»Weniger Therapie, weniger Personal, mehr Wegsperren«.

TP-Interview mit Volker Ratzmann.

Durch Föderalismusreform rückt im Strafvollzug das Ziel der Resozialisierung in den Hintergrund.

TP-Interview mit Volker Ratzmann

TP: Herr Ratzmann, Sie haben die Auswirkungen der Föderalismusreform auf den Strafvollzug und das Versammlungsrecht kritisiert. Worin besteht das Problem?

Ratzmann: Künftig wird jedes Bundesland selbst per Gesetz regeln, unter welchen Bedingungen Leute im Knast leben müssen und unter welchen Bedingungen demonstriert werden darf. Bisher galt als Priorität für alle Knäste in der Bundesrepublik: Wenn jemand eingesperrt wird, dann soll er oder sie im Knast resozialisiert werden. Hamburg hat schon angekündigt, daß es dort zukünftig in erster Linie um Sicherheit geht – keine Vollzugslockerungen, weniger Therapie, weniger Personal, mehr Wegsperren. Entscheidend wird die Kassenlage sein.

Mal sehen, was sich die Bundesländer zur Vermeidung von Demos einfallen lassen. Demofreie Zonen werden ja schon lange diskutiert.

TP: Finanzierung und Durchführung des Strafvollzuges waren bisher schon Ländersache. Ändert sich wirklich so viel?

Ratzmann: Wenn man den Ankündigungen von Hamburg, Bayern und Niedersachsen glauben darf, wird sich eine Menge ändern. Alles wird sich um Kostenreduzierung und erhöhte Sicherheitsstandards drehen. Ich befürchte, daß beispielsweise die Doppelbelegung zur Standardunterbringung gemacht wird, daß die Vollzugsplangestaltung noch restriktiver wird und daß das Gesetz die Ausgestaltung des Vollzuges eben an Sicherheit und nicht an Resozialisierung ausrichtet. Bisher hat nicht jeder spektakuläre Fluchtversuch zu einer Gesetzesverschärfung geführt. Der Bundesgesetzgeber ist zu schwerfällig, um gleich jede populistische Wegsperrparole umzusetzen. In den Ländern wirkt das direkter. Nicht umsonst ist ja auch das Strafgesetzbuch ein Bundesgesetz. Strafe muß einheitlich vollzogen werden.

TP: Aber haben die Länder nicht auch bisher ihren eigenen Vollzug gemacht?

Ratzmann: Nein, bisher waren sie gezwungen, sich auch über bundeseinheitliche Rechtsprechung am gesetzlich fixierten Ziel der Resozialisierung auszurichten. Das ist nicht in allen Ländern optimal gelaufen, aber es gab immerhin ein einheitliches Rechtsmittelsystem, mit dem sich jeder Gefangene wehren konnte. Und genau das ist jetzt in Gefahr.

TP: Gibt es also bald für jedes Bundesland ein eigenes Strafvollzugsgesetz?

Ratzmann: Die Gefahr besteht, wobei ich vermute, daß die Länder versuchen werden, gemeinsame Eckpunkte zu formulieren. Wir Grünen werden das auch tun und versuchen, in den Landtagen bzw. im Abgeordnetenhaus das umzusetzen, was bisher im Strafvollzugsgesetz stand. In Berlin werden wir so schnell wie möglich alle am Strafvollzug Interessierten – Verbände, Richter, Staatsanwälte, Verteidiger – zur Diskussion über ein neues Strafvollzugsgesetz einladen.

TP: Werden die Strafvollstreckungskammern auch künftig über die Einhaltung der Regelungen wachen.

Ratzmann: Ja, das ist grundgesetzlicher Standard, daß das eingehalten werden muß.

TP: Demzufolge entscheidet das Bundesverfassungsgericht weiterhin über die Verfassungsmäßigkeit des Strafvollzuges?

Ratzmann: Auf jeden Fall. Auch das ist von den Ländern nicht einschränkbares Grundrecht, das jedem Gefangenen zusteht.

TP: Wann ist mit einem neuen Berliner Strafvollzugsgesetz zu rechnen?

Ratzmann: Sehr schnell zu Beginn der neuen Legislaturperiode. Vor allem muß man dann die Möglichkeit ergreifen, ein Jugendstrafvollzugsgesetz und ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz auf den Weg zu bringen.

TP: Welche Chancen sehen Sie, sich in Berlin mit einem halbwegs resozialisierungsfördernden Strafvollzugsgesetz durchzusetzen?

Ratzmann: Da wir davon ausgehen, an der nächsten Regierung in Berlin beteiligt zu sein, wird die Umsetzung eines ausschließlich am Ziel der Resozialisierung orientierten Strafvollzuges Bestandteil Berliner Regierungspolitik sein. Für uns wird das eine der wesentlichen Aufgaben der Justizpolitik in der Stadt sein.

TP: Mit Volker Ratzmann als Justizsenator?

Ratzmann: Erst gewinnen wir die Wahl, dann einigen wir uns über die notwendigen Reformen, und dann bestimmen wir die Grünen, Personen, die sie umsetzen sollen.

Interview: Dietmar Jochum , TP Berlin

Volker Ratzmann ist Fraktionsvorsitzender von Bündnis90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus

Eine Antwort

  1. So weit so gut: da dass Strafvollzugsgesetz nicht außer Kraft gesetzt worden ist, ist es weiterhin gültig und damit verbindlich. Notfalls gilt „Bundesrecht bricht Landesrecht“. Einfache Formel. Ob die sich so dann auch durchsetzen lässt, wird die Zukunft zeigen. Auf die Strafvollstreckungskammern könnte eine Klagewelle zukommen, die die Gerichte noch mehr als bisher überfordert. Das Ziel der Resozialisierung ist eigentlich nie so richtig umgesetzt worden, der Verwahrvollzug, den Hamburg usw. nun weiter vorantreiben will, ist schon aus verfassungsrechtlichen Gründen schwer nachvollziehbar und damit rechtswidrig.

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