Jeder Bürger in Europa sollte das Recht auf einen unabhängigen gesetzlichen Richter haben.

Polnische Juristen beklagten in einer Veranstaltung im Kammergericht in Berlin am 18. Oktober 2017 die Situation der Justiz in Polen.

Eingeladen hatte die Neue Richtervereinigung e.V. (NRV), der Deutsche Richterbund – Landesverband Berlin – sowie der Verein Forum Recht und Kultur im Kammergericht e.V. am vergangenen Mittwoch in den Plenarsaal des Kammergerichts in Berlin zu dieser Veranstaltung, in der es um die Sorge der Umstrukturierungen in der polnischen Justiz ging, „deren Unabhängigkeit in Gefahr gesehen und mit Sorge betrachtet werde“.

Den Verbänden und dem Verein sei es ein gemeinsames Anliegen gewesen, in dieser Veranstaltung u.a. durch unmittelbar betroffene polnische Richterkollegen über die konkrete Situation – nicht nur bei den Verfassungs- und Obergerichten, sondern auch auf der Ebene von Land- und Amtsgerichten – in der polnischen Justiz zu informieren. Dazu eingeladen waren Kenner des polnischen Justizsystems, mit denen die aktuelle Situation der Gerichte im Nachbarland Polen analysiert und gemeinsam mit dem Publikum diskutiert werden sollte.

Dr. Bernd Pickel, Vorsitzender des Vereins Forum Recht und Kultur im Kammergericht und Präsident des Kammergerichts, präzisierte in seiner Begrüßungsansprache: „Wie wirkt sich die Entwicklung, die es in Polen gibt, auf Richterinnen und Richter an allen Gerichten in Polen aus, haben sie Sorgen um ihre richterliche Unabhängigkeit, Sorgen ob sie Richter bleiben können, sehen sie ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet, sehen sie sich überlastet?“

Bartosz Przymusiński, Richter aus Poznań und Sprecher der polnischen Richtergesellschaft IUSTITIA, beklagte zunächst das Tempo, mit dem die Veränderungen im polnischen Justizsystem letztendlich vonstatten gingen, und sprach von ernsthaften Bedenken der polnischen Richterschaft im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit. Es habe mit dem Verfassungsgericht begonnen, das dafür zuständig ist, dass die Gesetze mit der Verfassung in Einklang stehen. Zwei Richter wurden im Einklang mit der Verfassung gewählt, drei weitere jedoch nicht, weil die Stellen noch nicht vakant waren. Das Parlament habe die Situation ausgenutzt und beschlossen, dass keiner dieser fünf Richter ordnungsgemäß gewählt worden sei. Das Parlament habe folglich fünf weitere Richter berufen, und drei davon für die Stellen, die eigentlich durch das Gericht gewählt und anerkannt werden sollten. In Polen sei es eigentlich üblich, dass die Richter durch das Parlament vereidigt werden. Vereidigt wurden aber nur drei der Richter durch den Präsidenten, und nur diese hätten dann mit Richtertätigkeit begonnen. Von diesen drei Richtern wurde dann der Präsident des Verfassungsgerichts gewählt, der dann in vielen laufenden Verfahren die Besetzung abgeändert habe. Auf Antrag des Justizministers auf Ausschluss einiger früher ernannten Richter sei diesen nicht erlaubt worden, als Richter tätig zu sein. In der letzten Zeit richteten Gerichte so auch wesentlich weniger Anfragen an das Verfassungsgericht, was ein Zeichen des mangelnden Vertrauens der ordentlichen Gerichte gegenüber dieser Institution sei. Nach diesen Änderungen beim Verfassungsgericht habe das Parlament beschlossen, nunmehr die Änderungen beim Obersten Polnischen Gericht, bei ordentlichen Gerichten und beim polnischen Richterrat vorzunehmen. Es sei sehr wichtig, so Przymusiński, den Hintergrund dieser Änderungen zu kennen: es seien Kampagnen in der Öffentlichkeit geführt worden, die zum Ziel hatten, die Richter zu verunglimpfen und herabzusetzen. In Straßenplakat-Kampagnen und Werbespots, die es im polnischen Fernsehen gab, sei suggeriert worden, dass Richter quasi straflos über dem Recht stünden; diese Kampagnen wären allesamt durch staatliche Großunternehmen finanziert worden. Das selbst gesetzte Ziel des Justizministeriums sei die Beendigung der Situation, dass Richter sich selbst wählen, diese sollten nur noch durch das Parlament gewählt werden. Im Juni 2017 gab es im Parlament drei Gesetze: das erste betraf die ordentlichen Gerichte, das zweite den obersten polnischen Gerichtshof, das dritte den polnischen Richterrat. Was das Gesetz des polnischen Richterrats angehe, wurde bekannt, dass man die Kadenz von allen Richtern, die dort momentan sind, beendet, und fünfzehn Richter sollen nun durch das Parlament zu wählen sein. Im Gesetz des obersten Gerichtshofs wurde vorgesehen, dass alle Richter in den Ruhestand geschickt werden, es sei denn, dass der Minister sein Veto einlege. Damit verbunden sei, eine Disziplinarkammer zu schaffen, die zum Ziel habe, Richter schnell zu tadeln. Das dritte Gesetz betreffend die ordentlichen Gerichte habe vorgesehen, dass der Justizminister die Präsidenten der Amtsgerichte widerrufen bzw. abgesetzt hat, ohne dass die Richterschaft dabei gefragt wurde. Es gäbe auch neue Regeln, was die Wahlen des neuen Präsidenten betreffe, auch hier könne der Justizminister beliebig wählen, ohne dass die Richterschaft in den jeweiligen Gerichten nach ihrer Meinung gefragt werde. Man müsse das Ganze als geschlossenes System sehen, der Justizminister könne die Präsidenten der ordentlichen Gerichte berufen und widerrufen. Im Obersten Gericht sollen nur die Richter sein, die die Zustimmung des Justizministers bekommen haben, und im Richterrat nur die durch das Parlament gewählten Richter. Diese Änderungen führten zu starken öffentlichen Protesten, es gab Lichterketten, Bürger haben sich vor den Gerichten mit Richtern getroffen. Im Ergebnis habe der Präsident beide Gesetze – das Gesetz betreffend des obersten Gerichtshofs und des obersten Richterrats – zwar nicht unterschrieben und sein Veto eingelegt, allerdings habe er das Gesetz betreffend der ordentlichen Gerichte abgesegnet. Das Gesetz sei bereits in Kraft. Die übrigen Gesetze hätten nun neue Entwürfe des Präsidenten, die Unterschiede seien, was bisher der Justizminister zu entscheiden hatte, darüber habe nun der Präsident zu befinden; nichtsdestotrotz würden die Unabhängigkeit der Richter, der Justiz ausgeschaltet. Was das in Kraft befindliche Gesetz der ordentlichen Gerichte betreffe, so seien bereits einige Präsidenten berufen worden, in einigen Fällen konnten andere das nur der Presse entnehmen, dass sie abgesetzt wurden. Der Justizminister hätte nun das Recht, Richter der unteren Instanzen in höhere Instanzen abzuordnen und in einigen Fällen wären solche Richter auch die Präsidenten in den höheren Instanzen direkt nach der Anweisung des Justizministers geworden. Der Minister sei also nun dazu befugt, jemanden als Präsidenten eines Gerichts zu ernennen, der vorher bei einem anderen Gericht berufen war. Das sei der derzeitige Sachstand, aber wir erwarten, so Przymusiński, dass noch wesentlich mehr Präsidenten abberufen werden, weil der Justizminister noch Zeit habe, 6 Monate; das habe Mitte August angefangen.

Prof. Krystian Markiewicz, Vorsitzender der polnischen Richtergesellschaft IUSTITIA, sprach von den zwei neuen Gesetzen, die vom Präsidenten vorgeschlagen wurden, nachdem er im Juli 2017 sein Veto gegen parlamentarische Vorschläge eingelegt hatte. Im zweiten Teil berichtete Prof. Markiewicz über den richterlichen Alltag nach dem Inkrafttreten der neuen Justizgesetze.

Markiewicz betonte, dass sich der polnische Präsident nach Juli 2017 an alle politische und gesellschaftliche Kreise gewandt und sie zur Zusammenarbeit an den neuen Gesetzen aufgerufen habe. Es habe sich aber nur um leere Worte gehandelt. Prof. Markiewicz sei mit der Richtergesellschaft IUSTITIA zu einem Dialog bereit gewesen. IUSTITIA habe aktiv daran teilgenommen und unter anderem selbst drei neue Gesetzesvorschläge unterbreitet. Prof. Markiewicz habe dafür plädiert, die Öffentlichkeit einzubinden und Volksbefragungen durchzuführen. Nichts sei geschehen. Weder der Präsident noch die regierenden Politiker seien auf den Meinungsaustausch eingegangen. Die novellierten Justizgesetze seien hinter geschlossener Präsidententür „auf die Welt gekommen“, an Gesprächen hätten nur die Politiker und der Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński teilgenommen.

Wie sehen die neue Gesetze aus, was unterscheide die präsidentiellen Vorschläge von den parlamentarischen? Es gäbe es keine gravierenden Unterschiede, so Markiewicz, alle Vorschläge hätten denselben Nenner und zielten darauf ab, die Gerichte zu politisieren. Der Richterrat entscheide, wer Richter werden dürfe und wer nicht. Der Knackpunkt sei, wer in diesem Gremium sitzen soll. Der größte Teil der Mitglieder solle laut Verfassung aus den Reihen der Richterschaft besetzt werden. Bislang wurden sie auch von der Richterselbstverwaltung gewählt. Schon der Vorschlag des Parlaments sah vor, dass das Parlament die Richter aussuchen sollte, die den Richterrat bilden sollten und so die Wahl politische Sympathie wiederspiegeln würde. Die Änderung des Präsidenten sähe allein die Änderung hinsichtlich der parlamentarischen Mehrheit vor, die die Richter zum Richterrat wählen soll und zwar aus der einfachen auf eine Dreifünftelmehrheit. Die Zusammensetzung des Obersten Gerichts würde sich auch ändern. Die Richter, die die Altersgrenze von 65 Jahren erreicht haben, würden entlassen und nicht wie bisher mit der Altersgrenze von 72 Jahren in den Ruhestand verabschiedet. Diese Regelung betreffe fast 40 Prozent aller Richter. Die neuen Justizgesetze sehen zwei neue Kammer vor: eine Disziplinarkammer und eine Außerordentliche Kontrollkammer, die sich zugleich um öffentliche Angelegenheiten kümmern solle. Diese Kontrollkammer soll z.B. die Kompetenz haben, über die Gültigkeit der Parlamentswahlen zu entscheiden. Neben den Richtern sollen in den neuen Kammern auch Schöffen sitzen. Der Präsidentenvorschlag sähe vor, dass die Schöffen durch Senatoren der regierenden Partei ausgesucht sein sollen (Senat ist die zweite Kammer des polnischen Parlaments in Ergänzung zur ersten Kammer).

Wie ändert sich dadurch der richterliche Alltag? Viele Richter gingen von sich in den Ruhestand, weil sie von der Politik nicht abhängig sein möchten. Sie fürchteten um Ihre Unabhängigkeit. Nach Angaben des Richterrates gäbe es zurzeit 850 offene Richterstellen in Polen. Sie würden aber nicht vom Justizministerium ausgeschrieben, weil der Justizminister auf einen neuen politischen Richterrat warten wolle, um eine ausreichende Kontrolle bei der Neuanstellung zu haben.

Außerdem mache der Justizminister großzügig Gebrauch von dem neuen Gesetz über die ordentlichen Gerichte. Viele Präsidenten würden vor Ende Ihrer regulären Amtszeit entlassen, einige erführen es nicht persönlich, sondern von der Webseite des Justizministeriums.

Prof. Markiewicz hat um Solidarität mit den polnischen Richtern gebeten. „Wir sollten solidarisch gemeinsame, europäische Werte hüten. Jeder Bürger in Europa, unabhängig davon, ob es sich um einen Deutschen, Italiener oder Franzosen handelt, jeder sollte das Recht auf einen unabhängigen gesetzlichen Richter haben. Seien Sie nicht zögerlich, anderenfalls kann es zu spät sein“, schloss Prof. Markiewicz seinen Vortrag und seinen Appell an die deutschen Kollegen.

Thomas Guddat, Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Richtervereinigung, wies zunächst auf einen kuriosen Umstand hin: Der polnische Justizminister rechtfertige seine Justizreformen gerne damit, dass diese europäischen Standards, insbesondere denen in Deutschland, entsprechen würden. Aus Sicht des Referenten gäbe es hier jedoch Klarstellungsbedarf. Von einer Vorbildfunktion des deutschen Systems für polnische Reformen könne angesichts der gravierenden Unterschiede zwischen beiden keine Rede sein. Zu nennen seien hier etwa die Wahlen zu den obersten Bundesgerichten, der Föderalismus in Deutschland, die wesentliche Unterschiede zu den geplanten und bereits umgesetzten Justizreformen in Polen darstellten. Es gehe natürlich nicht darum, die polnische Regierung hinsichtlich der Gestaltung ihres Justizsystems zu belehren. Es sei ihm vielmehr daran gelegen, so Guddat, zur Versachlichung der Diskussion beizutragen, an dem es insbesondere dem Dialog in Polen, bzw. den Monologen zweier verhärteter Lager, derzeit fehlen würde. Bezogen auf die Ernennung von Richtern, hätte Deutschland heute – entgegen der Auffassung des polnischen Justizministers – als Beitrittskandidat Schwierigkeiten, die Kriterien der EU zu erfüllen. Auch in Deutschland gäbe es derzeit auf diesem Gebiet institutionelle Defizite, weshalb die Neue Richtervereinigung und der Deutsche Richterbund sich für mehr richterliche Selbstverwaltung stark machten.

Die deutschen Richter verfolgten die Geschehnisse in Polen jedoch mit zunehmender Verwunderung. Seine vorläufigen Höhepunkte erreichten die Veränderungen des Justizwesens während des Gesetzgebungsverfahrens im Juli 2017. Die Debatte sei im Chaos versunken – die Abgeordneten, aus ihren Ferienträumen gerissen, sahen sich mit hochkomplexen juristischen Inhalten konfrontiert, über die unter üblichen Umständen monatelang hätten debattiert werden müssen. Und noch bevor die Medien oder die Öffentlichkeit die Gesetzespläne verdauen oder überhaupt erst verstehen konnten, hätten die Dinge – begleitet von medialen Schlagzeilen und Pauschalurteilen, Desinformationskampagnen und schließlich auch zunehmenden Protesten – ihren unbeirrten Lauf genommen. Guddat frage sich: Warum das Eiltempo und woher die mögliche Motivation? Das Vorgehen der Regierung könne einen an einer bloßen Sachmotivation zweifeln lassen.

Erklärter Zweck der Gesetzesänderungen in Polen sei vor allem die Stärkung des Einflusses des Justizministers bei der Besetzung von Führungspositionen und die Erweiterung der Aufsichtsbefugnisse über die Gerichte.

Passend zum Thema der Veranstaltung seien wenige Tage zuvor die Ergebnisse einer europaweiten Onlinebefragung des European Network of the Councils for the Judiciary (ENCJ) zur Unabhängigkeit der Richter vorgestellt worden. An der Umfrage im Herbst 2016 hätten knapp 12 000 Richter aus 26 Ländern teilgenommen, auch aus Polen. 74 Prozent der befragten polnischen Richter hätten angegeben, dass die polnische Regierung ihre Unabhängigkeit in den vergangenen zwei Jahren nicht geachtet habe. Dem Parlament hätten das 72 Prozent der Richter vorgeworfen. 60 Prozent der polnischen Richter meinten außerdem, dass die Medien die Richter nicht respektieren würden. Bei ihren Amtskollegen in Deutschland und den Niederlanden wären dies nur 20 Prozent.

Auch für Deutschland enthielt die Onlinebefragung überraschende Ergebnisse. Von den rund 3000 deutschen Teilnehmern glaubte allerdings ein Viertel, dass Veränderungen im Bereich der Arbeitsbelastung („case load“) ihre Unabhängigkeit unmittelbar negativ beeinflusst hätten. Erschreckend sei, dass nahezu 50 Prozent der Meinung waren, dass Richter in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren nach anderen Kriterien als Fähigkeit und Erfahrung befördert wurden.

Es sei aber nicht einmal so sehr entscheidend, wie die Regelungen zu den Gerichtsverfassungen im Detail lauten. Die meisten Staaten hätten in ihrer Verfassung die Unabhängigkeit der Justiz und viele Vorschriften zum Schutze der dritten Gewalt garantiert. Wichtiger sei, wie das Prinzip der Gewaltenteilung gelebt und verinnerlicht wird. Justiz sei nur so stark, wie ihre Unterstützung in Politik und Gesellschaft. Auch hierin sehe er, so Guddat, einen wesentlichen Unterschied zu Polen.

Gerade mit Blick auf die Justiz spreche die PiS (Prawo i Sprawiedliwość) ein tief verwurzeltes Misstrauen und eine Unzufriedenheit an, die in der Bevölkerung verbreitet scheine. Immerhin 63 Prozent geben in einer Befragung an, dass sie Reformen im Gerichtswesen befürworten. Die PiS-Regierung greife dies auf und stelle die Reformpläne als überfällige Maßnahme eines notwendigen Demokratisierungsbestrebens dar. Aufgrund der Wahlergebnisse betone die PiS das klare Mandat aus der Bevölkerung, die selbstmächtig und im ausschließlich eigenen Interesse agierende „Kaste“ einer abgehoben-elitären Justiz in ihren Machenschaften zu kontrollieren und das Rechtswesen „dem Volk“ zurückzugeben.

Es befremde, dass sich der Justizminister ständig in den Medien in drastischer Weise über Richter äußere und Kommentare zu laufenden Verfahren abgebe. Justizminister Ziobro beschimpfe in seinen Reden regelmäßig die Richterschaft als „Kaste“; er werde diesen „Augiasstall“ reinigen. Jarosław Kaczyński bezeichne das geltende Justizsystem als „postkommunistisch“ und als „Krankheit“.

Nicht vorstellbar sei hierzulande auch, dass Disziplinarverfahren gegen Richter eingeleitet werden, die aus Sicht des Justizministers unrichtige Entscheidungen trafen. So sollen bereits Ermittlungsverfahren gegen Richter, die nicht den Anträgen der Staatsanwaltschaft gefolgt seien, eingeleitet worden sein. Besorgniserregend sei auch eine Kampagne gegen Richter von der Polnischen Nationalstiftung. Diese wurde durch die PiS-Regierung ins Leben gerufen, ursprünglich mit dem Ziel, das Ansehen Polens im Ausland zu stärken. Nun verwende die von den siebzehn größten polnischen Staatsunternehmen finanzierte Stiftung die Gelder für Plakataktionen gegen die Justiz (sog. Billboard-Affäre). So werde landesweit auf Werbetafeln und auf der Homepage der Kampagne verkündet, Richter seien eine „privilegierte Kaste“. Als Beispiel für korrupte Richter werde zum Beispiel ein Richter angeprangert, der eine Wurst gestohlen haben soll; dieser Richter wäre jedoch längst im Ruhestand und hätte zudem psychische Probleme. Kontroverse gerichtliche Entscheidungen, unglückliche öffentliche Äußerungen von Richtern und vereinzelte bekannt gewordene Fälle von Kleinkriminalität würden zu systemischen Problemen einer verrotteten Kaste hochstilisiert. Für die gewöhnlichen Menschen sei die Botschaft, dass es ein großes Problem gebe und die Regierung es zu lösen habe.

Und diese Kampagne wirke. Umfragen belegten eine zunehmend negative Wahrnehmung der Richter. Der Skandal schlage auch auf die Gesetzgebung durch. Die als Sejm-Drucksache veröffentliche Gesetzesbegründung für die Reformvorschläge zum Obersten Gericht (OG) etwa, liefere eine detaillierte Aufzählung von „falschen „Entscheidungen“ des OG, um den Reformbedarf zu belegen.

Der Referent rief zu einem Interesse für die Vorgänge in Polen auch hierzulande auf. Auch bei uns müssten wir über die Stabilität des Rechtsstaats nachdenken. Anders als viele Polen vertrauten die deutschen Bürger jedoch der Richterschaft und gingen grundsätzlich davon aus, dass Richterinnen und Richter nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden. Sicher seien sie auch nur Menschen, aber Menschen, die um ihre Unabhängigkeit als ein kostbares Gut wissen und schätzen, dass ihnen kein Justizminister sagen darf, wie sie zu entscheiden haben.

Dr. Joanna Guttzeit, Familienrichterin am Amtsgericht Pankow/Weißensee in Berlin, die als einziger Teilnehmer und Teilnehmerin der Veranstaltung sowohl über einen polnischen als auch über einen deutschen juristischen Abschluss verfügt, ergänzte schließlich den Komplex um Aspekte zur Europäischen Menschenrechtskonvention.

TP/Dietmar Jochum, unter teilweiser Mitwirkung von Patrycja Makara, Rechtsreferendarin beim Kammergericht in Berlin.

Fotos (obere Reihe, v.l.n.r.): Dr. Bernd Pickel, Bartosz Przymusiński, Prof. Krystian Markiewicz.

Fotos (untere Reihe, v.l.n.r.): Thomas Guddat, Vorsitzender der Deutsch-polnischen Richtervereinigung und Richter am Arbeitsgericht in Dresden, Dr. Joanna Guttzeit, Richterin am Amtsgericht Pankow/Weißensee, Patrycja Makara, Rechtsreferendarin beim Kammergericht in Berlin.

Fotoquelle/Collage: TP Presseagentur Berlin

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