Rede Wolfram Weimer beim Walter Eucken Institut.
Sehr geehrte Frau Professorin Krieglstein,
geehrter Herr Professor Feld,
meine sehr verehrten Damen und Herren!
Es gibt Momente, in denen eine kluge Bemerkung wie ein Stein ins Wasser fällt und ungeahnte Wellen schlägt. Mir ist das auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse passiert, als ich öffentlich erwog, Google zu zerschlagen – wenn der Tech-Gigant unsere kulturelle Vielfalt und die Fairness unseres Marktes gefährdet.
Die Reaktion von Richard Grenell, dem ehemaligen US-Botschafter in Berlin, ließ nicht lange auf sich warten.
Mit der für Diplomaten eher unüblichen Direktheit warf er mir einen Angriff auf die amerikanische Digitalindustrie vor, ja Anti-Amerikanismus.
In Wahrheit bin ich persönlich ein großer Freund Amerikas, drum habe ich drüben eine Weile gutbürgerlich gerne gelebt. Und an Amerika habe ich die Freiheit und die Lust auf Wettbewerb, auch den Wettbewerb der Ideen, immer gemocht.
Wie kommt also ein einflussreicher Repräsentant der großen Vereinigten Staaten dazu, wirtschaftspolitisch vernünftige Forderungen mit einer derartigen Schärfe zurückzuweisen?
Haben die USA, einst Schutzmacht des freien Wettbewerbs, kapituliert vor der Übermacht ihrer eigenen Monopole?
Der Ordoliberalismus, die Idee einer staatlichen Ordnungspolitik zur Sicherung von Wettbewerb und Freiheit, ist ja keineswegs eine deutsche Erfindung allein.
Auch die USA haben über Jahrzehnte hinweg im Sinne dieser Denkschule agiert – man denke nur an die großen Trust-Busting-Kampagnen des 20. Jahrhunderts gegen Öl-, Eisenbahn- oder Telekommunikationsgiganten. Monopole galten als die Feinde der Freiheit, als Gift für Demokratie und Wohlstand.
Und heute? Heute erleben wir, wie dieselbe Gesellschaft, die einst mit eiserner Hand Wettbewerbsschutz durchsetzte, vor den digitalen Plattform-Monopolen in die Knie geht.
Die Tech-Giganten sind zu globalen Infrastrukturen für unser Denken, Kommunizieren und Handeln geworden.
Ihre Marktpositionen sind so mächtig, dass sie nicht mehr nur Konkurrenten ausschalten, sondern auch kulturelle Standards setzen und unsere Demokratie herausfordern.
Wie gehen wir mit dieser Situation um? Ziehen wir uns zurück in jenen bequemen Fatalismus, der hofft, der freie Markt werde es schon richten? Oder haben wir den Mut, ordnungspolitisch zu handeln, um Freiheit, Pluralität und Fairness in der Medienwelt zu sichern?
Viele – mich eingeschlossen – schrecken zu Recht erst einmal zurück, wenn es darum geht, dass der Staat „irgendwas mit Wirtschaft“ machen soll.
Ich fühle mich ja selbst manchmal wie so ein Sponti aus den 70ern. Aber es geht hier nicht um den Sturm aufs kapitalistische System, nicht um planwirtschaftliche Gängelung, nicht einmal um mehr Bürokratie.
Es geht um einen klugen Ordnungsrahmen, der Machtkonzentration verhindert und faire Wettbewerbsbedingungen garantiert.
Aus ordoliberaler Perspektive ist der Staat nicht der bessere Unternehmer, aber der notwendige Schiedsrichter.
Und gute Schiedsrichter – das wissen die Fußballfans – sind die, die kaum auffallen, die unsichtbar sind, die den Spielfluss nicht unnötig unterbrechen, solange das Spiel funktioniert.
Walter Eucken brachte dieses Prinzip auf eine klare Formel:
„Staatliche Planung der Formen – ja; staatliche Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses – nein.“
Der Staat soll also die Regeln setzen, kontrollieren, nicht aber selbst Spieler – oder Trainer – werden.
Er schafft den Rahmen, in dem sich Wettbewerb entfalten kann – und dieser Wettbewerb ist die beste Garantie für Freiheit.
Denn, und auch das hat Eucken mit großer Klarheit formuliert:
„Anbieter und Nachfrager suchen stets – wo immer es möglich ist – Konkurrenz zu vermeiden und monopolistische Stellungen zu erwerben oder zu behaupten.
Ein tiefer Trieb zur Beseitigung von Konkurrenz und zur Erwerbung von Monopolstellungen ist überall und zu allen Zeiten lebendig.“
Der Markt neigt zur Selbstauflösung, wenn man ihn sich selbst überlässt.
Kartelle bilden sich, Monopole entstehen, und am Ende stirbt die Freiheit an ihrer eigenen Zügellosigkeit.
Wir erleben diese Voraussage von Eucken heute vor unseren Augen. Wir sehen, was die Folgen sind, wenn man seine Erkenntnisse nicht berücksichtigt, wenn der Ordnungsrahmen fehlt. Was können wir tun?
Auch hier gibt uns der Ordoliberalismus Antworten.
Franz Böhm, der große Jurist der Freiburger Schule, hat dazu den unvergesslichen Satz geprägt:
„Der Wettbewerb ist das genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte.“
Was für eine machtvolle, zeitlose, interdisziplinäre Erkenntnis!
Wettbewerb ist nicht nur ökonomisches Prinzip, sondern auch politisches Schutzschild gegen die Tyrannei der Wenigen über die Vielen.
Wettbewerb bedeutet, dass niemand dauerhaft seine Macht missbrauchen kann, weil immer ein anderer bereitsteht, es besser zu machen. Sobald private Macht sich zu Monopolen verdichtet, ist die Freiheit des Einzelnen gefährdet – wirtschaftlich wie politisch.
Im Bereich der Medien ist diese Gefahr besonders akut.
Algorithmen von Plattformunternehmen entscheiden über die Sichtbarkeit von Nachrichten, über die Reichweite von Medien und Kultur, ja, sie steuern sogar gesellschaftliche Diskurse. Wer keinen Zugang zu den Plattformen hat oder algorithmisch benachteiligt wird, verliert seine Stimme im öffentlichen Raum.
Das ist eine kultur- und medienpolitische, aber auch eine demokratische Gefahr.
Nehmen wir den deutschen Medienmarkt: Wir verfügen über eine vielfältige Zeitungslandschaft, starke öffentlich-rechtliche Sender und eine lebendige Kreativbranche.
Doch allzu oft hängen ökonomisches Überleben und Aufmerksamkeit mittlerweile von Gnade und Laune der Plattformen ab.
Ein von intransparenten Algorithmen bestimmter Markt ist kein freier Markt mehr.
Wenige Plattformen steuern die Sichtbarkeit von Inhalten, bündeln enorme Datenmengen und saugen Werbeerlöse ab, die früher die Finanzierung von Journalismus gesichert haben.
Die Plattformen sind dadurch nicht nur Marktteilnehmer; sie sind Marktmacher.
Sie bestimmen, was überhaupt sichtbar wird. Wir laufen dadurch Gefahr, dass Geschäftsmodelle von Kultur und Journalismus kollabieren, weil ihr Zugang zum Publikum von ausländischen Konzernstrukturen abhängt.
Das ist ordnungspolitisch nicht hinnehmbar.
Manche mögen sagen: Der Staat solle sich aus alldem heraushalten, die Digitalisierung sei ohnehin nicht zu regulieren, der Markt werde es schon richten.
Gerade beim Thema KI höre ich das gebetsmühlenartig. Doch das ist eine gefährliche Illusion. Keiner der großen digitalen Konzerne wurde je nur durch Marktkräfte gebändigt – wo ordnungspolitisch nicht eingegriffen wird, wuchert die Macht ins Maßlose.
Gerade wir in Europa haben aus der Geschichte gelernt, dass Freiheit ohne Ordnung schnell zur Freiheit der Starken und zur Ohnmacht der Schwachen wird.
Der Erfolg des deutschen Wirtschaftsmodells beruhte nie auf Staatsgläubigkeit oder bloßem Laissez-Faire, sondern auf der Balance aus Freiheit und Ordnung, Wettbewerb und Fairness.
Die USA haben diesen Weg einmal genauso gewählt. Präsident Theodore Roosevelt war es, der sagte:
„No man should receive a dollar unless that dollar has been fairly earned.“
Die berühmten Anti-Trust-Verfahren gegen Rockefeller, Standard Oil und AT&T prägten ein Jahrhundert.
Die geistigen Väter von Facebook und Google hätten ohne diese ordnungspolitischen Traditionen keine Chance gehabt.
Doch was ist davon geblieben?
Heute verteidigen US-Vertreter wie Donald Trump und Richard Grenell die Macht ihrer Digitalkonzerne, statt sie zum Wettbewerb zu zwingen. Sie verpartnern sich. Es ist aus meiner Sicht eine strategische Fehleinschätzung, die letztlich auch zur Gefahr für ihre eigene Demokratie wird.
Die USA sind vor ihren eigenen Monopolen eingeknickt – ein Verrat an ihrer großen ordnungspolitischen Tradition.
Umso größer ist unsere Aufgabe hier in Europa, in Deutschland.
Wir müssen dem Wettbewerb wieder Geltung verschaffen.
Wir müssen dafür sorgen, dass Freiheit und Haftung wieder zusammenfallen.
Wer Inhalte kuratiert, aggregiert oder mit KI neu aufbereitet, trägt Verantwortung für die Auswirkungen auf Meinungsvielfalt und demokratische Öffentlichkeit. Genau diese Haftung aber wird bislang weitgehend umgangen. Das darf nicht sein.
„Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen.“ Das ist das Haftungsprinzip, das Walter Eucken formulierte und das heute mehr denn je gilt.
Die großen Plattformen müssen für die gesellschaftlichen Kosten ihrer Macht einstehen – oder diese Macht muss begrenzt werden.
Wenn wir den Wettbewerbsgedanken ernst nehmen, heißt das: gleiche Spielregeln für alle.
Klassische Medienunternehmen tragen Verantwortung für Inhalte und Refinanzierung. Plattformen müssen diese Verantwortung künftig ebenfalls wahrnehmen, nicht als freiwillige Geste, sondern als rechtlich verbindliche Pflicht.
Darum diskutieren wir die Einführung einer Plattformabgabe. Sie ist Ausdruck ordnungspolitischer Logik. Denn sie verankert Verantwortung dort, wo Marktmacht konzentriert ist, und schafft ein level playing field für alle, die in diesem Markt agieren.
Es gilt der Gedanke der Ordoliberalen: Nur wenn wir Marktmacht begrenzen, sichern wir Vielfalt und Wohlstand.
Nur durch eine echte Wettbewerbsordnung kann die notwendige Transformation gelingen – damals von Kriegs- zu Konsumgüterproduktion, heute von analoger zu digitaler Medienwelt.
Dazu gehört konkret eben die konsequente Bekämpfung von Monopolmacht im digitalen Raum, etwa durch Interoperabilitätsauflagen, stärkere Fusionskontrolle und ja, im Endeffekt die Zerschlagung marktbeherrschender Strukturen, wo nötig.
Dazu gehört eine faire Plattformregulierung, die Transparenz bei Algorithmen, diskriminierungsfreie Zugänge und verlässliche Regeln für den Zugang von Medien, Kulturanbietern und Kreativen sicherstellt.
Und dazu gehört der Aufbau und Schutz eines europäischen digitalen Ökosystems, das kulturelle Vielfalt und Innovationskraft fördert. Digitale Souveränität bedeutet nicht Abschottung, sondern faire Regeln für alle.
Wenn wir etwas aus der gegenwärtigen medienpolitischen Situation lernen können, dann das:
Medienfreiheit ist kein Selbstläufer. Sie lebt von einem Umfeld, das Vielfalt zulässt, Konkurrenz schützt und Innovation ermöglicht. Es braucht einen Staat, der nicht nur zusieht, sondern ordnet. Nur so kann die Freiheit im 21. Jahrhundert erhalten bleiben.
Eucken formulierte es noch eindringlicher:
„Der Geist der Freiheit hat die Industrialisierung schaffen helfen – und diese Industrialisierung ist zu einer schweren Bedrohung der Freiheit geworden.“
Die Revolution frisst ihre Kinder. Die digitale Revolution, die uns so viel Freiheit versprochen hat, droht in ihr Gegenteil umzuschlagen, wenn wir nicht gegensteuern.
Der ordoliberale Weg ist der Weg der Mitte, den wir dabei ansteuern sollten – nicht im Sinne eines faulen Kompromisses, sondern im Sinne einer höheren Synthese aus den beiden Prinzipien Freiheit und Verantwortung.
Der Staat muss seine ganze Wirtschaftspolitik darauf ausrichten, dass keine Konzerne, Pools, Trusts und andere Machtgebilde entstehen, die unsere Freiheit gefährden. Das war Euckens Forderung 1946. Angesichts der monumentalen Monopole im Jahr 2025 gilt das umso mehr.
Bleiben wir also mutig. Ordoliberalismus ist kein verstaubtes Konzept aus Lehrbüchern, sondern lebendige Antwort auf die Frage, wie wir unsere Freiheit im digitalen Zeitalter verteidigen.
Mehr Ordoliberalismus in der Medienpolitik zu wagen bedeutet: Mehr Freiheit zu sichern. Für alle, nicht nur für einige wenige.
Gestatten Sie mir zum Schluss eine persönliche Bemerkung:
Wer, wie Richard Grenell, glaubt, die Zerschlagung von Tech-Giganten sei eine anti-amerikanische Idee, irrt.
Es ist vielmehr demokratischer Selbstschutz. Die Demokratie ist nie stärker als der Mut ihrer Bürger, den Mächten der Zeit die Stirn zu bieten und gegen die Selbstverständlichkeit der Macht zu opponieren.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass auch die freiheitsliebenden Amerikanerinnen und Amerikaner in diesem Sinne wieder auf den ordoliberalen Weg zurückfinden.
Vielen Dank.
Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin
