Wie ein Elefant im Porzellanladen.
Herman Bianchis Plädoyer für die Abschaffung der Gefängnisse.
Von Dietmar Jochum, TP Berlin.
„Und wie es der mittelalterlichen Kirche bei der Errichtung der Inquisition nicht darum ging, das Evangelium zu verkünden, sondern lediglich um die Festigung ihrer Macht“, schreibt der niederländische Kriminologe Herman Bianchi im Vorwort seines auch in Deutschland erschienenen Buches „Alternativen zur Strafjustiz“, „so geht es dem modernen Staat nicht um die Bekämpfung der Kriminalität, sondern ebenfalls um die Gewährleistung von Machtinteressen“.
Das ist ja nun eine Feststellung, die selbst Betroffene von justiziellen Entscheidungen oder deren Hunde nicht mehr hinter dem Ofen hervorlockt. Man hat sich scheinbar abgefunden mit einer Strafjustiz, die Fließbandurteile verhängt und sie überwiegend noch immer in Monumentalbauten wilhelminischen Größenwahns vollstrecken lässt. Und über die scheinbar auch nie Staub ansetzenden Paragraphenwälzer, die, wie es euphemistisch bezeichnet wird, Straf-„Recht“ beinhalten sollen, macht sich der durchschnittliche Betrachter allenfalls die Gedanken, ja nie damit konfrontiert zu werden.
Herman Bianchi sind solche Gedanken offenbar fremd. Der Amsterdamer Kriminologe (Professor an der Freien Universität Amsterdam) hat dem sogenannten Strafrecht den Kampf angesagt. Er behauptet: „Strafrecht ist kein Recht, es ist ein repressives System. Und als solches trägt es Namen des Rechts völlig zu Unrecht.“
Herman Bianchi greift in seinem Buch auf biblisches Gerechtigkeitsdenken zurück, das Konfliktlösung und Versöhnung anstrebt, während „eine Strafjustiz, die aus dem römischen Rechtsdenken entstanden ist, mehr auf Strafe und Vergeltung setzt“. Und diese Ansicht können nach Ansicht des Kriminologen auch so schöne Worte wie „Humanisierung“ und „Resozialisierung“ nicht vertuschen. „Man kann schlechtes Recht nicht gutmachen, indem man es ‚humanisiert‘.“
Bianchi schwebt in der Praxis ein Rechtssystem der Streitschlichtung und Wiedergutmachung vor, „der Versuch, Verhandlungsmodelle zu schaffen, die zur Regelung und Lösung von Konflikten zwischen einander bekämpfenden Personengruppen geeignet sind, mit dem Ziel, Unterdrückungsmacht in Verhandlungskraft umzuwandeln, mit dem Blick auf möglichst weitgehende Wiederherstellung des zugefügten Schadens“. Und dort, wo Schuldabtragung oder Wiedergutmachung nicht möglich wäre, nicht vollständig sein könne, sei Vergebung angebracht (z.B. bei Gewaltdelikten).
Bianchi erkennt aber auch, dass Vergebung nichts Natürliches ist, dass es für den, der Vergebung gewähren soll, ein langer Kampf werden kann, das zu verzeihen, was ihm angetan worden ist. Aber auf der anderen Seite könne ein Opfer, das zur Vergebung nicht in der Lage ist, auch Schaden am eigenen Wohlbefinden nehmen. Und Vergebung könne wiederum schwer erwartet werden, wenn der Täter nicht selbst zu der Einsicht kommt, dass er seinen Weg verändern muss.
Aber dennoch hält Bianchi das Strafrecht für absolut ungeeignet, hier Maßstäbe zu setzen. Opfereinbeziehung ist für ihn unerlässlich. Das Strafrecht wirke stattdessen wie ein Elefant in einem Porzellanladen.
„Alternativen zur Strafjustiz“ ist ein hervorragend geschriebenes Buch, einleuchtend begründet, gut fundiert und ein ideeller Leitfaden für all diejenigen, die schon immer für die Knastabschaffung waren und selbst keine Lösung für Konfliktlösungsmodelle haben, ja aufgrund dieses Mangels schon wieder von abolitionistischen Bestrebungen und Forderungen abgekommen sind.
Herman Bianchi: Alternativen zur Strafjustiz, Kaiser Verlag, München, 171 Seiten, ISBN 3-459-01748-1
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