TP-Interview mit Egon Krenz.
TP: Oberstaatsanwalt Jahntz hat nun mit dem Plädoyer begonnen, teilweise – aus seiner Sicht – auch ein bißchen Geschichtsunterricht gegeben. Wie beurteilen Sie seine Darstellung?
Krenz: Nein, Geschichtsunterricht würde ich das nicht nennen, ich würde sagen: Geschichtsdesinformation hat er gegeben.
TP: Was geht in Ihnen vor in Anbetracht dessen, was er gesagt hat – es tendiert ja offensichtlich in Richtung eines Strafantrages?
Krenz: Wissen Sie, daran habe ich mich gewöhnt – insofern ist ja diese Justiz sehr berechenbar. Sie macht ja diesen Prozeß nicht, um freizusprechen, sie macht ja diesen Prozeß, um zu kriminalisieren. Ich spekuliere trotzdem nicht, welchen Antrag er stellen wird. Ich weiß, daß er einen stellen wird, nervös kann er mich damit nicht machen.
TP: In seinem Plädoyer ist Staatsanwalt Jahntz auch auf die Aussage des inzwischen verstorbenen Politbüromitgliedes Harry Tisch von 1993 eingegangen. In dieser Aussage hatte Tisch das Politbüro u.a. als ein Gremium dargestellt, in dem auch extreme Meinungen ausgedrückt werden konnten, wenn einem etwas nicht paßte. Was sagen Sie dazu?
Krenz: Wissen Sie, ich kenne die Gesamtaussage von Herrn Tisch, und deshalb kann ich nur sagen: Auch in diesem Fall versucht Herr Jahntz einzelne Politbüromitglieder gegeneinander zu hetzen, indem er aus dem Zusammenhang gerissene Äußerungen gebraucht. Er unterstellt auch mir Äußerungen, die ich nie gebraucht habe. Mir wird ja hier ein Zitat unterstellt, das eigentlich ein Lenin-Zitat ist, aber es wird so dargestellt, als hätte Krenz dieses Zitat gebraucht. Also: Ich bin bei dem, was Herr Jahntz da von sich gibt – vor allem, wenn er über die große Kraft des Marxismus-Leninismus spricht, als würde er diesen kennen -, sehr vorsichtig.
TP: Ich rekapituliere mal einen wesentlichen Punkt, auf den Oberstaatsanwalt Jahntz aus der Aussage Harry Tischs eingegangen ist: Das Politbüro war keinesfalls ein schweigendes Gremium, in dem überhaupt kein Widerspruch möglich war.
Krenz: Ja, natürlich, der Harry Tisch hat seine Erkenntnisse dargegeben, die von meinen gar nicht so weit entfernt sind, aber ich sage es noch einmal: Man muß diese in die richtigen Zusammenhänge und nicht in völlig andere Zusammenhänge stellen. Die Kunst des Herrn Jahntz besteht darin, immer Wahres in falsche Zusammenhänge zu stellen, und dadurch wird auch Wahres falsch.
TP: Ganz offensichtlich möchte er den Zusammenhang herstellen, daß es auch in puncto des Grenzregimes einzelnen Politbüromitgliedern möglich gewesen sei, Widerspruch zu erheben. Ist dem so gewesen?
Krenz: Es ist doch fast ein Treppenwitz, daß man meint, wenn man im Politbüro Fragen bespricht, daß dies gleichzusetzen wäre mit der Möglichkeit, ein Grenzregime aufzuheben, das sich durch die Auseinandersetzungen der Großmächte ergeben hatte. Also, das halte ich für unmöglich. Ich lasse mich auch dadurch nicht beeinträchtigen. Was Herr Jahntz hier macht, ist, die Geschichte auf den Kopf zu stellen, zu fälschen, bewußt zu fälschen und dadurch natürlich die Rechtmäßigkeit eines Urteils zu begründen.
TP: Eine ganz persönliche Frage: Was wäre einem Politbüromitglied in den 80er Jahren – ich spreche jetzt für die Zeit, in der Sie im Politbüro waren – passiert, wenn es gegen Grenzsicherungsangelegenheiten „rebelliert“ hätte?
Krenz: Ich spekuliere darüber nicht, ich bin gern bereit, auf Foren darüber zu sprechen, aber nicht mit einem solchen indoktrinierten Staatsanwalt im Rücken.
TP: Stichwort: Platz des Himmlischen Friedens. Da gibt es den Vorwurf, daß Sie die dortige Vorgehensweise gegen Studenten gerechtfertigt haben sollen.
Krenz: Ich habe niemals Tote gerechtfertigt, weder an der Grenze in Berlin noch auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking.
TP: Wie kam es dann, daß es in der Öffentlichkeit so dargestellt wird?
Krenz: Sie wissen doch, wie Politik gemacht wird. Es sah dann so aus, daß Krenz ja doch der erste Mann in der DDR wird. Die DDR hat man im Westen gehaßt…, also wie macht man das fest an Personen? Man sagt also, der Mann hat irgendwo etwas gerechtfertigt, was er sich auch für die DDR wünscht. Was ich mir für die DDR gewünscht habe, das habe ich am 9. November (1989) gezeigt, nämlich Frieden!
TP: Ist es demnach eine journalistische Fälschung, daß Ihnen das nachgesagt wird?
Krenz: Ja, was heißt Fälschung? Ich weiß nicht, ob es eine Fälschung der Journalisten ist. Vielleicht war es auch eine gezielte Desinformation der Politik.
TP: Jedenfalls keine korrekte Wiedergabe?
Krenz: Keine korrekte Wiedergabe! Ich bin dann ja im Oktober 1989 zum 40. Jahrestag der Volksrepublik China in China gewesen und habe da von Jiang Zemin und anderen, selbst noch von Deng Xiao-ping erfahren, daß diese Ereignisse, so wie sich vollzogen haben, nicht dem Sinn der Politik Chinas entsprachen. Das war auch, wie man so sagt, aus dem Ruder gegangen, und deshalb hatte ich eine fürchterliche Angst, daß uns in der DDR auch etwas aus dem Ruder gehen könnte und habe lieber entschieden: Öffnet die Grenze, als daß irgendwo Militär eingesetzt werden wird.
Interview: Dietmar Jochum, TP Berlin
Interview mit Egon Krenz – Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=nVJPokvblc4
Erklärung von Egon Krenz
Saarbrücken (ADN). Während seines Besuches in Neunkirchen (Saarland) wurde Egon Krenz von Pressevertretern nach der Bewertung der Äußerungen von Ministerpräsident Oskar Lafontaine im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Volksrepublik China befragt. Egon Krenz erklärte dazu:
„Die Äußerungen des saarländischen Ministerpräsidenten stehen im völligen Gegensatz zu den tatsächlichen Geschehnissen in der Volksrepublik China. Sie sind aus unserer Sicht nicht zu verantworten.
Da in der heutigen Presse der BRD diese Äußerungen von Oskar Lafontaine als Hauptinhalt der Saarbrücker Gespräche ausgegeben werden, halte ich es für notwendig, meinen bereits gestern im Interview für die ‘Tagesthemen’ der ARD zum Ausdruck gebrachten Standpunkt zu bekräftigen: Bei der Beurteilung der Ereignisse in der Volksrepublik China kann man nicht von den Horrordarstellungen der BRD-Medien ausgehen. Man muß sich auf die wirklichen Ereignisse und die Erklärungen der chinesischen Partei- und Staatsführung stützen. In diesen wird klar und deutlich festgestellt, daß die friedlichen Demonstrationen der Studenten zu einem konterrevolutionären Umsturz in der Volksrepublik China ausgenutzt werden sollten.
Sie werden verstehen, daß wir uns bei der Beurteilung von Ereignissen objektiv an die amtlichen Mitteilungen halten und uns nicht an Meldungen orientieren, die auf Gerüchten, Verfälschungen und Vermutungen beruhen.
Was die Äußerungen von Oskar Lafontaine zum Sozialismus in der DDR und zur Freiheit ihrer Bürger betrifft, so hatte er bekanntlich schon oft Gelegenheit, sich bei uns davon zu überzeugen, daß der Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik mit wahrer Freiheit und Demokratie identisch ist.“
Neues Deutschland vom 9. Juni 1989
„… daß etwas getan worden ist, um Ordnung wiederherzustellen.“
ARD – Tagesthemen – Interview mit Egon Krenz am 7. Juni 1989
Tagesthemen: Als nicht akzeptabel hat Oskar Lafontaine auch gesagt und bewertet die Aufnahme der Ereignisse in der Volksrepublik China. Auch da fehlt eine Replik Ihrerseits. Können Sie sich denn irgendwie mit dieser Argumentation auseinandersetzen?
Krenz: Da fehlt überhaupt nichts unsererseits. Ich habe überhaupt keinen Zweifel daran gelassen, daß man heutzutage sich in innere Angelegenheiten eines anderen Staates nicht einmischen darf. Das habe ich klipp und klar in meinen Ausführungen gesagt. Und was wir in der DDR getan haben, ist folgendes: Wir haben die Verlautbarungen des Staatsrates der Parteiführung, des Oberbürgermeisters von Peking so veröffentlicht, wie sie gegeben worden sind – objektiv. Jeder kann sich ein Bild daraus machen. Und ich glaube, das Schlimmste, was uns passieren könnte, daß durch Entstellungen, durch Gerüchte, durch Behauptungen, die nicht bewiesen sind, durch Weglassen von Fakten, eine Atmosphäre geschaffen wird, die niemandem dient. Wir brauchen heute vor allem eine solche Atmosphäre, die dazu beiträgt, in der Welt den Frieden zu schaffen.
Tagesthemen: Nun sind Bilder um die Welt gegangen, die das ein bißchen anders darstellen – nicht nur ein bißchen, sondern diametral anders darstellen, als die öffentlichen Verlautbarungen aus Peking selber.
Denken Sie, das ist ein Beitrag zur Stabilität, wenn man die offiziellen Standpunkte da übernimmt?
Krenz: Darf ich Ihnen raten, sich noch mal genau die Bilder anzuschauen, die Sie gesendet haben und den Text zu vergleichen, den Sie ebenfalls gesendet haben – Sie werden dann einen Widerspruch feststellen. Dieser Widerspruch besteht nämlich darin, daß in Peking etwas getan worden ist, um Ordnung wiederherzustellen.
Tagesthemen: Ist das eine Tugend an sich?
Krenz: Nein, die Tugend an sich ist die, daß man in dieser Welt von heute alles, aber auch alles lassen muß, was Destabilisierung fördert.
Interview: Norbert Klein
Das ist ein wirklich authentischer O-Ton gewesen
Interview mit ARD-Korrespondent Norbert Klein
TP: Herr Klein, am 7. Juni 1989 haben Sie in Saarbrücken Egon Krenz für die ARD-Tagesthemen zu seiner Ansicht hinsichtlich der Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking befragt. Hat Krenz Ihrer Meinung nach nun die Vorgehensweise gegen die Studenten dort gerechtfertigt oder versteht man hier etwas falsch?
Klein: Also er hat das in der Öffentlichkeit natürlich gerechtfertigt. Das ist im Interview schon sehr deutlich gewesen. Gleichwohl hatte ich den Eindruck – so wie ich ihn im Interview erlebt habe -, daß er persönlich diese Vorgänge nicht gutheißen konnte. Deswegen habe ich ja noch mal nachgehakt, um ihn zu nageln und ihn gefragt: Ist denn diese Ordnung eigentlich eine Tugend? Und darauf ist er ja dann vollends von der Rolle gewesen. Man hat gemerkt, daß er total dünnhäutig war, und er hat wohl auch schon geahnt, daß ein Aufstand nicht nur im fernen Peking aktuell ist, sondern daß er und die Alt-Herren-Riege ausgespielt haben. Natürlich ist das eine Interpretation im Nachgang.
TP: Egon Krenz spricht ja nun in dem Interview mit Ihnen von einem Widerspruch zwischen den Bildern und dem Text, der gesendet wurde, um dann zu sagen, daß „dieser Widerspruch nämlich darin besteht, daß in Peking etwas getan worden ist, um Ordnung wiederherzustellen“. Also ein Satz, mit dem man eigentlich nicht recht etwas anzufangen weiß und der auch keinen vernünftigen Sinn ergibt.
Klein: Das ist ein wirklich authentischer O-Ton gewesen. Die Passage hatten wir damals nicht geschnitten. Da bin ich mir ganz sicher. Wahrscheinlich reklamiert er mit diesem verquasten Vorwurf eine Art Ausgewogenheit, so als ob die westlichen Medien nicht nur das brutale Niedermetzeln des Aufstands hätten beschreiben sollen. Sie hätten wohl gleichzeitig die offizielle chinesische Propaganda transportieren sollen. Ansonsten mußte ihm aber klar sein, daß Letzteres völlig unerheblich war angesichts dessen, was da am Platz des Himmlischen Friedens an unglaublichen Vorfällen passiert ist.
Interview: Dietmar Jochum, TP Berlin
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