Der Artikel 146 des Grundgesetzes ist bis heute eine offene Frage.

In den Wahlkämpfen mit aller Entschiedenheit gegen den Trend nach rechts positionieren.

TP-Interview mit dem ehemaligen SED/PDS-Ministerpräsidenten in der DDR und heutigen Ehren- und Ältestenratsvorsitzenden der Partei DIE LINKE Hans Modrow.

TP: Herr Modrow, am 17. Juni wäre ja, wenn die Wiedervereinigung nicht gekommen wäre, der sog. Tag der Deutschen Einheit gewesen. Helmut Kohl hat ihn nicht mehr erlebt, er war einen Tag zuvor verstorben. Die für diesen Tag vorgesehene Diskussion zwischen Gregor Gysi und Heiner Geißler ist deswegen nicht zustande gekommen, weil Heiner Geißler aufgrund des Todes Helmut Kohls abgesagt hat. Enttäuscht?

Modrow: Ich habe Verständnis, dass Heiner Geißler, der ja eine nicht zu übersehende Distanz zu Helmut Kohl hatte, hier nicht erschienen ist, weil er diese Distanz einen Tag nach dem Tod von Helmut Kohl hier gewiss nicht wiedergeben wollte; denn ich glaube nicht, dass Herr Geißler durch den Tod Kohls diesem näher gekommen ist. Das sind Probleme, die man persönlich miteinander austrägt. In dieser Form habe ich Verständnis zugleich. Das ist natürlich auch eine Situation, die sichtbar macht, das eines bei diesen Auseinandersetzungen wiedergibt, außen vorgehalten wird: Kohl hatte einen Spielraum durch die Interessen der USA, die er vor allem vertreten hat. Und aus dieser Sicht ist natürlich auch der Platz für diese Abläufe, die dann entstanden sind mit dem Prozess der Vereinigung. Ich habe am 30. Januar 1990 mit Gorbatschow in Moskau über eine Vereinigung Deutschlands gesprochen. Und da war klar: es müsste ein militärisch neutrales Deutschland sein. Eine Woche später ist der amerikanische Außenminister Baker in Moskau, und Gorbatschow knickt ein. Einen Tag später kommt Kohl, dann heißt es Vereinigung – aber mit der Nato. Heute haben wir eine Nato, die an den Grenzen von Russland, die auf den Gebieten von Polen und des Baltikums steht, und die Deutschen stehen mit vorne dran. Das ist einfach der Wechsel, der sich vollzieht, und da, glaube ich, ist einfach gerade in diesen Tagen eine Notwendigkeit, den Gesamtkomplex einer Geschichte zu betrachten und nicht Einseitigkeiten, die in Wirklichkeit ein Verschieben des wirklichen Ablaufes der Kräfteverhältnisses und der Zusammenhänge bringen.

TP: Sie waren ja nun auch an einer gemeinsamen deutschen Verfassung mitbeteiligt, die nie verwirklicht wurde. Wäre es durch eine gemeinsame deutsche Verfassung zu mehr Interventionsmöglichkeiten bzw. Einflussmöglichkeiten gekommen?

Modrow: Auf jeden Fall wäre zumindest mit einer Verfassung der DDR, mit der man in die Vereinigung geht, der Artikel 146 des Grundgesetzes …

TP: … wonach das Grundgesetz , das nach der Wiedervereinigung für Gesamtdeutschland gilt, seine Gültigkeit an dem Tag verliert, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die vom deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist…

Modrow: …und der heute noch gilt, in Bewegung gebracht worden. Das war ja die Absicht. Hier spielt insbesondere eine Rolle – das darf ich hier mit aller Eindeutigkeit sagen -, dass der Entwurf, den wir zur Zeit der DDR noch eingebracht haben, Grundlage der weiteren Debatte wird. Dieser Auffassung war auch Wolfgang Ullmann von Bündnis 90/Die Grünen, mit dem ich befreundet war und der ebenfalls genau diese Frage nach  einer Verfassung stellte, die auf diesem Entwurf beruhte. Es wurde jedoch alles blockiert und Wolfgang Ullmann hat dann seine Mitarbeit in dem Sonderausschuss, der diese Aufgabe eigentlich im Bundestag bearbeiten, nicht gleich lösen sollte, aufgegeben, weil er gesagt hat, hier sei die Gleichheit, die Achtung nicht mehr gegeben. Damit ist eine Situation entstanden, die eben die Frage der Vereinigung über den Artikel 23…,

TP: …der die Anschlusserklärung der DDR an die Bundesrepublik geregelt hat…

Modrow: … und der Artikel 146 ist bis heute eine offene Frage. Eine wirkliche Abstimmung des deutschen Volkes über eine Verfassung, die wirklich Frieden, soziale Gleichheit bringt, ist immer noch offen.

TP: Wo sehen Sie eigentlich die Zukunft der Linken? Wo sehen Sie eine Chance bei den Bundestagswahlen im September?

Modrow: Auf jeden Fall bringt die Wahl in Nordrhein-Westfalen einen Hoffnungsschimmer mit. Bei allem, was da nun für einen Einzug in den Landtag fehlte, ist das natürlich sehr, sehr schwer zu ertragen, weil alle gekämpft und diese 0,1 Prozent am Ende trotzdem fehlten.

TP: Knapp vorbei ist auch daneben.

Modrow: Aber auf jeden Fall ist spürbar, dass die Chance da ist, mit einer stabilen Fraktion wieder in den Bundestag einzuziehen. Aber da steht dann eine Forderung: Ich darf nicht nur sagen, ich will die drittstärkste Fraktion werden und dann wieder Opposition sein. Dann muss ich auch sagen, ich will einen stärkeren Kampf als Opposition – wie wir’s in den letzten Monaten eigentlich praktiziert haben.

TP: Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die Linken bei den Landtagswahlen so schlecht abgeschnitten haben – von NRW mal abgesehen, wo ja nur 0,1 Prozent fehlten? Wird bei den Linken die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit nicht überzeugend genug zum Ausdruck gebracht?

Modrow: Es ist zunächst eine Situation, die man ganz ernst nehmen muss in der Bundesrepublik. Man kann nicht nur über die Rechtsentwicklungen in Polen, Frankreich oder auch in Ungarn sprechen, sondern auch über die Tatsache, dass die AfD in 12 von 16 Landtagen vertreten ist, so dass es auch in Deutschland einen Schub in diese Richtung gibt und nicht umgekehrt. Deutschland wirkt mit diesen Kräften auch nach außen. Beispiel Österreich: Die Sozialdemokraten beginnen mit der FPÖ zu diskutieren. Wie lange dauert es in Deutschland, bis man dabei ist, die rechte Seite zu stärken? Und genau aus diesem Grunde ist es notwendig, dass die Linke sich auf ihr eigenes Profil orientiert – was eben nicht nur soziale Gerechtigkeit heißen, sondern bedeuten soll: sich auch für Frieden und gegen Krieg und auch mit aller Entschiedenheit gegen diesen Trend nach rechts auch in den Wahlkämpfen mit einem klaren, deutlichen Profil darzustellen und zu zeigen.

Interview: Dietmar Jochum, TP Presseagentur Berlin

Fotoquelle: TP Presseagentur/dj

3 Antworten

  1. Zurückliegend habe ich alle im Bundestag vertretenen Parteien angeschrieben und gebeten, mir als Wähler mitzuteilen, was getan wird, den Auftrag aus Artikel 146 GG zu erfüllen. Der Erfolg war Null! Leider schwieg sich auch die Linke dazu aus. Was soll ich da noch wählen gehen, wenn mir, dem Wähler, noch nicht einmal geantwortet wird?

  2. Verehrter Herr Schamp, wie naiv sind Sie denn? Sie glauben doch wohl selber nicht, dass die Politiker, die Sie anschreiben, den Auftrag aus Artikel 146 dergestalt zur Abstimmung stellen, dass hier eine andere „Verfassung“ am Ende herauskommt als das GG. Genauso gut könnten Sie den Papst anschreiben, eine andere Bibel zur Abstimmung zu stellen. Können Sie mir folgen?

  3. Nein, kann ich nicht!
    Frage: Gibt es den Artikel 146, Ja oder Nein?
    Gibt es ihn, dann gibt es auch den Auftrag, den unsere Politiker zu erfüllen hätten.
    Tun sie aber uni sono nicht.
    Und warum nicht?
    Antwort: Weil die geheimen Zusatzabkommen mit den USA das nicht zulassen!
    Ergo; sind wir immer noch eine Kolonie der USA!

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