Immunität bei Menschenrechtsverbrechen nicht angebracht.

TP-Interview mit Wolfgang Kaleck.

(Das Interview erschien am 6. Januar 2007 in einer Berliner Zeitung).

Am 14. November erstattete der Berliner Rechtsanwalt und Vorsitzende des Republikanischen Anwaltsvereins, Wolfgang Kaleck, erneut im Auftrag vieler Menschenrechts-Organisationen, Friedensnobelpreisträger und internationaler Vereinigungen, aber auch irakischer – in Abu Ghraib inhaftiert gewesener oder inhaftierter – Staatsbürger sowie eines in Guantanamo gefangen gehaltenen Staatsbürgers Strafanzeige gegen den ehemaligen, derzeit noch amtierenden US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und andere hochrangige militärische sowie zivile Mitglieder der Bush-Administration u.a. wegen Kriegsverbrechen und Verstoßes gegen die UN-Folterkonventionen (Stichwort: Abu Ghraib und Guantanamo) beim Generalbundesanwalt bzw. -anwältin in Karlsruhe.

Ein Interview.

Frage: Präsident George W. Bush haben Sie ausdrücklich von der Anzeige ausgenommen, weil er – wie Sie auf Seite 240 Ihrer Strafanzeige erwähnen – zur Zeit noch Immunität genieße.
Kann er wegen Völkerrechtsverbrechen diese Immunität uneingeschränkt, vor allem noch nach seiner Amtszeit beanspruchen – schließlich hat er nicht irgendwelche Amtshandlungen schlechthin ausgeübt, sondern zumindest zugelassen, dass es zu den angezeigten Handlungen kommt, die von seiner Administration durch gezielt bestellte – Folter erlaubende – Folter-Memoranden abgesichert wurden?

Kaleck: Wir haben sowohl in der Strafanzeige als auch öffentlich immer wieder betont, dass die bisherigen Unterlagen und Informationen über das Folterprogramm der USA seit dem 11.09.2001 unvollständig sind. Die bisherigen Informationen lassen zweifelsfrei den Schluss zu, dass der zurückgetretene Verteidigungsminister Rumsfeld eine maßgebliche Rolle gespielt hat, aber auch Präsident Bush und sein Vize-Präsident Cheney dürften in erheblicher Weise an den Folterverbrechen beteiligt gewesen sein. Allerdings gibt es nach dem Kongo-Haftbefehlsfall vor dem Internationalen Gerichtshof das große rechtliche Problem, dass amtierende Staatsoberhäupter und Außenminister zumindest vor nationaler Strafverfolgung in anderen Ländern geschützt sein sollen.

Frage: Auch bei den hier vorliegenden gravierenden Vorwürfen?

Kaleck: Wir argumentieren immer wieder, dass bei Menschenrechtsverbrechen eine solche Immunität nicht angebracht ist – die herrschende Meinung lautet aber anders. Aber dies ist nicht das Ende des Liedes, denn die Amtszeit von Präsident Bush wird in zwei Jahren zu Ende sein und dann ist er jedenfalls nicht mehr im nachhinein von Immunitäten geschützt. Ob man rein faktisch ein Verfahren gegen ihn einleiten oder initiieren kann, ist eine weitere Frage.

Frage: Richard Cheney hat sich ja nun öffentlich damit gebrüstet, dass zumindest das sog. Water-boarding, also das Eintauchen von Gefangenen in Wasser zur Erlangung von Informationen, ein „Kinderspiel“, mithin keine Folter sei -, Folter also in dusseliger Weise – als wenn es sie gar nicht gäbe – zugegeben hat. Warum keine Strafanzeige gegen ihn?

Kaleck: Es wirft natürlich ein bezeichnendes Licht sowohl auf Rumsfeld als auch auf Cheney, dass sie traditionelle Foltertechniken – wie das Water-Boarding und das Lange-Zeit-Stehen -, die im übrigen auch von den ehemaligen Erzfeinden während des Kalten Krieges angewandt wurden, ins Lächerliche ziehen. Eine Straftat stellt dies jedoch noch nicht dar. Anders als Rumsfeld haben sich Cheney und auch sein juristischer Berater, Eddington, äußerst zurückgehalten. Eddington ist wenigstens als wichtige Figur bei einigen Schlüsseltreffen aufgetreten, so dass wir es für gerechtfertigt hielten, ihn mit anzuzeigen. Bei Cheney gehen wir davon aus, dass er eine entscheidende Rolle gespielt hat und behalten uns vor, ihn in Deutschland oder an einem anderen Ort zu einem späteren Zeitpunkt anzuzeigen, wenn seine Amtszeit vorbei ist.

Frage: Die sog. von den Beschuldigten John Yoo und Jay Bybee erstellten Folter-Memoranden wurden erst dann ein Thema, als die CIA Bedenken äußerte, bei Anwendung härterer Vernehmungsmethoden wegen Verletzung nationalen und internationalen Rechts belangt werden zu können.
Das nationale und internationale Recht ist doch nun so hinreichend bestimmt, dass es selbst dem dümmsten Geheimdienstmitarbeiter einleuchten müsste, dass es durch noch so ausgeklügelte Memoranden willkürlich überlagert werden kann. War hier – auch bei den Juristen Yoo und Bybee – mehr Selbstherrlichkeit als Fachwissen am Werke?

Kaleck: Die Kronjuristen der Bush-Administration Yoo und Bybee sind Überzeugungstäter. Vor allem Yoo hat schon lange vor dem Amtsantritt der Regierung Bush immer wieder dafür plädiert, dass die Macht des US-Präsidenten praktisch uneingeschränkt ist, vor allem in Kriegs- und Notstandsfällen. Nach dem 11.09.2001 sei die Gelegenheit gekommen, sein theoretisches Wissen in die Praxis umzusetzen. Schon in den ersten Monaten war John Yoo daran beteiligt, den auf den Kriegsschauplätzen in Afghanistan und anderswo festgenommenen Gefangenen den Schutz durch die Genfer Konventionen abzusprechen. Dabei stellen die von Yoo und anderen vertretenen rechtlichen Positionen – vor allem zur Definition von Folter und zur Anwendung der Folterkonvention – rechtlich derart abwegige Meinungen dar, dass man davon ausgehen muss, dass sie bewusst Meinungen vertraten, die von ihnen verlangt wurden.

Frage: Können die Bedenken der CIA überhaupt so ernst genommen werden, denn als sie schließlich foltern „durfte“, folterte sie so grausam, dass selbst das FBI seine Agenten von solchen Verhören zurückpfiff?

Kaleck: Meiner Meinung nach ist es müßig, darüber nachzudenken, wo schlimmer und weniger schlimm gefoltert wird. Für mich ist interessant, dass sich sowohl bei der CIA als auch beim Militär – und vor allem beim Militär -, aber auch beim FBI, eine Vielzahl von Personen fanden, die sich letztlich weigerten, verbotene Vernehmungsmethoden und Folter anzuwenden. Keine der genannten Organisationen ist dafür bekannt, dass sie für die Menschenrechte eingetreten sind. Nichtsdestotrotz ist es zu würdigen, dass viele der Informationen, über die wir jetzt verfügen, durch interne Memoranden – geschrieben von Leuten, die abweichende Meinungen vertraten – bekannt wurden. Im Übrigen finde ich es auch wichtig, dass die Geschichte nach dem 11.09.2001 nicht als eindimensionaler Vorgang und die Bush-Administration nicht als monolithischer Block beschrieben wird. Wer für die Menschenrechte und soziale Veränderungen kämpft, muss lernen, wie solche Machtapparate funktionieren und wird dabei feststellen, dass sie nicht immer so gut funktionieren, wie wir das in unseren schlimmsten Träumen annehmen.

Frage: Nun wurden von den US-Truppen gefangen genommene Taliban- und andere Kämpfer an Staaten ausgeliefert, von denen bekannt ist, dass sie hart foltern – unter anderem mit Elektroschocks. Hatten die Amis hier rechtliche Bedenken, solche Foltertechniken selbst anzuwenden – was sie als Anstifter gegenüber anderen selbstverständlich nicht freisprechen würde – oder wollten sie sich schlicht und einfach nicht die Finger schmutzig machen – moralische Bedenken hatten sie offensichtlich ohnehin nicht, die Drecksarbeit von anderen machen zu lassen.

Kaleck: Die Überstellung von gefangen genommenen Personen an Staaten, die nachgewiesenermaßen traditionell systematisch und brutal foltern (sog. Rendition-Flüge) ist wohl eine der perfidesten Menschenrechtsverletzungen der letzten Jahre. Obwohl an dieser Stelle nicht vergessen werden soll, dass diese Art von Behandlung von missliebigen Personen eine gewisse Tradition hat. Auch während der Militärdiktatur der 70er Jahre in Lateinamerika arbeiteten die diversen Geheimdienste unterschiedlichster Länder zusammen, z.B. in der Operation Condor, an der auch die USA maßgeblich beteiligt waren. Ich finde es angesichts so eklatanter Rechtsverstöße müßig über die Absichten der USA zu spekulieren. Wichtiger finde ich in diesem Zusammenhang nur, dass europäische Staaten zumindest weggeschauen, wenn nicht gar die Flüge heimlich gebilligt bzw. durch Informationen und kleinere Hilfeleistungen einige der Operationen der CIA gerade erst möglich gemacht haben (z.B. in Schweden und Italien).

Frage: Ende Februar d. J. haben Sie auch Beschwerde bei den Vereinten Nationen erhoben, worin Sie sich gegen die Interventionen US-amerikanischer Regierungsstellen wandten, die auf Ihre erste Anzeige vom 30. November 2004 erfolgten. So wurde als Reaktion auf Ihre Strafanzeige die Teilnahme Rumsfelds an der NATO-Sicherheitskonferenz in München abgesagt und die Anzeige als unsinnig und leichtfertig bezeichnet. Offensichtlich durch diese Interventionen genötigt, stellte der damalige Generalbundesanwalt Kay Nehm das Verfahren pünktlich einen Tag vor der Sicherheitskonferenz ein und Rumsfeld erschien in voller Frische. Beim Klageerzwingungsverfahren verhielt es sich ähnlich – pünktlich zu Beginn seiner Teilnahme an einer informellen Tagung der NATO-Verteidigungsminister in Berlin wies das Oberlandesgericht Stuttgart die Klage zurück.
Ist bisher eine Reaktion auf Ihre Beschwerde bei den Vereinten Nationen erfolgt?

Kaleck: Unsere Beschwerde bei dem UN-Sonderberichterstatter für die Unabhängigkeit der Justiz haben wir Anfang 2006 eingereicht. Wir gehen davon aus, dass der Sonderberichterstatter die Bundesregierung zur Stellungnahme aufgefordert hat und den Fall in seinem Jahresbericht 2006 erwähnen und kommentieren wird. Wir sehen keine Veranlassung, die Beschwerde gegen die offensichtliche politische Intervention der US-Regierung und der Bundesregierung in das juristische Verfahren anlässlich unserer Strafanzeige 2004/2005 zurückzunehmen.

Frage: Wie sieht es überhaupt mit zivilrechtlichen Klagen aus? Schließlich sind ja die angezeigten Misshandlungen und Folter konkret Personen zuzuordnen, die sie als Amtspersonen ausführten. Besteht hier wenigstens in den USA Aussicht auf Erfolg?

Kaleck: Die Strafanzeige gegen Rumsfeld in Deutschland ist kein isoliertes Unternehmen. Vielmehr haben Menschenrechtsorganisationen aus den USA flächendeckend und instanzen- und verfahrensübergreifend – überall dort, wo es möglich war – Rechtsmittel gegen die Menschenrechtsverletzungen der Bush-Administration eingelegt. Hierzu gehörten natürlich auch die Einreichung von Zivilklagen in den USA. Die meisten Verfahren schweben jedoch noch. Zivilverfahren dauern in den USA äußerst lange. Aber es sind auch schon die ersten negativen Entscheidungen ergangen, wo es z.B. hieß, dass über die Menschenrechtsverletzungen gegen den Anadi Arar, eines der Opfer der sog. Rendition-Flüge, nicht entschieden werden kann, weil dies eine politische Frage sei.

Frage: Wie kam es überhaupt dazu, dass die für die Gefängnisse im Irak zuständige ehemalige Brigadegeneralin Janis Karpinski sich bereit erklärt hat, sich als Zeugin für die deutschen Ermittlungsbehörden zur Verfügung zu stellen? Ist es überhaupt glaubhaft, dass sie von den Folterungen nichts wusste? Janis Karpinski war bei einer „Konferenz“ – als Gast – anwesend, bei der über das sog. GITMO-IZING gesprochen wurde, also das Übertragen der Verhörmethoden von Guantanamo auf irakische Gefängnisse. Hätte sie hier nicht eher Alarm schlagen müssen?

Kaleck: Über die Person der ehemaligen Brigadegeneralin Janis Karpinski kann man sich mit Fug und Recht streiten. Ich möchte hier keine Interpretation vorgeben. Für das deutsche Verfahren war es äußerst wichtig, dass sich Frau Karpinski als hochrangige Insiderin bereit erklärt hat, vor deutschen Strafverfolgungsbehörden auszusagen. Denn eine der Einwände gegen Völkerstrafrechtsverfahren in dritten Ländern lautet, dass die dortigen Ermittlungsbehörden nichts zu ermitteln hätten. Im Falle von Frau Karpinski fällt es schon auf, dass sie in keinem der Militärgerichtsverfahren gegen ihre ehemaligen Untergebenen als Zeugin gehört wurde, obwohl sie sich hierzu bereit erklärt hatte. Frau Karpinski hat sich wiederholt bereit erklärt, die Vorwürfe gegen sie in einem Gerichtsverfahren klären zu lassen. Es ist doch bezeichnend, dass gerade dies bisher noch nicht geschehen ist. Das Plausible an ihrer Aussage ist, dass sie beschreibt, wie zwei der Zellenblöcke von Abu Ghraib von Militärnachrichtendienst, der CIA und von privaten Sicherheitsfirmen übernommen wurden und das Militärpersonal praktisch nur dazu benutzt wurde, um die Gefangenen für die Vernehmungen durch die Nachrichtendienstler weichzukochen. Diese Aussage kollidiert natürlich mit der zentralen Entschuldigung der Bush-Administration, wonach nämlich einige „faule Äpfel“, nämlich sadistisch veranlagte Soldaten in einer Kriegssituation sich fehlverhalten hätten und man dieses Fehlverhalten bereits geahndet hätte.

Frage: Sind, nachdem die Demokraten die Wahlen in den USA gewonnen haben, nun evtl. dort – mittelfristig – mit Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Rumsfeld und Co. zu rechnen oder bleibt das ein purer Wunschgedanke?

Kaleck: Mir ist nicht bekannt, dass sich Demokraten in den vergangenen fünf Jahren dadurch ausgezeichnet hätten, dass sie sich vehement gegen Kriegsverbrechen im Allgemeinen und Folterungen im Besonderen ausgesprochen hätten. Mir ist auch nicht bekannt, dass die Demokraten angekündigt hätten, Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Angehörige der Bush-Administration zu betreiben. Aber wir sollten auch nicht auf die großen politischen Parteien warten. Wenn innerhalb der Bevölkerung ein Klima geschaffen wird, dass zumindest bei relevanten Teilen eine solche Strafverfolgung gefordert wird, werden die Demokraten reagieren müssen.

Frage: Ist wenigstens mit einer gemäßigten Irak-Politik zu rechnen?

Kaleck: Wir alle können uns nur wünschen, dass eine andere Irak-Politik und insgesamt eine andere Nah-Ost-Politik in den USA Einzug hält. Schlimmer als in den letzten fünf Jahren kann es nicht kommen. Vor allem müssen die betroffenen Bevölkerungen und letztlich aber auch wir die Rechnungen wahrscheinlich noch auf längere Zeit hin begleichen.

Frage: In Ihrer Strafanzeige haben Sie vorsorglich beantragt, dass die Generalbundesanwaltschaft wenigstens in den USA Auskunft darüber einholt, ob und ggf. in welchem Umfang gegen die in der Strafanzeige vom 14. November benannten Beschuldigten wegen der angezeigten Vorgänge strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet wurden. Glauben Sie, dass die Generalbundesanwaltschaft hier etwas tun wird?

Kaleck: Die Bundesanwaltschaft wird die Strafanzeige 2006 mit Sicherheit ernster nehmen als die Strafanzeige 2004, da insbesondere auch aus Fachkreisen in den USA eine starke Unterstützung für die Strafanzeige erfolgte und daher auszuschließen ist, dass die Strafanzeige noch einmal mit derselben Begründung abgelehnt wird, wie beim ersten Mal, dass nämlich Ermittlungsverfahren in den USA selber anhängig seien.

Frage: Kann die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens in Deutschland überhaupt von einer Rechtshilfe der US-amerikanischen Regierung abhängig gemacht werden?

Kaleck: Das große Problem bei Völkerstrafrechtsverfahren ist immer wieder, dass nur begrenzte Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Die Einleitung eines Verfahrens sollte deswegen nicht davon abhängig gemacht werden, dass die Regierung aus den Staaten, deren Staatsbürger Gegenstand von Ermittlungsverfahren sind, Rechtshilfe gewähren oder nicht.

Foto/Bildquelle: dka-kanzlei.de

Das Interview erschien am 6. Januar 2007 in einer Berliner Zeitung.

Interview: Dietmar Jochum, TP Presseagentur Berlin 2007

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