Ein Stasihauptmann schildert Besuche von Westdiplomaten in DDR-Haftanstalten.
Von Dietmar Jochum, TP Berlin.
Wenn in der DDR inhaftierte westeuropäische Staatsbürger von ihren Botschaften oder Konsulaten Besuche erhielten, war die Staatssicherheit stets präsent. Es wurde dann vor allem darauf geachtet, dass die Gesprächsbedingungen, die sich aus einem Fragekatalog ergaben, genau eingehalten wurden. Nicht gesprochen werden durfte über alle Einzelheiten der vorgeworfenen Straftat, Tatbeteiligte, Verhalten zum Tatvorwurf, vernehmungstaktische und kriminalistische Methoden, auch waren z.B. konkrete Angaben über Häftlingstransporte oder vorhandene Beweismaterialien tabu. Bei Verstößen gegen diese Bedingungen schritt der Stasihauptmann Peter Pfütze, der von 1974 bis 1989 tausende solcher Besuche beaufsichtigte und nun in einem Buch detailliert darüber berichtet, strikt ein. So etwa, als ein Mitarbeiter der bundesdeutschen Ständigen Vertretung einen Inhaftierten fragte, ob weitere Bundesbürger in gleicherweise inhaftiert seien und wie sie heißen. Solche Informationen durften seltsamerweise das Tageslicht nicht erblicken, obwohl die betreffenden Inhaftierten selbst das Recht gehabt hätten, Besuche von der Ständigen Vertretung zu erhalten oder schon erhalten haben.
Der Umgang der Stasi mit beteiligten Diplomaten, so der Autor, sei dennoch stets „kooperativ und sachlich“ gewesen, jedoch hätten diese niemals Mitteilung darüber gemacht. Sie schwiegen bis heute.
Die ausländischen Gefangenen in der DDR wurden zu den jeweils angesetzten Besuchsterminen, die sie ein bis zwei Mal im Jahr „genießen“ konnten, in die Haftanstalt Berlin-Lichtenberg in der Magdalenenstraße gebracht. Erst ab 1986 konnten die Diplomaten die Häftlinge auch in den weit entlegenen Haftanstalten, wie z.B. in Bautzen, besuchen.
Die Besuche fanden, auf diese Feststellung legt Pfütze offensichtlich wert, in Besuchszimmern mit „Couchgarnitur, Clubtisch, Schreibtisch mit Sessel, Schrankwand, verdecktem Waschbecken, öffentlichem Telefonanschluss und Teppich“ statt. Zigaretten lagen auf dem Tisch, auf Wunsch habe es Kaffee und Tee gegeben. Gleichwohl verliefen nicht alle Besuche so, wie es sich die Stasi in der mit Absicht geschaffenen Atmosphäre, die „sich von der sterilen, abweisenden Kälte eines Gefängnisses unterscheiden“ sollte, gewünscht hatte. So bei einem weiteren Besuch eines Mitarbeiters der bundesdeutschen Ständigen Vertretung in Ostberlin. Der sportliche Mann, so Pfütze, der sich schon beim ersten Besuch damit gerühmt hatte, jahrelang in der GSG-9 gedient zu haben, sei „nicht nur von schlichtem Gemüt und Verstand, sondern auch ziemlich hochnäsig und chauvinistisch“ gewesen. So habe er bei einem Treffen mit einem U-Häftling (Pfütze: „Ein geistig zurückgebliebener, sehr primitiver Mensch, der erkennbar Mühe hatte, dem Mann von der GSG-9 zu folgen…“) behauptet: „Der ist doch vollgepumpt mit Narkotika, der kann doch nicht einmal auf die einfachste Frage normal reagieren!“ Selbst als Pfütze die – wie auch immer zu bewertenden – „Unterlagen (studierte) und sah, dass er keinerlei Medikamente bekommen hatte und auch der Häftling seinerseits verneinte, ’etwas eingenommen’“ zu haben („Tabletten, Tropfen oder eine Spritze“), sei der GSG-9-Mann (Pfütze: „Der Mann schien nicht mehr bei sich zu sein.“) nicht zu beruhigen gewesen: „Dann hat man ihm unbemerkt etwas ins Essen gemischt! Ich verlange, dass künftig 72 Stunden vor jedem Besuch die Narkotika abgesetzt werden“, habe er sich echauffiert. Er sei schließlich gegangen, ohne die Besuchszeit ausgeschöpft zu haben. Peter Pfütze versah die Überschrift dieses Kapitels mit der Überschrift „Das Großmaul von der GSG-9“.
Bei Besuchen von Westdiplomaten – so auch bei Besuchen von Mitarbeitern der Ständigen Vertretung – war die Übergabe eines Geschenkbeutels mit Zigaretten, Schokolade und Kosmetika im Wert von etwa 20 bis 25 D-Mark obligatorisch. Auch zu Weihnachten gab es ein Paket von der Ständigen Vertretung. Etliche Spione, so Pfütze, hätten allerdings die Annahme der Pakete verweigert. Sie wollten nach Ansicht des Autors offensichtlich signalisieren: Wenn ihr euch das Jahr über nicht um uns kümmert, könnt ihr uns auch zu Weihnachten gestohlen bleiben! Wir lassen uns nicht kaufen.“
Dann weiß Peter Pfütze auch von einem Häftling, einem Schleuser, zu berichten, der „nicht nur ein Feind der DDR, sondern auch ein Freund des Alkohols“ gewesen sei. Der habe ein großes Mitteilungsbedürfnis gehabt und dem Besucher von der Ständigen Vertretung erzählt, dass in Stasihaft nichts dem Zufall überlassen werde: „Wenn die Kommunikation oder der Draht mit dem Vernehmer oder dem Zellenkumpan nicht funktioniere, werde ein anderer ausgesucht, bis es klappt. Wenn bei den Vernehmungen der Kaffee nicht schmecke, gäbe es Tee oder ein anderes Getränk, genauso wäre es mit den Zigaretten. Alles werde auf den Häftling abgestimmt, damit dieser nur richtig und wahrheitsgemäß aussage.“ Er habe, so schreibt Pfütze, dieses Gespräch nicht unterbrochen, obwohl doch über „vernehmungstaktische Methoden“ nicht gesprochen werden durfte. Hier scheint das jedoch etwas anders gewesen zu sein, hat der Häftling doch diese „vernehmungstaktischen Methoden“ über den grünen Klee gelobt. Und das sollte dem Besucher von der Ständigen Vertretung dann doch nicht entgehen.
Eingeschritten sei Pfütze dagegen, als ein Häftling den Besucher der Ständigen Vertretung angegriffen habe, weil der zunächst kategorisch eine Unterstützung seiner im Westen lebenden Freundin durch die Bundesrepublik ausschloss. Er habe dem Diplomaten damit gedroht, ihn kaltzumachen, sobald er aus dem Knast komme; „deine Fresse werde ich mir merken“, habe er gegeifert und sei auf den eingeschüchterten Diplomaten zugestürzt. Der habe sich anschließend bei Pfütze für dessen „beherztes Eingreifen“ bedankt.
Bei der Lektüre dieses Buches fragt man sich wahrhaftig, wieso die DDR-Knäste und die Stasi bis heute solch einen schlechten Ruf haben. Nicht wenige West-Häftlinge, die noch nie in ihrem Leben eingesessen hätten, seien, so Pfütze, der Annahme gewesen, dass es im DDR-Knast besonders schrecklich zugehe. Ihnen hätten allerdings die Diplomaten von der Ständigen Vertretung, die zur Vorbereitung ihrer Besuche in DDR-Haftanstalten durch die Westberliner Haftanstalt Moabit geführt wurden, die Augen geöffnet: „Knast bleibt Knast“, hätten sie den Gefangenen gesagt, „egal, ob nun hier oder drüben! So groß sind die Unterschiede nicht, wie Sie vielleicht glauben. Ich habe Moabit gesehen…“
Welche Unterschiede das auch immer waren: Besucherräume mit Kaffee, Tee und Zigaretten gab und gibt es jedenfalls in Moabit bis heute nicht. Auch nicht für Diplomaten.
Peter Pfütze: Besuchszeit. Westdiplomaten in besonderer Mission. edition ost, Berlin 2006. 224 Seiten, 14,90 Euro.