Verbrechen und andere »rechtsfreie Räume« Von Abel bis Zwangsarbeit: Ein »großes Lexikon« gibt Auskunft.

Von Dietmar Jochum, TP Berlin.

Am Anfang sei das Verbrechen gewesen, behauptet Norbert Borrmann in »Das große Lexikon des Verbrechens«, und es »ist in der Welt geblieben«. Keine Revolution oder gesellschaftliche Umgestaltung könne es abschaffen. Es restlos ausrotten zu wollen, ende »daher immer selbst nur im Verbrechen«.

In der Tat gibt es genügend Belege dafür – Todesstrafe und Folter müssen hier an erster Stelle genannt werden –‚ daß bei den (untauglichen) Versuchen, das Verbrechen in den Griff zu bekommen, häufig selbst welche verübt worden sind. Eine abschreckende Wirkung war selten zu verzeichnen, aufs Ganze gesehen gar keine. Verbrechen nahmen keineswegs ab. Ob der Grund darin liegt, daß das Verbrechen elementar ist, wie der Autor meint, ein Teil der menschlichen Natur, mag dahingestellt bleiben. Daß das Verbrechen aber, wie der Autor zutreffend konstatiert, genauso in der Welt ist »wie Hunger, Sturm, Kälte, Finsternis, Haß, Neid, Krankheit, Habgier, Dummheit oder Tod«, kann dagegen weniger bestritten werden. Das bot dem Autor, der neben Architektur und Kunstgeschichte auch Alte und Neue Geschichte studierte und bereits ein »Lexikon der Monster, Geister und Dämonen« verfaßt hat, nun auch Stoff genug, ein »großes Lexikon des Verbrechens« vorzulegen.

Darin setzt er sich auf nahezu 900 Seiten von A (Abel, der biblische Brudermörder) bis Z (Zwangsarbeit) detailliert mit Motiven und Hintergründen von Straftaten, aber auch mit den Tätern auseinander, selbst wenn diese noch nicht einmal rechtskräftig verurteilt (Armin M., der sogenannte Kannibale von Rotenburg) oder freigesprochen wurden (wie etwa Elisabeth F., die ihre Nichte vergiftet haben soll). Das mag noch angehen. Daß er aber den in den USA wahrscheinlich unschuldig wegen Polizistenmordes zum Tode verurteilten Mumia Abu-Jamal unbedingt als Täter festgestellt wissen will, geht zu weit. Borrmann scheint es gleichgültig zu sein, daß er einer Hinrichtung von Abu-Jamal Vorschub leistet. Das Engagement vieler Prominenter und Organisationen für Abu-Jamal interessiert ihn dabei nicht im geringsten. Borrmann geht sogar so weit, zu beklagen: »Einmal angelaufen, war das Betroffenheitskarussell nicht mehr zu bremsen.« Dabei ist ihm sehr wohl bewußt, und er stellt es sogar fest, daß »das Problematische bei einer vollzogenen Todesstrafe ihre Unumkehrbarkeit (ist)«.

Nichtsdestotrotz soll hier über Borrmanns »Großes Lexikon des Verbrechens« nicht in Gänze der Stab gebrochen werden. Man erfährt viel Wissenswertes, Interessantes und Spannendes rund um (Ursachen und Folgen von) Verbrechen, Verbrechern und der Verbrechensbekämpfung. Aber auch über »rechtsfreie Räume«, wobei der Autor u. a. auf den amerikanischen Stützpunkt Guantánamo auf Kuba hinweist. Aber dann wird diese staatliche Terror- und Folteranstalt wieder relativiert: »Wer Verbrechern in die Hände fällt, wer entführt wird, gerät auch in einen ›rechtsfreien Raum‹ (…).«

Diese Feststellung ist so entbehrlich wie die, daß Wasser naß ist. Staatliche Untaten bleiben dagegen überwiegend in den »rechtsfreien Räumen« verborgen. Sie werden von eben denjenigen begangen und gerechtfertigt, deren vornehmste Aufgabe es ist, dem Recht zur Geltung zu verhelfen, ohne es zu beugen oder selbst Unrecht zu begehen. Das sollte der Autor berücksichtigen, wenn er schon Recht und Unrecht gegeneinander aufrechnet. Hier scheint Norbert Borrmann zumindest befangen zu sein.

Norbert Borrmann: Das große Lexikon des Verbrechens. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2005, 893 Seiten, 16,90 Euro.

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