Gorch Fock: Keine Entschädigung im Fall Jenny Böken.

Das Oberverwaltungsgericht NRW in Münster hat am 14. September entschieden, dass die Eltern der auf der Fahrt der „Gorch Fock“ über Bord gegangenen und später tot geborgenen Jenny Böken wegen deren Todes keine Entschädigung von der Bundesrepublik Deutschland verlangen können.

Jenny Böken wurde nach ihrem Abitur im Sommer 2008 als Anwärterin für die Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdienstes als Soldatin auf Zeit bei der Bundeswehr eingestellt. Sie wollte Medizin studieren und anschließend als Ärztin im Dienste der Bundeswehr tätig sein. Zur Ausbildung gehörte ein mehrwöchiger Aufenthalt auf der „Gorch Fock“, dem Segelschulschiff der Bundeswehr. In der Nacht vom 3. auf den 4. September 2008 nahm Jenny Böken den Wachdienst vorn auf dem Oberdeck des Schiffes, der sog. Back, wahr. Kurz vor Mitternacht fiel sie an der Steuerbordseite des Schiffes über Bord, eingeleitete Rettungsaktionen verliefen erfolglos.

Mit dem Berufungsurteil hat der 1. Senat die vorhergehende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen vom 22. Oktober 2014 im Ergebnis bestätigt. Zur Begründung hat der Vorsitzende des Senats im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die einmalige Entschädigung nach § 63 a Soldatenversorgungsgesetz setze voraus, dass ein Soldat sich bei Ausübung einer Diensthandlung einer damit verbundenen besonderen Lebensgefahr ausgesetzt habe und infolge dieser Gefährdung einen Unfall erlitten habe, an dessen Folgen er verstorben sei. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Der von Jenny Böken wahrgenommene Wachdienst als Posten Ausguck sei nach den in der Unglücksnacht gegebenen objektiven Umständen nicht lebensgefährlich gewesen. Insoweit sei darauf abzustellen, welche Tätigkeiten die vorzunehmende Diensthandlung erfordere. Auf Grund der Angaben vom Senat vernommener Zeugen wie auch des Inhalts der Akten stehe fest, dass es zur Dienstverrichtung insbesondere nicht erforderlich gewesen sei, an die Schiffsreling heranzutreten oder sich gar darüber zu beugen. Dies gelte vor allem für den Bereich der von dem Wachposten zu kontrollierenden Positionslampen wie auch für den Bereich der sog. Königspoller im Bugbereich, an dem die Bordwand besonders niedrig ist. Eine besondere Sicherung des Postens Ausguck gegen ein Überbordgehen oder das Tragen einer Schwimmweste seien während des Wachdienstes von Jenny Böken entsprechend den Marinedienstvorschriften nicht erforderlich gewesen. Ein Überbordgehen des Postens Ausguck sei in der maßgeblichen Nacht und bis zum Zeitpunkt des Überbordgehens nicht zu befürchten gewesen, da das ca. 80 m lange Schiff angesichts der konkreten Umstände sehr ruhig und stabil in der See gelegen habe: Das Schiff habe sich, einen achterlichen steifen Wind nutzend, bei einer Wellenhöhe von etwa 1,5 Metern auf einem gleichbleibenden Kurs befunden. Dies alles habe lediglich zu einer leichten Krängung – also zu einer seitlichen Neigung – des Schiffes um etwa 3 bis 5 Grad nach Backbord geführt, nicht aber zu einem „Stampfen“ (Schaukeln des Schiffes um seine Querachse) oder „Rollen“ (Schaukeln des Schiffes um seine Längsachse).

Auf subjektive, nur in der Person von Jenny Böken liegende Umstände, insbesondere etwaige Erkrankungen komme es für die Beurteilung, ob eine besondere Lebensgefahr vorgelegen habe, nicht an, weil insofern nur auf die Diensthandlung abzustellen sei. Dafür sprächen Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der Vorschrift. Selbst wenn solche Umstände grundsätzlich aber zu berücksichtigen sein sollten, führe dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn im konkreten Fall hätten solche Umstände nicht vorgelegen. Insbesondere habe sich nicht feststellen lassen, dass Jenny Böken auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen generell nicht borddienstverwendungsfähig gewesen sei und deshalb auf der „Gorch Fock“ überhaupt keinen Dienst hätte verrichten dürfen. Bei der Einstellungsuntersuchung Anfang Juli 2008 zu Tage getretene gesundheitliche Bedenken im gynäkologischen Bereich hätten nach Rücksprache mit dem behandelnden Gynäkologen am Heimatort nachvollziehbar ausgeräumt werden können. Etwaige andere gesundheitliche Einschränkungen beträfen möglicherweise die Verwendung von Jenny Böken im Sanitätsdienst der Marine, nicht jedoch ihre allgemeine Borddienstverwendungsfähigkeit. Dies sei aber unerheblich, da sich mit dem Unglück ein dem allgemeinen Borddienst und nicht spezifisch dem Sanitätsdienst zuzurechnendes Risiko realisiert habe. Auch habe sich nicht feststellen lassen, dass ihr häufiges Einschlafen Krankheitswert gehabt und deshalb zur Dienstunfähigkeit geführt habe. Am Unglückstag selbst habe sie auch nicht mehr wie noch an den beiden Tagen zuvor über Unterleibsschmerzen geklagt. Vielmehr habe sie den Wachposten Ausguck freiwillig im Tausch mit einer erkrankten Kameradin übernommen.

Darüber hinaus könne die Klage aber auch dann keinen Erfolg haben, wenn eine besondere Lebensgefahr auf Grund objektiver oder subjektiver Umstände anzunehmen sein sollte. Das Unglück sei von niemandem beobachtet worden. Es hätten sich keine greifbaren Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Jenny Böken gerade infolge von Umständen, die ggf. eine besondere Lebensgefahr begründeten, über Bord gegangen sei. Es sei möglich und nicht lediglich entfernt anzunehmen, dass sie infolge anderer Umstände verunglückt sei. Insoweit sei insbesondere auch eigene Unvorsichtigkeit z.B. im Bereich der Königspoller oder der Positionslampen in Betracht zu ziehen. Die Unaufklärbarkeit des Kausalzusammenhangs gehe zu Lasten der anspruchstellenden Kläger.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann Nichtzulassungsbeschwerde erhoben werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.

Aktenzeichen 1 A 2359/14 (1. Instanz: VG Aachen 1 K 2995/13)

4 Antworten

  1. Tja, man muss halt in einem Kaufhaus auf einer Bananenschale ausrutschen, dann gibt’s Schadensersatz:

    „Im Gegensatz zu den vertraglichen Schutzpflichten löst die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht eine deliktische Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB aus. Zwar ist eine Verkehrssicherung, die jedwede Schädigung ausschließt, nicht zu erreichen und kann daher auch niemandem abverlangt werden. Geboten sind jedoch solche Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Diese Verpflichtung trifft auch ein Einzelhandelsunternehmen in Bezug auf seine Geschäftsräume (OLG Hamm, Urteil vom 15.03.2013, 9 U 187/12). Es hat in den Grenzen des technisch Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren dafür zu sorgen, dass die Kunden durch die angebotene Ware und den Zustand der Geschäftsräume – insbesondere auch des Fußbodens – keine Schäden erleiden.“

    Die Entscheidung des OVG NRW in Münster ist demnach völlig willkürlich.

    • Was heißt denn hier „völlig willkürlich“?
      Die Entscheidung des OVG Münster war geplant und vorsätzlich und hat mit Wahrheitsfindung doch nun absolut nichts mehr gemein!
      Als gestern, Donnerstag, den 15.09.2016, der Spruchkörper des OVG Münster zur „Urteilsfindung“ antrat, da stand doch der Ausgang bereits fest. Wie anders ist denn einem vernunftbegabten Menschen zu erklären, dass man am Abend bereits das Urteil erwartete?
      Wahrheitsfindung sieht anders aus!

      Kann man nur hoffen, dass die Eltern von Jenny Böken versierte Strafverteidiger finden, die die Sache von hinten aufrollen. Denn das was da gestern hochkam schreit doch nach Strafverfolgung.

  2. Wieder mal stellt sich die Deutsche Justiz ein Armutszeugnis aus. Wäre es auf einem privat genutzten Schiff passiert, sähe die Sache ganz anders aus. Solche Beschlüsse sind politisch motiviert und gewollt, nur nichts zahlen wollen, wie immer, wenn es um Schäden geht, die im öffentlichen Dienst passieren. Die Willkürjustiz gehört reformiert und das gründlich. Hier hilft nur sämtliche Instanzen durchzuklagen, bis zum EuGH, auch wenn dies ein sehr langer Weg ist. Die Deutsche Justiz ist nur noch peinlich.

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