weimarer Republik. J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2006, 1064 Seiten, 48 Euro.

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