„In jedem schläft ein Tier, das unerwartet ausbrechen kann.“

Der Berliner Reporter und Autor Rolf Kremming hat 13 Fälle des Gerichtspsychiaters Werner Platz in einem Buch aufgezeichnet.

Von Dietmar Jochum.

Sein Hauptinstrument sei immer abwechselnd die persönliche Befragung und die freien Erzählungen des Angeklagten. Fragen und Antworten würden protokolliert und ergäben zusammen mit der Beschreibung von Mimik, Gestik und Sprechweise den abschließenden Befund.

Derjenige, der diese Methodik seiner forensischen Gutachtenerstellungen aufzeigt, ist niemand Geringerer als einer der profiliertesten und renommiertesten Gerichtsgutachter Deutschlands: Der Berliner Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Dr. med. habil. Werner Platz. In mindestens 3000 Seelen habe er hineingeblickt, „Seelen, die mörderischer nicht hätten sein können“.

Der Berliner Reporter und Autor Rolf Kremming hat nun eine Auswahl Platz‘ Fälle akribisch und professionell aufgezeichnet und in einem Buch dreizehn davon veröffentlicht.

Kremming hatte sich dafür vielfach mit dem Forensiker getroffen und viel von ihm über das „Eintauchen in Tiefen menschlichen Elends, in unvorstellbare Fantasien und Gehirne voller Abscheulichkeiten“ erfahren.

Und doch, so entlockte Kremming dem Gerichtsgutachter eine „Binsenweisheit“: „Jeder kann zum Mörder werden. In jedem schläft ein Tier, das unerwartet ausbrechen kann. Niemand ist nur gut oder böse. Das sind lediglich zwei Seiten derselben Medaille.“

Platz muss es wissen: Seit mehreren Jahren hat er zahlreiche Begutachtungen über Schuldfähigkeit, Unterbringungsvoraussetzungen in Entziehungsanstalten, psychiatrische Unterbringung und Sicherungsverwahrung abgegeben und Prognosegutachten erstellt.

Platz offenbarte Kremming die Fülle seiner Fälle, die er als forensischer Psychiater und Gutachter für Gerichtsprozesse sowie Vollstreckungs- und Vollzugsverfahren  bearbeitet hatte.

Unter den Fällen ein Mordfall eines unauffälligen Bankangestellten, der immer freundlich und korrekt die Kunden bediente, ein beliebter Kollege war und nie Anlass zu Klagen gab. Bis er eines Tages seinem Vermieter wegen Renovierungsstreitigkeiten „mit einem Beil den Schädel spaltete“. Die Geschichten Ferdinand von Schirachs lassen schauerlich grüßen.

Auch ein Bruder- und ein Elternmord gehörten zu Platz‘ Gerichtsauftritten als Forensiker.

Aber nicht nur solche Kapitalverbrechen landeten auf dem Tisch von Werner Platz. Auch Kaufhausbrandstifter und Erpresser Arno. F., genannt „Dagobert“, gehörte zu seinen Probanden, über die er Gutachten anzufertigen hatte. Und dem er zunächst klarmachen musste, dass er als Gutachter nicht über Schuld und Unschuld zu entscheiden habe; seine Aufgabe sei die Begutachtung seiner Persönlichkeit und ob er für seine Taten aus medizinischer Sicht verantwortlich sei.

Kremming beschreibt den Fall anschaulich aus Platz‘ Sicht.

„In geheimer Mission“ war Werner Platz auch mit Günter Guillaume befasst. Das war im Jahre 1994, als es darum ging, ob der ehemalige „Spion im Kanzleramt“ aus psychiatrisch-psychologischer Sicht damals überhaupt in der Lage gewesen sei, als Zeuge zu einem Strafverfahren gegen seinen ehemaligen Führungsoffizier vor das Oberlandesgericht nach Düsseldorf anzureisen, auch über seine Tätigkeit im Kanzleramt auszusagen.

Auch der Fall des ehemaligen Stasiministers Erich Mielke wegen der ihm vorgeworfenen Polizistenmorde während der Weimarer Zeit gehörte zu Platz‘ Explorationsgrundlage. Platz besuchte Mielke mit der Diplom-Psychologin Antonopoulou zweiundzwanzig Mal in der Krankenabteilung der Moabiter Vollzugsanstalt in Berlin. Die Begutachtung, die sich über fünf Monate hinzog, sollte über die Haft- und Verhandlungsfähigkeit des Ex-Ministers Aufschluss geben. Ein Gutachten, das das Gericht angezweifelt hatte, hatte ihm bereits Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt  – es gab Widersprüche, die das Gericht geklärt haben wollte.

Und da musste nun Platz ran. Ein schwieriges Unterfangen, so Kremming. Während er sich einerseits mit einem Rollstuhl ins Anwaltssprechzimmer fahren ließ, sei Mielke Pflegern zufolge „auf einem Bein stehend angetroffen“ worden.

Für Dr. Werner Platz, konstatiert Rolf Kremming, keine leichte Aufgabe.

Auch einen KZ-Kapo, der 24 polnische KZ-Häftlinge ermordet haben soll, explorierte er.

Aber auch Oma Emma, die geklaut habe, „was das Zeug hergibt“. Platz bescheinigte ihr Schuldunfähigkeit. „Jetzt hat sie einen Freifahrtschein für künftige Diebstähle. Sozusagen die Lizenz zum Klauen“, witzelt Kremming.

Der Berliner Rechtsanwalt und ehemalige Hauptgeschäftsführer des Berliner Anwaltsvereins Mirko Röder im Vorwort: „Wird auf den Gerichtsfluren manchmal über ‚Gefälligkeitsgutachten‘ gemunkelt, ist der Name Werner Platz noch nie gefallen.“

Als Epilog druckte Kremming den Sonderdruck „25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltsvereins“ mit Platz‘ Aufsatz „War Kain schuldfähig“ ab.

Einige seiner Probanden waren es seiner Auffassung nach nicht.

Tp/dj

Rolf Kremming: Hinter Schloss und Riegel, 13 Fälle aus der Praxis des Gerichtspsychiaters Dr. med. habil. Werner Platz, TWENTYSIX – Der Self-Publishing-Verlag, BoD – Books on Demand, Norderstedt, © 2018 Redhead, Barry, 124 Seiten, 14 €. ISBN: 978-3-7407-3362-9

Fotoquelle links: Rolf Kremming

Fotoquelle rechts: TP Presseagentur Berlin

Collage: TP Presseagentur Berlin

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