Mit Eigensinn gegen die kalte Arroganz der Macht.

Ein Grüner zieht Bilanz nach zehn Jahren Abgeordnetentätigkeit. Interview mit Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen).

TP: Herr Behrendt, Sie sind seit 10 Jahre im Berliner Abgeordnetenhaus, warum wollen Sie im September bei den Wahlen nicht mehr kandidieren?

Dirk Behrendt: Ich finde es zum einen sinnvoll, eine solche parlamentarische Tätigkeit zeitlich zu begrenzen. Man wird zu sehr Berufspolitiker, wenn man das zwanzig oder 25 Jahre macht. Eher finde ich die Idee richtig, für eine begrenzte Zeit aus seinem Beruf ins Parlament zu gehen, sich dort einzubringen und dann in seinen Beruf zurück zu kehren. Und ich habe ja einen schönen Beruf, den ich weiter sehr gerne ausüben möchte.

TP: Als Richter.

Behrendt: Richtig. Aber die Frage, ob es sinnvoll ist, wieder als Richter zu arbeiten, habe ich mir dennoch gestellt. Zehn Jahre im Abgeordnetenhaus sind eine lange Zeit! Ich vermute aber, es ist möglich, die Richtertätigkeit wieder aufzunehmen. Nach 15 Jahren wäre das schon schwieriger.

TP: Werden Sie als Richter Rechtsbrecher verknacken?

Behrendt: Strafrecht habe ich nie gemacht und werde ich auch in Zukunft vermutlich nicht machen, sondern als Zivilrichter tätig werden. Oder aber als Verwaltungsrichter.

TP: Es wurde auch schon gemunkelt, dass Sie beim Familiengericht tätig sein wollen.

Behrendt: Nein, Familienrecht würde ich auch nicht machen wollen. Eher Zivilrecht – das wären dann Berliner Mietrecht, Wohnungseigentumsrecht, ein bisschen Vertragsrecht, alles was so kommt. Das Schöne an der amtsgerichtlichen Tätigkeit ist, dass wirklich ein bunter Strauß pralles Alltagsleben in den Gerichtssaal kommt – die Leute mit ihren täglichen Sorgen und Nöten aus der Nachbarschaft oder aus dem Kleingewerbe. Das habe ich immer gerne gemocht und möchte ich auch weiter machen.

TP: Im Abgeordnetenhaus waren Sie im Innenausschuss und im Rechtsausschuss.

Behrendt: Im Rechtsausschuss war ich die ganzen 10 Jahre. Vom ersten Tag an war ich der rechtspolitische Sprecher und bin dann später noch zusätzlich in den Innenausschuss gegangen. In der ersten Legislaturperiode, also von 2006 – 2011, war ich auch im Ausschuss für Verfassungsschutz. Dort hatten wir nur einen Sitz, das habe ich dann aufgegeben und dafür die Demokratiepolitik dazu genommen, die auch im Innenausschuss verhandelt wurde. Ich war also zehn Jahre im Rechtsausschuss und acht Jahre im Innenausschuss.

TP: Und treten auch sonst kräftig in die Pedalen….

Behrendt: Es ist nicht ungefährlich mit dem Fahrrad durch die Innenstadt zu fahren. Aber für mich ist es eine schöne Bewegung, 10 bis 15 Minuten hierher zu radeln und wieder zurück, bevor ich mich an den Schreibtisch setze. Im Frühjahr und Herbst wird man auch richtig wach von der kalten Luft. Es gibt immer wieder brenzlige Situationen, man hat immer Angst, dass Autofahrer einen nicht sehen. Insbesondere an Kreuzungen wie am Mehringdamm oder auf der Skalitzer Straße ist es extrem gefährlich, man muss halt sehr auf abbiegende Autos und LKWs achten.

TP: Was war die Hauptsache, mit der Sie sich in den Jahren Ihrer Abgeordnetentätigkeit in puncto Kleine Anfragen befasst haben?

Behrendt: Durchgängig beschäftigt haben mich doch die vielen Todesfälle im Strafvollzug in Berlin. Deswegen habe ich regelmäßige Anfragen gestellt. Das fing ja damit an, dass Frau von der Aue…

TP: … Gisela von der Aue, von 2006 bis 2011 Justizsenatorin in Berlin…

Behrendt: … als erste ihrer Amtshandlungen vor fast zehn Jahren dazu übergegangen ist, die Öffentlichkeit nicht mehr zu informieren, wenn sich jemand im Gefängnis das Leben nimmt. Das fand ich nicht richtig, es sah so aus als ob sie da etwas vertuschen will. Mit Kleinen Anfragen, und zwar im Monatsrhythmus, habe ich sie gezwungen, das der Öffentlichkeit mitzuteilen. Es hat länger gedauert, bis sie uns als Abgeordnete zumindest wieder informiert hat. Bis heute mache ich halbjährlich eine Abfrage, in welcher Anstalt es welche Suizidversuche gab, welche gelungen waren und welche nicht. Das ist ein Thema, das ich zehn Jahre durchgezogen habe.

Auch sonst gab es immer wieder Anlass zu zahlreichen Anfragen, wie etwa zum neuen Tagesablauf in der JVA Tegel, der unter Frau von der Aue umgestellt wurde. Auch über die JVA Heidering, wie es dort mit den Arbeitsmöglichkeiten aussieht. Ein Schwerpunkt meiner Anfragen bezog sich auf die Reform der Vollzugsgesetze, auch auf das Gesetz zur Sicherungsverwahrung. Dazu habe ich eine ganze Reihe von Anfragen gestellt. Es ging darum, wie die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2011…

TP: …das damals mit seinem Urteil vom 4.Mai die bisherigen Gesetze zur Sicherungsverwahrung für null und nichtig erklärt hatte…

Behrendt: … umgesetzt würden, etwa therapeutische Behandlung, Tagesablauf, sinnvolle Tagesbeschäftigung, aber insbesondere die Mitwirkung am Vollzugsziel und die Perspektive in Richtung Freiheit. Nachdem das Gesetz dann verabschiedet wurde, haben wir eine ganze Reihe von Anfragen gestellt: Wie hat sich das in der Praxis bewährt? Was wird von dem, was wir als Gesetzgeber in das Gesetz hinein geschrieben haben, auch tatsächlich umgesetzt? Im Strafvollzug gibt es immer wieder Missstände, die es auch wert sind, dass man sich darum kümmert und effektive Verbesserungen einfordert. Auch zu vielen anderen Themen im rechtspolitischen Bereich habe ich das gemacht. In den zehn Jahren habe ich mehrere hundert Anfragen gestellt.

TP: Bleiben wir mal beim Vollzug der Sicherungsverwahrung. Ist Ihrer Meinung nach das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2011 zur Sicherungsverwahrung korrekt umgesetzt worden? Verwahrte mokieren sich unentwegt darüber, dass in dem sogenannten Abstandsgebot nicht mehr gesehen wird als die Trennung von Strafgefangenen, ansonsten aber alles weiterginge wie bisher, außer dass ein paar Therapeuten dazugekommen sind, mit denen sie aber nicht klarkommen, weil diese im Sinne der Anstalt arbeiteten, die einen bloßen Verwahrvollzug betreibe.

Behrendt: Durchaus hat sich einiges geändert.

TP: Da scheiden sich gewaltig die Geister.

Behrendt: Wer das abstreitet, sollte genauer hinsehen. Aber es muss noch viel passieren. Was sich geändert hat, sind die regelmäßigen Ausführungen, die es vorher so gut wie gar nicht gegeben hat und jetzt stattfinden. Da knirscht es im Einzelfall, weil sie teilweise wieder abgesagt werden oder auf einen anderen Tag verlegt werden. Das ist unbefriedigend, wenn man sich als Verwahrter darauf vorbereitet hat. Aber immerhin kommen die Sicherungsverwahrten mal aus dem Knast heraus und können schon erste Kontakte in die Freiheit knüpfen. Das ist eine ganz wichtige Veränderung. Auch dass im Neubau die Verwahrräume deutlich größer sind …

TP: … „goldene Käfige“…

Behrendt: … sie bleiben natürlich dort eingesperrt, aber das ist doch eine deutliche Verbesserung. Hin und wieder gibt’s im Winter mit der Heizung Schwierigkeiten, das wird man in den Griff bekommen. Es kommt in Berlin auch in Schulneubauten oder in Gerichtsgebäuden vor, dass die Heizungen nicht funktionieren. Ich habe das in Mitte mal erlebt, als da im Gericht mehrere Tage die Heizung ausfiel.

Obwohl sich in der Sicherungsverwahrung etwas getan hat, bleibt es eine andauernde Aufgabe, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2011 umzusetzen. Was die Personalsituation angeht, haben viele von den zwischen 2011 und 2013 neu eingestellten Therapeuten zwischenzeitlich wieder aufgegeben. Es ist nicht einfach, Therapeuten für den Vollzug zu finden, die kann man auch nicht backen. Man muss sie überzeugen, dass es eine wichtige Aufgabe ist, im Vollzug und auch in der Sicherungsverwahrung zu arbeiten. Immerhin sind im Stellenplan die Stellen festgeschrieben und da könnte ich mir auch mehr vorstellen. In Zukunft werden wir mehr Personal brauchen, und um es zu halten, müssen wir ihm Arbeitsbedingungen anbieten, die auch zufriedenstellend sind. Dass der eine oder andere Verwahrte mit einem Therapeuten nicht zurechtkommt, ist auch draußen so. Sobald man mehr als eine Fachkraft hat, kann man gucken, wie die, die zusammen passen auch zusammen kommen.

TP: Der Anstaltsleiter der sächsischen JVA Zeithain, Thomas Galli, fordert die Abschaffung der Gefängnisse – derzeit vermutlich noch Utopie. Wäre es dagegen realistischer, die Sicherungsverwahrung abzuschaffen – andere Länder, zum Beispiel Portugal, kommen ja auch ohne SV klar?

Behrendt: Die Form, wie wir sie haben, gibt‘s neben uns nur in Österreich. Andere Staaten machen das über‘s Gefahrenabwehrrecht oder über psychische Erkrankungen, wenn sie die Leute länger in Haft behalten als die Haftstrafe dauert.

TP: Was wäre der Gefahrenabwehrbereich?

Behrendt: Diese Diskussion, ob es überhaupt gerechtfertigt ist, Menschen nach Ableistung ihrer Haftstrafe weiterhin einzusperren, wurde ja im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geführt. Allerdings kann sie nur im Bundestag entschieden werden.

Ich finde auch, dass man über die Frage „Sinn und Zweck von Gefängnissen an sich“ immer wieder neu nachdenken und es immer wieder neu rechtfertigen muss, wenn man den Menschen die Freiheit nimmt. Schauen wir auf die gesellschaftliche Situation heute, den Umgang mit Kriminalität und mit den Straftätern, so ist das eher eine Diskussion, die nicht kurzfristig ansteht. Aber das ganze Gefängnissystem muss schon heute nachweisen – und das fällt ihnen ja schwer -, dass es insofern wirksam ist, als die Menschen, die wir einsperren, sich verändern und nach der Haft schlicht keine oder weniger Straftaten begehen. Wenn man sich die Rückfallquoten anguckt, sieht man, wie weit wir davon entfernt sind.

TP: Straftaten standen am Anfang, Kain erschlug Abel. Es werden weitere Straftaten begangen werden. Stellt sich nur die Frage, wie man damit umgeht. Der liebe Gott hat Kain ein Kainszeichen verpasst und gesagt, niemand dürfe ihn anrühren. Nach biblischer Überlieferung durfte er offensichtlich frei herumlaufen.

Behrendt: Nun gut, aber es geht doch darum, Existenzbedingungen zu schaffen, in denen die Menschen ohne Straftaten auskommen. Wer eine Straftat begangen hat, braucht eine Zukunft, die es ihm ermöglicht, ohne Straftaten zu leben – eine schwierige Aufgabe. Seit den Zeiten der alten Griechen und Römer ist uns noch nicht viel Besseres eingefallen als das Gefängnis. Aber wir hacken zumindest keine Köpfe und keine Hände mehr ab, jedenfalls in Westeuropa tun wir das nicht mehr. Das sind Fortschritte. Auch das Zuchthaus haben wir überwunden, aber das Gefängnissystem besteht noch.

TP: Kommen wir wieder zu den parlamentarischen Anfragen zurück. Es gab da ja den Fall des „zu sehr engagierten Anstaltsbeirats“ in der JVA Tegel, der von der Anstaltsleitung, einer äußerst rigiden Vollzugsleiterin zum Rücktritt gezwungen wurde. Auf Ihre Anfrage an den Justizsenat wurde Ihnen mitgeteilt, er sei freiwillig gegangen. Wie gehen Sie damit um, wenn Ihnen vom Justizsenat offensichtlich das Blaue vom Himmel gelogen wird? In diesem Falle war das ja eindeutig so.

Behrendt: Gelegentlich muss man die Senatsverwaltung daran erinnern, dass sie unsere Anfragen grundsätzlich wahrheitsgemäß und umfassend zu beantworten hat. Das haben auch die höchsten Gerichte bestätigt, denn nur so können wir die Verwaltung effektiv kontrollieren. Wir sind auf umfassende und richtige Antworten angewiesen. Dass wir unwahre Antworten erhalten, kommt aber von Zeit zu Zeit vor.

TP: Was tun in solchen Fällen?

Behrendt: Zum Beispiel habe ich mich beim Parlamentspräsidenten hier im Hause beschwert und habe ihm gesagt, er möge bei der Senatsverwaltung tätig werden und sie daran erinnern, dass sie verpflichtet ist, uns umfassend und wahrheitsgemäß zu antworten. Die Piratenkollegen haben auch schon mal den Berliner Verfassungsgerichtshof angerufen, der dann in erfrischender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht hat, dass es so, wie die Senatsverwaltung es macht, nicht geht. Vor allem wird häufig die Standardfloskel herangezogen, es würde im Rahmen einer Kleinen Anfrage viel zu aufwändig sein, alles zu ermitteln. Dann muss aber klar begründet werden, warum. Es kann ja mal sein, dass umfangreiches statistisches Material abgefragt wird, das man  wirklich nicht in zehn Tagen aufbereitet kriegt. Es wird aber zu häufig sich auf diese Standardfloskel zurückgezogen. Besonders unangenehm ist es, wenn es dann wirklich offensichtliche Lügen sind…

TP: … wie im Falle des  Anstaltsbeirats…

Behrendt: … in dem Fall war es zumindest nicht die Wahrheit, wie die Senatsverwaltung geantwortet hat. Ich habe dann Kontakt mit dem Staatssekretär aufgenommen. Es ist auch für die Senatsverwaltung an der einen oder anderen Stelle unangenehm, wenn Fehler passieren und das dann einfach schlecht aussieht. Es ist unsere Aufgabe gerade bei den kritischen Fällen hartnäckig nachzufragen. Nicht etwa weil wir dem Senat am Zeug flicken wollen, sondern weil wir das, worum es politisch geht, einfach besser hinkriegen wollen.

TP: Stichwort Belegungszahlen im Berliner Strafvollzug: Sie sind weniger geworden.

Behrendt: Ja, wir haben seit 2007 einen eindeutigen Trend zu sinkenden Gefangenenzahlen. Im Jahre 2007 hatten wir hier in Berlin 5600 Gefangene. Das war der Peak, seitdem geht‘s deutlich zurück. Aktuell haben wir jetzt unter Viertausend. Das ist ein Rückgang um 1700 Gefangene – ein erfreulicher Trend, denn weniger Menschen sind im Gefängnis. Es kostet auch weniger, wenn man mal außer Acht lässt, dass ein zusätzliches Gefängnis gebaut wurde, das 118 Millionen gekostet hat.

TP: Das war ja im Prinzip überhaupt nicht notwendig gewesen.

Behrendt: Die Entwicklung der Gefangenenzahlen gibt das gar nicht her, so meine Argumentation bereits seit 2008. Damals hat die Senatsverwaltung mit Prognosen gearbeitet, wonach die Zahlen steigen werden und wir zunehmend mit weiteren Gefangenen rechnen müssen.

TP: Mit dem Rückgang der Gefangenenzahlen ist die Senatsverwaltung ja ordentlich Lügen gestraft worden.

Behrendt: Genau. Wenn man sich damals die Entwicklung in anderen Bundesländern angeguckt hätte – in Brandenburg und Hamburg waren die Gefangenenzahlen bereits deutlich rückläufig -, war das absehbar. Man hätte auf dieses Gefängnis in Großbeeren/Heidering verzichten können.

TP: Was passiert denn jetzt mit den Häusern in Tegel, die zugunsten des Neubaus in Großbeeren „leergeschaufelt“ wurden?

Behrendt: Haus 1 und 3 sind leergezogen. Es gibt alle möglichen Pläne. Aus Haus 1 sollte mal ein Vollzugsmuseum werden, was ich mir interessant vorstelle: ein Museum auf dem Gelände einer noch laufenden Anstalt. Haus 3 soll wohl abgerissen werden.

TP: Haus 1 sollte schon vor über 30 Jahren abgerissen werden, man hat dann aber doch weiterhin Gefangene darin eingepfercht.

Behrendt: Da mussten dann erst die Gerichte kommen, die der Senatsverwaltung ins Stammbuch schrieben, dass die Unterbringung in diesen kleinen Hafträumen mit 5,3 Quadratmetern menschenunwürdig ist und man da nicht dauerhaft Gefangene unterbringen kann. Es dauerte zwar länger, aber sie haben es dann leergezogen. Bei den entspannten Gefangenenzahlen haben wir auch keinen Bedarf, das Haus wieder in Betrieb zu nehmen. Wie sie einen weiteren Neubau für Haus 3 rechtfertigen wollen, weiß ich nicht – die rückläufigen Gefangenenzahlen sprechen eine andere Sprache. Es wird argumentiert, man bräuchte eine Reserve – darüber kann man reden, wenn aufgrund aktueller Anlässe die Gefangenenzahlen wieder nach oben gehen sollten -, heute lässt sich ein Neubau für 300, 400 Plätze eigentlich nicht rechtfertigen. Aber die Planung geht in diese Richtung.

Für die Zukunft können wir uns gut ein Resozialisierungsgesetz für Berlin vorstellen. In den letzten Jahren haben wir vor allem Vollzugsgesetze verabschiedet, deren Schwerpunkte auf der Sicherheit liegen. Mit einem Resozialisierungsgesetz wollen wir dagegen einen Vorschlag von Professor Cornel und anderen Experten aufgreifen und einmal zusammen fassen, was wir den Gefangenen alles anbieten, damit die Resozialisierung besser gelingt. Da spielen dann Themen wie Wohngruppenvollzug, therapeutische Angebote, Arbeit und Freizeit eine Rolle, aber genauso das Übergangsmanagement, also ein guter Übergang in die Freiheit. Schließlich kommen 98 % der Gefangenen irgend wann wieder raus, und wir sollten mehr mit ihnen arbeiten, als sie nur zu verwahren.

Interessant finde ich den Prozess der Bildung der Gefangenengewerkschaft, also eine Selbstorganisation über die einzelnen Haftanstalten hinweg. Die Justizverwaltung hat das von vornherein abgeblockt. Sie sagt, Gefangene könnten keine Gewerkschaft haben und hat mit Repression reagiert. Das war aber nicht haltbar, denn die Vereinigungsfreiheit gilt klar auch für Gefangene. Die Gerichte haben das ein wenig korrigiert und die Kommunikation zugelassen. Ich hätte mir in den Debatten um die Knäste häufiger kompetente Ansprechpartner von Seiten der Hauptbetroffenen, also den Gefangenen selbst gewünscht, denn nach meiner Erfahrung haben sie eine realistische Einschätzung, was geht und was nicht. Und wir hatten hier den Fall, dass Gefangene mehr Bedienstete gefordert haben, weil sie eben auch gemerkt haben, wie sich das Leben hinter Gittern verschlechtert, wenn es zu wenig Personal gibt. Die Insassenvertretungen können hier zwar als Ansprechpartner dienen, sie wechseln aber recht häufig, so dass wenig Kontinuität besteht. Und die Forderung der Gefangenengewerkschaft nach Mindestlohn und Rentenversicherung hat zumindest Schwung in die Debatte gebracht. So hat sich die letzte Justizministerkonferenz immerhin mit der Aufnahme der Gefangenen in die Rentenversicherung beschäftigt, eine vollkommen richtige Forderung. Wie es mit dem Mindestlohn für Gefangene steht, wird die Zukunft zeigen.

TP: Wenn Sie jetzt im September gehen, welches Resümee ziehen Sie?

Behrendt: Zum einen habe ich viel gelernt in den zehn Jahren. Zum andern konnte ich an der einen oder anderen Stelle auch etwas zum Besseren bewegen. Ich hätte mir gewünscht, dass es uns in den zehn Jahren mal gelingt, die Regierung in diesem Land zu stellen. Zweimal waren wir ja kurz davor. Die SPD – damals in der Person von Klaus Wowereit – hatte sich jedoch gegen uns entschieden, 2006 für die Linken, 2011 für die CDU.

Man will ja als Oppositionspolitiker die eigenen Ideen auch gerne mal in die Tat umsetzen. Aber auch aus der Opposition heraus kann man Dauerhaftes erreichen. So gab es Erfolge im Bereich der Korruptionsbekämpfung, was auch ein Schwerpunkt meiner Arbeit neben der Knastpolitik war. Beispielsweise habe ich einen Anlass dafür gegeben, einen Vertrauensanwalt zur Korruptionsbekämpfung einzusetzen. Ich hoffe, das ist etwas Bleibendes, das einen überdauert.

Ich hätte mir an der einen oder anderen Stelle gewünscht, dass auch die Regierungsfraktionen – sei es bei Rot-Rot oder jetzt bei Rot-Schwarz – die Möglichkeit stärker genutzt hätten, mit uns ins Gespräch zu gehen. Sie haben uns dann aber, auch im Rechtsausschuss, die kalte Arroganz der Macht spüren lassen, haben unsere Anträge einfach weggestimmt und noch nicht mal argumentativen Aufwand dafür betrieben. Das ist dann für einen Oppositionspolitiker doch frustrierend. Auch wenn die eigenen Anträge abgelehnt werden, möchte man ja schon ins inhaltliche und fachliche Gespräch mit der Regierung kommen. Das ist ein paarmal überhaupt nicht gelungen, obwohl wir uns viel Mühe gegeben haben. Viele Ideen und Anträge, die wir da entwickelt haben, waren einfach gut und sind nicht erledigt. Internet im Knast ist so ein Thema, das mich zehn Jahre beschäftigt hat. Ich werte es als Erfolg, dass der Senat sich immerhin ein Modellprojekt überlegt. Ich weiß zumindest, dass ich das mitbefördert habe, wenn dann die erste Email aus dem Knast geschickt wird.

TP: Warum hat sich Klaus Wowereit eigentlich gegen eine Koalition mit den Grünen gewandt – zunächst sah es ja gar nicht so hoffnungslos aus?

Behrendt: Da kann ich nur mutmaßen. Der offizielle Grund 2011 war unser Festhalten am Widerstand gegen die Verlängerung der Autobahn A-100 bis zum Treptower Park. Daran ist das offiziell gescheitert. Das war sicherlich nicht der wirkliche Grund, da wäre Beweglichkeit möglich gewesen – auch von Seiten der SPD, ohne dass sie das Gesicht verloren hätte. Die SPD hat sich für die CDU entschieden, was eine breitere Mehrheit ergab, Rot-Grün hätte nur eine Zweistimmen-Mehrheit gehabt. Es ist immer schwieriger mit einer Zweistimmen-Mehrheit zu regieren. Wenn man sich vor Augen führt, dass Klaus Wowereit sowohl bei seiner Wahl zum Regierenden vor zehn Jahren als auch vor fünf Jahren immer zwei Stimmen fehlten, kann man durchaus vermuten, dass er von zwei unsicheren Kantonisten in den eigenen Reihen wusste und das Wagnis nicht eingehen wollte, mit einer Zweistimmen-Mehrheit zu regieren. Aber auch das bleibt eine Vermutung.

TP: Und warum bereits 2001 eine Koalition mit den Linken?

Behrendt: Da war ich noch nicht so nahe dran. Warum die SPD sich damals 2001 für die Linken entschieden hat, hängt vermutlich damit zusammen, dass die Linke im Ostteil der Stadt mit Abstand die stärkste Partei war und sie dann auch so ein Projekt wie Versöhnung von Ostberlin und Westberlin vor Augen hatten. Und da hat sich die SPD entschieden, nicht mit uns gegen diese starke Opposition insbesondere in den Ostbezirken zu regieren, sondern gegen uns und gegen die CDU. Das mag machttaktisch nachvollziehbar gewesen sei, aber ich fand es schon bedauerlich, weil wir im Bereich Verkehr schon damals hätten umsteuern müssen in Richtung mehr Radverkehr. Und wir wären auch zum Thema Mietenentwicklung und Wohnungsbaupolitik in Berlin schneller und früher aktiv geworden. Ein Umdenken der SPD blieb damals aus, und die Linken waren gerade in dieser Frage doch eher handzahm. 2006 spielte dann natürlich eine Rolle, dass man bereits fünf Jahre zusammen koaliert hatte, sich kannte und das von beiden Seiten fortsetzen wollte, trotz der damals schon nicht unerheblichen Wahlverluste der Linkspartei. Die SPD hat es ja geschafft, die Linken zu halbieren. Sie sind mit 22 Prozent in die Koalition gegangen und nach 10 Jahren mit elf Prozent wieder raus.

TP: Gab es Themen, die Sie gerne umgesetzt hätten, es aber aus welchen Gründen auch immer nicht realisieren konnten?

Behrendt: Die schmerzlichste Niederlage, wie schon erwähnt, war der nicht verhinderte Neubau der JVA Heidering, für den das Land Berlin unnütz viel Geld ausgegeben hat. Das schmerzt dann schon, wenn man die guten Argumente auf seiner Seite hat und sich den Mund fusselig redet, über die Presse und auch im Gespräch mit der SPD versucht das zu stoppen. Dass es nicht gelang und so viel Geld ausgegeben wurde, das ärgert mich maßlos. Ansonsten habe ich noch viele Ideen, was man im Strafvollzug oder auch im Bereich direkte Demokratie anders machen könnte.

TP: Bei den Volksentscheiden…

Behrendt: Es ist ja sehr erfreulich, wie die Berlinerinnen und Berliner dieses Instrument nutzen, zumal es seit 2006 leichter möglich ist. Im Verfahren knirscht es an der einen oder anderen Stelle. Das fängt an mit der Frage an, ob es eigentlich richtig ist, wenn der Senat den Termin für die Abstimmung festlegen kann? Mal zusammen mit den Parlamentswahlen, mal nicht zusammen. Damit wird das Ergebnis mittelbar beeinflusst, weil es eines relativ hohen Zustimmungsquorums von mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten bedarf. Daher ist es immer besser, wenn die Abstimmung an einem Wahltag stattfindet und nicht an einem gesonderten Termin. Oder auch die Frage, ist es richtig, dass die Initiatoren für Volksentscheide für ihre Bemühung null Euro kriegen? Bei Wahlen erhalten die Parteien Geld. Der Senat hat sich jetzt ins Gesetz geschrieben, dass er auch Werbekampagnen aus Steuergeldern finanzieren darf, das hatten wir bisher noch nicht. Aber Initiativen, die immerhin die Mühe haben, die ganzen Unterschriften zu sammeln, haben auch Kosten. Wir sagen, lasst uns ihnen doch zur Anerkennung ihres Engagements eine geringfügige Kostenerstattung von 10 oder 15 Cent pro eingeworbener Stimme geben. Damit kann man kein Geld verdienen, aber es ist wenigstens eine Möglichkeit die Arbeit zu honorieren, etwa für Druckkosten und den Bürobetrieb.

TP: Oder einen Berliner Verdienstorden erfinden, denen man ihnen dann umhängen kann.

Behrendt: (lacht) Die Frage ist doch, was sie für ihr ziviles Engagement brauchen. Wir wollen nicht, dass nur die finanzkräftigen Institutionen wie beispielsweise die Kirchen oder die Fluggesellschaften zu Tempelhof 1, die ja Geld haben, solche Initiativen starten. Uns geht es um Leute aus der Bürgergesellschaft, die nicht viel Geld haben, aber trotzdem wichtige Themen nach vorne bringen. Das hatten wir beim Wasservolksentscheid. Die Initiative war finanziell nicht gut aufgestellt. Wir hatten das auch bei Tempelhof 2, der Nichtbebauung des Tempelhofer Felds. Das waren Initiativen aus der Bürgergesellschaft, die überhaupt keine finanziellen Mittel hatten. Deshalb finde ich es richtig und konsequent, darüber nachzudenken, ob man hier nicht ebenfalls eine Kostenerstattung wie bei den Parteien ins Gesetz schreibt. Das hat die SPD bisher vehement abgelehnt. Es gibt noch ein paar andere Fragestellungen, die eine Rolle spielen, zum Beispiel über die Bestandskraft von Volksentscheiden. Ist es richtig, dass die Parlamentsmehrheit einen Tag nach dem Volksentscheid das Gesetz wieder aufheben kann? Oder bedarf es da nicht besonderer Vorkehrungen – jetzt gibt es gerade eine Initiative „Volksentscheid retten“, die besseren Schutz für die Volksgesetzgebung einfordert. Das sind Überlegungen, die wir auch schon ins Parlament eingebracht haben, die aber bisher nicht beraten wurden. Dies sind relevante Punkte für die Zukunft. Der letzte Punkt, den ich ansprechen will, ist die Frage, muss man das Verfahren nicht ein bisschen flexibilisieren, damit es auch in verschiedenen Abschnitten möglich ist, Kompromisse zu finden. Wir haben relativ starre Regelungen. Selbst wenn die Initiatoren ein Argument, das etwa der Senat vorbringt, ganz okay finden, ist es ihnen aber verwehrt, ihre Vorlage entsprechend anzupassen. Da haben wir in Hamburg weiter gehende Regelungen der möglichen Kompromissfindung im Gesetz. Und die würden wir hier in Berlin auch gern haben, damit die Kompromissfindung gelingt. Bei Tempelhof wurde das ja versucht, ist aber im Endeffekt gescheitert. Jedenfalls ist es selbst wenn man sich mit der Initiative einigt, nicht ganz einfach, das dann in das Verfahren einzubringen. Da sind Verbesserungen nötig.

TP: Was war das Erfreulichste, das Sie in den letzten zehn Jahren erlebt haben hier im Parlament, im Berliner Abgeordnetenhaus?

Behrendt: Sie haben ja auch Spaß gemacht, die Debatten in den Ausschüssen. In Gesprächen  und Anhörungen sind wir alle klüger geworden. Von Seiten der Verwaltung und der Regierungskoalition hat das eine oder andere Nachdenken angefangen und manchmal saßen wir wie an einem Runden Tisch zusammen und haben überlegt, wie kriegen wir‘s am besten hin? Auch im Bereich der Korruptionsbekämpfung gab es Erkenntnisse und Entscheidungen, die einen dann immer wieder entschädigt haben für die Frustration, die auch vorkam. Es gibt auch Fälle, bei denen man über die Presse etwas nachhelfen musste, indem man die Journalisten auf einen besonders krassen Missstand hingewiesen und eine Diskussion in Gang gesetzt hat. Wenn dies gelungen ist, der Journalist entsprechend recherchiert und veröffentlicht hat, die Verwaltung unter Druck stand einzulenken und den Missstand abzustellen, ist das sehr befriedigend.

TP: Können Sie Fälle von Korruption benennen, wer wem welche Umschläge unterm Tisch oder unter der Tür zugeschoben hat oder sonst geschmiert wurde?

Behrendt: Wir hatten die klassischen Fälle der Korruption in den letzten Jahren. Da haben Fahrschulen und Prüfer sich zusammengeschlossen und die Führerscheine verkauft. Das ist in relativ hohem Umfang passiert und flog auf. Vermutlich hat sich einer beschwert, weil’s ihm zu teuer war oder weil’s doch nicht funktioniert hat. Die Leute, die dafür Geld bezahlt haben, waren natürlich nicht gerade glücklich, dass sie zur Nachprüfung bestellt wurden. Dem einen oder anderen war auch klar, dass er einfach keine Ahnung vom Autofahren hatte. Auch Baugenehmigungen, die verkauft wurden, gab es: Mitarbeiter der Bauverwaltung haben die Hand aufgehalten. Solche klassischen Formen der Korruption kommen schon noch vor. Es gibt aber auch anderes, worüber wir diskutieren müssen. Beispielsweise hat mich der Seitenwechsel des Staatssekretärs Freise aus der Innenverwaltung zur Pin-AG über Jahre beschäftigt. Ich hatte die Verwaltung dazu gebracht, ihm seine Anschlusstätigkeit bei der Pin-AG zu untersagen; denn es war so, dass er als Staatssekretär in der Innenverwaltung für die Vergabe des Auftrages an die Pin-AG zuständig war. Das Land Berlin verschickte seine Bescheide nicht mehr mit der Post, sondern mit der Pin-AG und wurde der größte Auftraggeber für die Pin-AG. Das hatte schon eine wirtschaftliche Relevanz. Den haben sie sich eingekauft – man kann vermuten mit welchen Hintergedanken -, aber ob das jetzt wirklich Korruption war oder eher eine Mauschelei, das wird man nicht nachweisen können. Wir haben dafür Regelungen, dass man einen solchen Wechsel untersagen kann, wenn allein der Anschein einer Befangenheit besteht. Das hat, nachdem ich es wiederholt thematisiert habe, Senator Henkel nach 15 Monaten Prüfung endlich hingekriegt. Freise ist heute immer noch bei der Pin-AG. Er hat dort einen neuen Aufgabenbereich erhalten, und der Rechtsstreit, den er gegen die Untersagungsverfügung angestrengt hat, ist nach meiner Kenntnis immer noch nicht beendet. Das spielt in einer Konfliktzone, in der wir tätig werden müssen. Wir wünschen uns Regelungen auch für die Senatoren, was ihre sogenannte Anschlussverwendung angeht. Für Staatssekretäre gibt’s das schon. Das kann man ihnen bis zu zwei Jahren versagen. Die Bundesregierung hat das jetzt auch für Minister auf Bundesebene eingeführt. In Berlin haben wir es für Senatoren noch nicht umsetzen können.

 

Interview: Dietmar Jochum, TP Presseagentur Berlin

 

Foto: Dirk Behrendt

 

Bildquelle: TP Presseagentur Berlin

 

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