Am Ende bleibt nur Vergeltung übrig.

https://www.youtube.com/watch?v=02oHlzCY2nMKonferenz in Potsdam

Linksfraktionen aus Brandenburg und dem Bundestag luden in den Potsdamer Landtag zur Konferenz „Strafvollzug und Resozialisierung – ein Paradoxon?!“ ein.

Von Dietmar Jochum, TP Berlin

Für den niederländischen Kriminologen und Verfechter für die Abschaffung der Gefängnisse, Herman Bianchi, der das Strafrecht für ein „repressives System, aber kein Recht“, hält, sind Gefängnisse schon aus Kostengründen nicht zu akzeptieren. Gerne zitiert der Abolitionist dabei auch seine holländischen Mitbürger, die ebenfalls aus ökonomischer Sicht das Gefängniswesen der Vergangenheit angehörend wissen wollen und so darüber witzeln: „Wir können die Delinquenten ebenso gut in ein Hilton-Hotel schicken, das hilft zwar auch nicht gegen die Kriminalität, aber es kostet immerhin nur ein Drittel des Preises.“

Wie ein Elefant im Porzellanladen Herman Bianchis Plädoyer für die Abschaffung der Gefängnisse

Was Herman Bianchi für die Holländer, ist Thomas Galli zurzeit in Deutschland. Der ebenfalls wie Bianchi promovierte Jurist und Kriminologe ist Anstaltsleiter in der sächsischen JVA Zeithain und derzeit auf Elternurlaub. Bekannt geworden ist Galli insbesondere in der letzten Zeit durch sein Buch „Die Schwere der Schuld“, in dem er in neun Geschichten die Situation von Häftlingen aufzeigt und darüber sinniert, es sei „oft genug sogar erstaunlich, dass derart sozialisierte Menschen, nach allem, was sie selbst erlebt haben, nicht noch viel Schlimmeres getan haben“.

Thomas Galli hielt sich gestern und vorgestern neben anderen Strafrechts- und Strafvollzugsexperten auf Einladung der Linksfraktion im brandenburgischen Landtag sowie der Linksfraktion im Bundestag im Potsdamer Landtag zu der Konferenz „Strafvollzug und Resozialisierung – ein Paradoxon?!“ auf, die von der Bundestagsabgeordneten Halina Wawzyniak sowie dem ehemaligen Justizminister in Brandenburg Volkmar Schöneburg moderiert wurde.

Der derzeit amtierende brandenburgische Justizminister von den LINKEN, Stefan Ludwig, sprach gleich zu Beginn in seiner Begrüßungsansprache davon, dass linke Justizpolitik immer noch das Bohren dicker Bretter sei. Brandenburg, das in diesem Jahr von Baden-Württemberg den Vorsitz in der Justizministerkonferenz übernommen hat, wird bei der am 1. und 2. Juni in Nauen stattfindenden Frühjahrskonferenz der Justizminister auch zwei Beschlussvorlagen der Linken in Brandenburg einbringen, in denen es zum einen um die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen sowie zum anderen um die Frage der Einbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung geht.

„Das Gefängnis ist ein überholtes Prinzip“, sagt dann konsequent Thomas Galli, der ja selbst Anstaltsleiter und mittlerweile bundesweit bekannt dafür ist, die Gefängnisse abschaffen zu wollen, und er nennt auch plausible Argumente. Zwar seien die Ziele der Gefängnisse wie etwa Resozialisierung, anderen keinen Schaden zufügen, Abschreckung, Schutz der Allgemeinheit durchaus nachvollziehbar und machten so auch einen Sinn, dieser werde in der Realität jedoch verfehlt. So zerstöre die Haft soziale Ressourcen, etwa soziale Kontakte, das Selbstwertgefühl werde angegriffen und die Integrationsfähigkeit zerstört, Reue und Versöhnung werden nicht gefördert, so dass das Gefängnis nicht positiv wirken kann. Letzten Endes bleibe so nur Vergeltung übrig. Daher seien die Sinn machenden Ziele des Vollzuges reiner Etikettenschwindel. Selbst Opfervereinigungen, wie etwa das Netzwerk B, wollen das Gefängnis abgeschafft wissen, so Galli. Die Justiz müsse weg von täterzentriertem Denken, resümiert er. Er plädiert stattdessen verstärkt für gemeinnützige Arbeit, Geldstrafen oder elektronisch überwachten Hausarrest. Je länger die Haft andauere, desto mehr bleibe die Menschenwürde auf der Strecke.
Galli schließt unter allgemeinem Applaus mit einem Zitat Che Guevaras: „Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche.“

Das Plädoyer für die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen hielt der emeritierte Bremer Strafrechtsprofessor und Herausgeber des Alternativkommentars zum Strafvollzugsgesetz, Johannes Feest. Die Ersatzfreiheitsstrafen seien eine Belastung für den Vollzug und haben keinen Resozialisierungsanspruch. Feest zitierte den im Jahre 2014 verstorbenen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, der von einer „Bankrotterklärung des Geldstrafensystems“ gesprochen hatte. Feest wies auf das schwedische Modell der Geldstrafe hin und plädierte für das ursprüngliche schwedische System, wonach derjenige, der eine Geldstrafe nicht bezahlte, nicht automatisch in eine Ersatzhaft wanderte, sondern davor nochmals richterlich, also streng rechtsstaatlich hinterfragt werde: „Konnte der wirklich nicht bezahlen oder wollte er nicht bezahlen?“

Die Bundestagsabgeordnete und innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, plädierte schließlich für die Abschaffung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe.

Volle Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern, forderte die Sprecherin der im Jahre 2014 in der JVA Berlin-Tegel von Oliver Rast und Mehmet-Sadik Aykol gegründeten Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), Martina Franke, die den verhinderten Oliver Rast vertrat. Sie forderte für die GG/BO nicht nur die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung und den Mindestlohn im Knast. In diesem Zusammenhang machte sie auch überzeugend klar: Freiheitsstrafe und Altersarmut seien eine Doppelbestrafung. Dies sah auch Martin Singe vom Grundrechtekomitee so.

Anspruch und Wirklichkeit im Knast klaffen auch für Marlen Block vom Vorstand der Brandenburger Strafverteidigervereinigung massiv auseinander. Sie trug vor, welche Hürden bei der Vertretung von Gefangenen zu überwinden wären, bis eine solche schließlich erfolgreich sei.

Professor Frieder Dünkel, emeritierter Strafrechtler und Kriminologe an der Universität Greifswald, stellte einen Entwurf eines Landesresozialisierungsgesetzes vor, das auch die Zeit nach der Haft regelt. Auch Holger Gebert, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft deutscher Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer e.V. (AdBeV), gab Einblicke in seinen Arbeitsbereich.

Das Fazit der Konferenz in Potsdam: Anspruch und Wirklichkeit liegen weit auseinander trotz des Strafvollzugsgesetzes, das seit drei Jahren in Brandenburg existiert.

Bereits am Dienstag begann die Konferenz mit einer Ausstellungseröffnung und einer Podiumsdiskussion.
Vorgestellt wurde ein Fotoband mit biographischen Einblicken von Häftlingen von der Kunstfotografin Julia Schönstädt. Die Texte stammen von Claudia Franck und Reimund Neufeld.

Während der Konferenz wollte Ex-Justizminister Volkmar Schöneburg Thomas Galli mit einem Zitat offenbar nicht nachstehen. Er wählte Bertolt Brecht: Wenn man Menschlichkeit will, muss man menschliche Verhältnisse schaffen.

An Thomas Galli kam schon ein Angebot für eine Nachfolgekonferenz in Kiel.

Foto (von links nach rechts): Prof. Johannes Feest, Dr. Volkmar Schöneburg, Halina Wawzyniak, Dr. Thomas Galli.

Foto/Bildquelle: TP Berlin

Die Konferenz auf youtube:

Link zu Begrüßung durch Jusizminister Stefan Ludwig: https://www.youtube.com/watch?v=02oHlzCY2nM

Link zu Beitrag Dr. Thomas Galli/Anstaltsleiter JVA Zeithain: https://www.youtube.com/watch?v=e3wWyZlCCZY

Link zu Vortrag Prof. Dr. Johannes Feest/Strafvollzugsarchiv/Uni Bremen: https://www.youtube.com/watch?v=xCNf_TLzBsw

Link zu Vortrag Halina Wawzyniak/Bundestag: https://www.youtube.com/watch?v=8dub4vXkSzY

Link zu Vortrag Ulla Jelpke/Bundestag: https://www.youtube.com/watch?v=4X6TeLOnOMY

Link zu Vortrag Martin Singe/Grundrechtekomitee: https://www.youtube.com/watch?v=bEMKhG_ssZY

Link zu Vortrag Martina Franke/Gefangenengewerkschaft: https://www.youtube.com/watch?v=sXUm3YR2YGE

Link zu Vortrag Dr. Volkmar Schöneburg/Ex-Justizminister: https://www.youtube.com/watch?v=LxaUd-9Re0A

Link zu Vortrag Marlen Block/Strafverteidigervereinigung: https://www.youtube.com/watch?v=5giQ16fY8rM

Link zu Referat Prof. Dr. Frieder Dünkel/Uni Greifswald: https://www.youtube.com/watch?v=2rXzwMRLHxo

Ich will keinen Gerichtshof.