TP-Interview mit Anstaltsleiter und Buchautor Thomas Galli über Sinn und Unsinn in den Gefängnissen und die Gefangenengewerkschaft GG/BO.
TP: „Zeig mir deine Gefängnisse und ich sage dir, wie demokratisch dein Land ist“, hat irgendein schlauer Mensch mal gesagt.
Ist Deutschland so gesehen ein demokratisches Land, wenn man in die Knäste hineinguckt – geht’s da zu, wie das Volk es sich wünscht? Oder wird da über das Volk hinweg gehandelt?
Galli: Ich denke, ein Teil des Volkes hält das Gefängnis für zu weich und wünscht sich, dass Straftäter möglichst hart bestraft werden, um ihre Schuld zu sühnen und sie von weiteren Straftaten abzuhalten. Ein anderer Teil wünscht sich, dass mit Straftätern möglichst human und so umgegangen wird, damit sie wieder in Freiheit entlassen werden können, ohne weitere Straftaten zu begehen. In vielerlei Hinsicht enttäuscht das Gefängnis die Vorstellungen des Volkes. Die Freiheitsstrafe ist eine extrem harte Form der Strafe, sie schädigt Körper, Seele und die soziale Existenz. Sie funktioniert aber nicht wie vom Volk erwartet. Weder kann mit ihr Unrecht vergolten werden, noch Kriminalität reduziert werden. Nur durch einen Mangel an Aufklärung kann die Institution Gefängnis so bleiben, wie sie ist. Eine aufgeklärte Demokratie würde das Gefängnis in Sinnvolleres auflösen.
TP: Ob in einer repräsentativen Demokratie – die wir ja haben – immer der unbedingte Wille des Volkes berücksichtigt wird, mag dahin gestellt sein. Dafür ist das Volk meiner Ansicht nach auch zu sehr gespalten. Im Jahre 1977 trat jedoch immerhin ein sog. Strafvollzugsgesetz in Kraft, das einerseits die Wiedereingliederung des Straftäters in den Vordergrund stellte, andererseits die Sicherheits-oder Opferinteressen der Allgemeinheit zu berücksichtigen hatte.
Welchen Spagat müssen Sie nun als Anstaltsleiter, der Sie ja nun – wenn auch derzeit auf Elternurlaub – sind, hier vollbringen, um Ihre liberalen Vorstellungen, die Sie in Ihrem Buch „Die Schwere der Schuld“ mehr als deutlich zum Ausdruck bringen (Sie sind sogar für die Abschaffung der Knäste!), durchzusetzen?
Hat der Gesetzgeber hier den Ausführenden des Justizvollzugs mit seinen vielen unbestimmten Rechtsbegriffen, die das Strafvollzugsgesetz durchziehen wie ein Gummiband, nicht zu viel zugemutet und wird gewissermaßen mit diesen unbestimmten Rechtsbegriffen einer Auslegungswillkür nicht eher Tür und Tor geöffnet?“
Galli: Als Anstaltsleiter habe ich, was die grundsätzlichen Fragen des Strafvollzuges angeht, wenig Handlungsspielraum. Und natürlich muss ich mich, wie jeder andere auch, an Recht und Gesetz halten und die Weisungen meiner Vorgesetzten befolgen. Ich kann nur versuchen, mich aktiv in den breiter werdenden öffentlichen Diskurs über den Umgang mit Straffälligen einzubringen und argumentativ darauf hinzuwirken, dass das Recht geändert wird. Mit den unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensvorschriften der Strafvollzugsgesetze der Länder haben Sie mit Ihren Andeutungen ganz Recht. Zum Teil ist das eine reine Weitergabe des „schwarzen Peters“ an die Entscheidungsverantwortlichen vor Ort. Es wäre zum Beispiel in der Sache viel sinnvoller, wenn der Gesetzgeber regeln würde, dass jeder Gefangene ab einem bestimmten Zeitpunkt Ausgang aus der Haft bekommen muss. Es wird ja ohnehin fast jeder entlassen, und Gefangene, die vorher regelmäßig Ausgang hatten, sind nicht ganz so fern der gesellschaftlichen Realität und daher besser integrierbar. Aber in der Praxis wird unglaublich viel Energie darauf verwandt zu prüfen, ob ein Gefangener nun für einen Ausgang geeignet ist oder nicht. Denn wenn etwas passiert, liegt die Verantwortlichkeit nicht beim Gesetzgeber, sondern den Menschen vor Ort. Hätten sie halt besser geprüft! Eine solche Regelung wäre vielleicht einigermaßen sinnvoll, wenn man tatsächlich einschätzen könnte, ob ein Gefangener für Ausgang geeignet ist oder nicht. Aber wenn man ehrlich ist, kann man nicht annäherndsicher einschätzen, ob bei einem Gefangenen Flucht- oder Missbrauchsgefahr besteht. Da wäre es sogar ehrlicher (wenn auch von mir nicht befürwortet) vom Gesetzgeber zu regeln, dass überhaupt kein Gefangener Ausgang bekommt, oder dass Gefangene, die wegen bestimmter Delikte verurteilt worden sind, keinen Ausgang bekommen. So liegt es auf der Hand, dass in der Praxis erstens Ausgänge sehr restriktiv genehmigt werden, und dass zweitens dabei nicht selten sachferne Kriterien eine Rolle spielen. Ausgang ist dabei nur ein Beispiel von vielen.
TP: Der Gesetzgeber mag vielleicht die Ermessensgrundlagen für die Verantwortlichen im Strafvollzug eng gehalten haben, aber eine gewisse Fortentwicklung hat – um beim Beispiel Ausgang und vorzeitige Entlassung zu bleiben – dann doch stattgefunden durch die oberste Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht spricht bei Lockerungen und vorzeitigen Entlassungen so von einem „Restrisiko“, das hinzunehmen sei. Meines Erachtens sehen die Verantwortlichen im Strafvollzug jedoch nur ein Risiko, nämlich auf einem Schleudersitz zu sitzen, der wie eine Rakete aktiviert wird, wenn ein Missbrauch von Lockerungen zu beklagen ist, obwohl Missbrauch nun wirklich eher die Ausnahme denn die Regel ist. Welchen Stellenwert hat ein Anstaltsleiter aber nun noch, der nur das macht, was die da „oben“ wollen und eigenes Risiko scheut wie der Teufel das Weihwasser?
Galli: Es gibt sicher einige wenige Anstaltsleiter, die es schaffen, auch im fundamental unmoralischen System Strafvollzug einen Geist von Humanität zu leben und dafür eigene Nachteile in Kauf zu nehmen. Allerdings liegt es im Wesen des Systems, dass solche Menschen tendenziell seltener Anstaltsleiter werden, da sie dann ja in der Regel schon vorher (als Abteilungsleiter oder stellvertretende Anstaltsleiter) nicht systemkonforme Meinungen vertreten und gelebt haben. Auch ist es zutiefst menschlich, dass man Ärger, Druck, berufliche Nachteile und
Konflikte vermeiden will, und daher automatisch dazu neigt, sich einigermaßen systemkonform zu verhalten. Um das am Beispiel der Lockerungen zu verdeutlichen: ein Anstaltsleiter, der die Überzeugung vertritt, dass regelmäßige Lockerungen des Vollzuges für fast alle Inhaftierten nicht nur aus humanitären Gründen unabdingbar sind, sondern unter dem Strich auch die Rückfallquote senken und damit der Allgemeinheit dienen, kommt immens unter Druck, wenn dann einer von Tausenden während einer solchen Lockerung eine Straftat begeht oder flieht. Dann kann er wochenlang Berichte pinseln, warum er wem Lockerungen gibt, was da alles geprüft wird, warum er in dem konkreten
Fall nicht berücksichtigt hatte, dass die Freundin des Gefangenen sich von ihm getrennt hatte usw. Auch werden zumindest unterschwellig dienstrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen in den Raum gestellt.
Wenn Sie Anstaltsleiter wären, würden Sie dann weiterhin großzügig Lockerungen gewähren?
Wohlgemerkt ist das keine Kritik an dem jeweiligen Ministerium als Aufsichtsbehörde. Denn das Ministerium bzw. die politische Spitze kommen eben selbst medial stark unter Druck, wenn z.B. ein Gefangener während eines Ausgangs eine schlimmere Straftat begeht. Es ist vielmehr ein systemimmanenter Prozess, dass dieser Druck dann verteilt wird. Die Tatsache, dass dieser Druck überhaupt entsteht, hängt mit der Illusion absoluter Sicherheit zusammen, die durch das Gefängnis erzeugt wird. Diese Illusion hat allerdings einen hohen Preis. Unter dem Strich werden so viel zu wenig Lockerungen gewährt und damit die Integrationschancen der Inhaftierten minimiert. Kurz gesagt: unsere Gesellschaft gefährdet ihre tatsächlich mögliche Sicherheit, um sich in die Illusion einer absoluten Sicherheit flüchten zu können.
TP: Eine wichtige Aufgabe eines Anstaltsleiters, der das Risiko von Lockerungsmissbrauch oder ähnlichem – aus seiner Sicht auch konsequent – zu berücksichtigen hätte, müsste es dann aber unbedingt sein, einer schleichenden Hospitalisierung auf eine andere Art und Weise zu begegnen. Wie könnte dies in der Praxis aussehen, ohne im Ergebnis auf Zwangstherapien oder sog. Altersheim-Freizeitangebote o.ä. zurückzugreifen?
Galli: Räume schaffen, in denen Familien (sehr viele Inhaftierte haben Partnerinnen und Kinder) die Möglichkeiten zur Begegnung haben. Gefangenen die Möglichkeit eröffnen, sich kreativ zu entfalten (Musik, Zeichnen, Schreiben usw.). Allgemein Kontaktmöglichkeiten nach draußen über Besuch, Telefon und Internet so weit wie darstellbar schaffen.
TP: Ist es überhaupt noch mit der sog. freien Entfaltung der Persönlichkeit oder Handlungsfreiheit respektive Meinungsfreiheit zu vereinbaren, dass es in Ihrer Anstalt noch nicht einmal eine unzensierte Gefangenenzeitung gibt? Im Zeithainer Gefängnis, dessen Anstaltsleiter Sie sind, heißt die Gefangenenzeitung sogar „Zensierte Zeithainer Zeitung (‚ZZZ‘)“. Wo gäbe es Probleme mit den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit, wenn die Gefangenen wenigstens auf dem Papier Artikulierungsmöglichkeiten hätten? Werden die Gefangenen hier nicht bevormundet?
Galli: Die Zeitung heißt eher aus Tradition so. Sie wird nicht zensiert im engeren Sinne, sonst dürfte sie ja gar nicht zensierte Zeitung heißen. Da sie aber eben in der Anstalt und auch in der Zusammenarbeit mit Bediensteten hergestellt wird, dürfen natürlich z.B. keine gesetzwidrigen Dinge drinstehen, für die die Anstalt dann in die Haftung genommen wird. Aus meiner Sicht sollten Inhaftierte wie jeder andere Mensch auch sagen und schreiben dürfen, was sie wollen, solange sie sich an die Gesetze halten.
TP: Auf einer Veranstaltung in Berlin anlässlich Ihrer Buchveröffentlichung gab eine Anstaltsbedienstete ein Statement ab, wonach die Effektivität der Gefängnisarbeit an der Rückfälligkeit gemessen würde, aber Rückfälligkeit kein Kriterium für Effektivität wäre, sein könnte oder dürfte.
Worin sehen Sie ein Kriterium für Effektivität, wenn man, um sich selbst abzusichern, über Menschen nur das Schlechteste denken sollte und diese Menschen dann – hier Inhaftierte – zwangsläufig in die Haltung gedrängt werden: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt’s sich gänzlich ungeniert?
Galli: Ja: woran misst man die Effektivität des Gefängnisses? Und wie? Und welche Rechtfertigung hätte das Gefängnis, wenn es keine positiven Effekte hätte? Ist es überhaupt rechtsstaatlich vertretbar, eine Einrichtung, mit der so massiv auf die Schicksale Einzelner Einfluss genommen wird, aufrecht zu erhalten, ohne dass ein Nachweis ihrer Effektivität auch nur annähernd erbracht ist? Die Befürworter der Institution Gefängnis sollten diese Fragen beantworten, nicht ich. Ich sehe in der Praxis und auch der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema jedenfalls in erster Linie negative Effekte des Gefängnisses.
TP: Im Mai d.J. jährt sich die Gründung der Gefangenengewerkschaft GG/BO zum zweiten Mal. Ihre Forderung: Die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung und Mindestlohn. Was ist daran utopisch?
Galli: Nichts. Ich unterstütze diese Forderungen und habe das auch in meiner Kommentierung im Kommentar zu den Strafvollzugsgesetzen, der in Kürze erscheinen wird (Hrsg. Feest/Lesting/Lindemann), klar zum Ausdruck gebracht.
TP: Der Berliner Justizsenator nannte die Forderung spontan „sozialpolitischen Nonsens“, die mecklenburg-vorpommersche Justizministerin konnte wenigstens der Einbeziehung in die Rentenversicherung Wohlwollen und Engagement entgegen bringen, der brandenburgische Justizminister ist auch nicht abgeneigt, andere hadern und eiern noch herum.
Ist es besser, insbesondere ältere Gefangene in die Altersarmut zu entlassen?
Galli: Natürlich nicht. Das ist unmenschlich und rechnet sich auch finanziell für die Gesellschaft nicht, da die Betreffenden dann ja wieder auf soziale Unterstützung angewiesen sind. Ganz zu schweigen davon, dass auch das Kriminalitätsrisiko insbesondere für Vermögensdelikte zunimmt, wenn Menschen kaum das Notwendigste zum Überleben haben.
TP: Ein Problem für die Gefängnisoberen sind derzeit immer noch Mobiltelefone bei Gefangenen, deren Funde mit Disziplinarmaßnahmen geahndet werden, die bis zu vier Wochen sog. Freizeiteinschluss incl. Fernsehentzugs und noch Einkaufssperre o.ä. reichen. Wieso wird sich nicht endlich mal dazu durchgerungen, solche Handys zu legalisieren, die offensichtlich weniger zur Planung von Straftaten oder Ausbruchsplanungen, denn zur Vermeidung von teuren Telefongebühren verwendet und besorgt werden, um den wucherischen Preisen von privaten Anbietern in den Gefängnissen zu entkommen, die quasi eine Art Monopolstellung innehaben? Nach einem Beschluss des Landgerichts Stendal, den ein Berliner Anwalt erwirkt hat, sind die Vollzugsbehörden sogar verpflichtet, für wenigstens bezahlbare Telefongebühren in den Gefängnissen zu sorgen, weil ansonsten die Resozialisierung gefährdet sei.
Wo liegt das Problem, um hier Abhilfe zu schaffen?
Galli: Wenn es nach mir ginge, würde ich Handys freigeben. Das ist eine Verschwendung von Ressourcen, die ganze Zeit mit großem personellen Aufwand nach Handys zu suchen, obwohl jeder Gefangene, der es darauf anlegt, ohnehin eines bekommen kann. Und die Telefongebühren, die den Gefangenen derzeit berechnet werden, sind tatsächlich viel zu hoch. Wobei z.B. in Bayern die Gefangenen nach wie vor nur in seltenen und begründeten Ausnahmefällen überhaupt telefonieren dürfen. Das ist nicht menschenwürdig und hat mit Resozialisierung nichts zu tun.
TP: Wie hausgemacht Probleme in den Gefängnissen sind, haben Sie auf der Veranstaltung in Berlin am Beispiel eines einmal abgelehnten Ventilators mehr als deutlich gemacht. Der Ventilator wurde dem Gefangenen kurioserweise nicht genehmigt, weil damit ein Minihubschrauber gebaut werden könnte. Solche Ablehnungen würden nach Ihrer Ansicht eine Ablehnungskultur schaffen, der wiederum eine Klagekultur der Gefangenen folgen würde. In Berlin gab es mal einen Fall, da wurde einem Gefangenen ein Fernseher mit dem Argument abgelehnt, das Gerät könnte als Wurfgeschoss missbraucht werden, obwohl der Gefangene bereits genügend andere „Wurfgeschosse“ wie etwa Essschüssel, Kassettenrecorder, Besen und Schrubber usw. in seinem Besitz hatte.
Wo fängt in den Gefängnissen der Irrsinn an und wo hört er auf?
Galli: Er fängt sehr früh an und hört sehr spät auf. Ein inzwischen leider verstorbener Kollege hat das Gefängnis als absurdes System bezeichnet. Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen.
TP: Bargeld ist in Gefängnissen ebenfalls verboten, weil damit verbotene Geschäfte gemacht werden könnten, heißt es da stets als Selbstrechtfertigung für die Gefängnisverantwortlichen. Auch Bargeldfund wird mit Disziplinarmaßnahmen geahndet. Bei einem Gefangenen in Berlin wurden einmal 50 oder sogar nur 20 Cent gefunden, wofür er zwar nicht disziplinarisch belangt wurde, bei einem späteren disziplinarrelevanteren Verstoß wurden diese 50 oder 20 Cent jedoch im Disziplinarbescheid mit aufgelistet und ihm eine Art Unbelehrbarkeit entgegen gehalten.
Der Bayer würde sagen: Da legst di nieder.
Wie gehen Sie mit solchen Sachen um bzw. wie sind Sie bisher damit umgegangen?
Galli: In Sachsen sind Disziplinarmaßnahmen weitgehend abgeschafft. Es gibt eine einvernehmliche Streitbeilegung, die meistens gut funktioniert. Vor allem gibt es nicht mehr diesen archaischen Arrest als Disziplinarmaßnahme.
TP: Sie sind ja nun für die Abschaffung der Gefängnisse. Wo soll das hinführen?
Galli: Das wird langfristig zu einer Senkung der Kriminalität führen, zu einer massiven Einsparung von Kosten und zu einer humaneren Gesellschaft. Wenn wir das schaffen, könnten wir zum zivilisatorischen Vorbild für die ganze Welt werden.
TP: Nun plädieren Sie für gemeinnützige Arbeit, und das nicht nur für Bagatelldelikte. Im Falle von Uli Hoeness hätten Sie es auch lieber gesehen, wenn er zur Sozialarbeit für eine gewisse Zeit herangezogen worden wäre, ähnlich wie Berlusconi in Italien, der jetzt, was er sogar noch als entwürdigend empfindet, in Altenheimen Senioren offensichtlich Geschichten vorlesen darf o.ä., vielleicht auch den Dreck wegfegen muss.
Angemessene Alternative für Millionäre und Milliardäre, die nicht nur mit Bus oder Bahn schwarzgefahren sind, ihre Rundfunkgebühren nicht bezahlt oder 1 Pfund Butter o.ä. in einem Supermarkt geklaut haben?
Stünde bei diesen Promis Sozialarbeit nicht im krassen Missverhältnis zu diesen „Nobodys“?
Galli: Die Reichen müssten natürlich zusätzlich noch Geldstrafen zahlen. Und bei Promis kommt dazu, dass jeder im Land mitbekommt, dass sie bestraft werden. Das ist beim Nobody nicht der Fall. Hat also alles seine Vor- und Nachteile!
TP: Wenn amerikanische Todeszellen im Fernsehen gezeigt werden, sehe ich hier auch nur Demokratie – den Willen der Mehrheit des US-Volkes. Kein Präsidentschaftskandidat oder Kandidatin in den USA hätte doch eine Chance zum Präsidenten oder Präsidentin gewählt zu werden, wenn er/sie für die Abschaffung der Todesstrafe plädieren würde.
Hat jedes Land also das Strafsystem, das es verdient?
Galli: Zum Teil ist es wohl so, ja. Aber die, die vom System persönlich betroffen sind, die Täter und die Opfer, die haben es oft nicht verdient. Daher müssen wir weiter dafür kämpfen, es gerechter und menschlicher zu machen.
TP: Die JVA Zeithain sollen Sie nach meinen Informationen nicht mehr mit einem Filmteam betreten dürfen, und in der JVA Leipzig wurde Ihnen anlässlich der Leipziger Buchmesse sogar eine Lesung aus Ihrem Buch versagt mit dem vermutlich vorgeschobenen Argument, Ihnen keine Plattform für den Verkauf Ihres Buches bieten zu wollen. Gehen Sie eigentlich noch konform mit Ihrem Dienstherrn, dem sächsischen Justizminister? Fallen Sie dort nun schon unter eine Art Radikalenerlass?
Galli: Ich hatte den Justizminister vor einiger Zeit persönlich kennengelernt. Er macht einen sehr sympathischen, aufgeschlossenen und kompetenten Eindruck. Ich führe keinen Kampf gegen das Ministerium, und schon gar nicht gegen ihn. Ich möchte auch betonen, dass ich persönlich vom Ministerium immer gut behandelt worden bin. Ich vertrete nur meine Meinung, und kann auch akzeptieren, dass das Ministerium derzeit zu meinen Thesen auf Abstand gehen muss, denn es bedarf sicher noch mehrjähriger Überzeugungs- und vor allem Aufklärungsarbeit, bis diese auch von einer breiteren gesellschaftlichen Akzeptanz getragen und damit politisch vertretbar werden.
Interview: Dietmar Jochum, TP Berlin
Foto/Bildquelle: Diana K. Weilandt
Tolles Interview mit Thomas Galli, dem visionären Anstaltsleiter der JVA Zeithain. Ich habe es aufmerksam gelesen! Und dabei interessante (leider noch futuristische) Denkansätze gefunden … Ihren Beitrag werde ich selbstverständlich weiterleiten / verbreiten. MfG, RA & Fachanwalt für Strafrecht Helfried Roubicek, http://www.strafverteidiger-ostsee.de
Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Berühmtes Zitat von Helmut Schmidt.
Meiner Meinung nach aber sollten all diejenigen zum Arzt gehen, die alles lassen wollen wie es ist. Die Arztpraxen wären überfüllt. Ohne Visionäre keine Zukunft. Thomas Galli ist unbedingt Erfolg zu wünschen, damit nicht alles bleibt wie es ist.