„Ich bin sehr traurig über die vielen Toten, die von Neonazis ermordet wurden.“

https://youtu.be/kvrRBP9r6

Ich bin sehr traurig über die vielen Toten, die von Neonazis ermordet wurden.

Preisverleihung an Esther Bejarano in Berlin und Laudatio von Schauspieler Rolf Becker.

Von Dietmar Jochum, TP Berlin.

Die Biermann-Ratjen-Medaille der Freien und Hansestadt Hamburg, das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, dann das Große Bundesverdienstkreuz, auch die Ehrenbürgerschaft der Stadt Saarlouis hat sie schon, sogar Papst Franziskus habe sie, die Jüdin Esther Bejarano, liebevoll empfangen.

Gestern kam nun der Preis für Solidarität und Menschenwürde 2016 dazu, der seit dem Jahre 2006 jährlich von dem Bündnis für Soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde e.V. (BüSGM) an Menschen verliehen wird, die sich in besonderem Maße gesellschaftlich und politisch engagieren.

2006 erhielt der Schauspieler Rolf Becker diesen Preis als Erster für sein vielfältiges politisches Engagement, 2016 nun Esther Bejarano für ihr mutiges und engagiertes Auftreten gegen Rassismus und Rechtsextremismus.

Rolf Becker hatte gestern zusätzlich die Ehre die Laudatio zur Preisverleihung an Esther Bejarano zu halten. Doch bevor es soweit war und der Preis von dem Vorstandsmitglied der BüSGM, Lothar Nätebusch, an Esther Bejarano überreicht wurde, gab es erst einmal eine Begrüßung an die Preisträgerin, den Laudator Rolf Becker sowie an die Gäste durch den ebenfalls im Vorstand befindlichen Pressesprecher der Organisation, Gert Julius, danach eine Podiumsdiskussion mit Esther Bejarano, Rolf Becker und dem DKP-Vorsitzenden Patrik Köbele, moderiert von einem weiteren Vorstandsmitglied der BüSGM, Peter Dietrich. Und zwischendurch auflockernde Musik des Pianisten und Sängers Roger Stein sowie des Gitarristen und Sängers Frank Viehweg. Roger Stein lockerte die Veranstaltung zusätzlich mit Gedichten und einem Vergleich von Berlinern und Wienern auf. In Berlin nehme er wahr, dass die Berliner sehr unfreundlich seien…, aber es nicht so meinen. Die Wiener seien dagegen sehr freundlich…, meinen es aber auch nicht so.

Gert Julius beklagte in seinem Vortrag zunächst, „dass Nichtregierungsorganisationen mit antikapitalistischem Anspruch in unserem Land von den politisch Verantwortlichen als nicht notwendiges Übel betrachtet werden“. In Frankfurt müsse Attac sich sogar gerichtlich dagegen wehren, „dass der Organisation die Gemeinnützigkeit aberkannt wird“.

Bereits im Gründungsjahr der BüSGM hätte man gewusst, „dass die Bundesrepublik Deutschland nach der Konterrevolution und ihrer sogenannten Vereinigung eher zu einem politisch rechts gerichteten als zu einem Rechtsstaat mutieren“ werde.

Die BüSGM trete dafür ein, so Julius, „dass die 1965 abgeschlossene Anti-Rassismus-Konvention als Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung (ICERD), in der BRD endlich durchgesetzt wird“.

Deutlich als eine Forderung der BüSGM brachte er zum Ausdruck, „dass der 1966 abgeschlossene Internationale Sozialpakt wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte (ICESCR), der wesentliche Rechte auf Existenzsicherung jedes einzelnen Bürgers beinhaltet, von den politisch Verantwortlichen in der BRD nachhaltig verwirklicht wird“.

Auch wurde die Bundesregierung aufgefordert, „endlich ihre US-hörige imperialistische Politik aufzugeben und u.a. die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger der Krim über ihren Beitritt zu Russland zu respektieren“.

Der Vortrag von Julius war durch und durch ein Forderungskatalog zur Einhaltung und Durchsetzung universeller Menschenrechte und massiver Kritik an der Bundesrepublik Deutschland dazu.

Am Schluss seines Vortrages würdigte er dann Esther Bejarano, die „mit ihren Aktivitäten ein generationenübergreifendes Beispiel für Humanität und Menschenwürde im Kampf gegen alte und neue Faschisten gegeben“ habe.

Esther Bejaranos Lebensweg sei hier nochmals in tabellarischer Form dargestellt:

• Am 15. Dezember 1924 in Saarlouis als Esther Loewy geboren
• November 1941: Ermordung der Eltern durch die Nazis
• Verschleppung ins Zwangsarbeitslager Neuendorf bei Fürstenwalde/Spree
• 20. April 1943: Deportation nach Auschwitz, dort Mitgliedschaft im „Mädchenorchester“ als Akkordeonspielerin
• Verschleppung ins KZ Ravensbrück, Flucht von einem der Todesmärsche zwischen Karow und Plau am See
• Auswanderung nach Israel, dort Heirat und Geburt der Kinder
• 1960 Rückkehr nach Deutschland
• Ab 1979 engagierte Arbeit als Zeitzeugin der NS-Verbrechen
• Anfang 1980er: Gründung der Musikgruppe Coincidence mit ihrer Tochter Edna und ihrem Sohn Joram, die Gruppe spielte jüdische und antifaschistische Musikstücke
• 1986 gründete sie mit anderen das Auschwitz-Komitee in der BRD e.V. und ist seitdem dessen Vorsitzende
• Seit 2009 treten die Bejaranos mit der Kölner Hip-Hop-Gruppe Microphone Mafia auf, mit der sie die Alben »Per la Vita« und »La Vita continua« veröffentlichten
• Esther wurde von zahlreichen Organisationen geehrt, ist u.a. Trägerin des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse und Ehrenbürgerin der Stadt Saarlouis
• Sie ist Ehrenvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten

In der Podiumsdiskussion brachte Esther Bejarano auf die Frage von Peter Dietrich, ob ihr in der Gegenwart bei Berichten über brennende Asylantenheime, Pegida usw. hier der Ausdruck „Faschismus“ einfalle, insbesondere zum Ausdruck, dass sie heute Ähnlichkeiten in der Entwicklung zur damaligen Zeit des Nationalsozialismus sehe. Dabei nannte sie auch die Karikaturen in Frankreich gegen die Moslems, die sie mit denen des „Stürmers“ gegen die Juden gleichsetzte, die den Antisemitismus dann schürten und stärkten. Das habe auch dazu beigetragen, dass sich kleine nazistische Gruppen zusammengeschlossen und so noch mehr zur Stärkung der Nazis beigetragen haben. Diese hätten dann das erreicht, was sie erreichen wollten. Heute wiederhole sich das, wie man das am Beispiel von NPD, Pegida, AfD, aber auch der NSU beobachten könne. Heute bedürfe es, gegen solche Tendenzen zusammenzustehen und alle – unabhängig von welcher antifaschistischen Partei – mit „ins Boot“ zu nehmen, damit sich diese Vergangenheit nicht wiederhole.

Warum die Podiumsdiskussion der Preisverleihung eigentlich voran gesetzt wurde, war vielleicht einer Spannungserzeugung auf die Preisverleihung geschuldet oder vielleicht auch, wie einige mutmaßten, einer Befürchtung, dass sich der vollbesetzte Münzenbergsaal in Berlin-Friedrichshain zu schnell lichten könnte, wenn die Preisverleihung erst einmal „abgewickelt“ ist. Das Publikum kam wahrscheinlich in erster Linie wegen der Preisträgerin Esther Bejarano

In seiner Laudation nannte Rolf Becker Esther Bejarano liebevoll „Liebe Schwester Esther“ (Laudatio von Rolf Becker und Dankesrede von Esther Bejarano sind am Ende dieses Beitrages dokumentiert). Als Rolf Becker „Nie wieder Krieg“ aussprach, bekam er heftigen Applaus.

Esther Bejarano dankte ihm anschließend in einer ebenso bewegenden Rede (dokumentiert am Ende dieses Beitrages nach der Laudatio von Rolf Becker).

Es war deutlich zu spüren, dass der im Jahre 1990 von der Volkskammer beschlossene Anschluss der DDR an die Bundesrepublik bei diesen Menschen tiefe Wunden hinterlassen hat. Für sie war die DDR ganz offensichtlich immer noch der „bessere Staat“.

Die Teilnehmer und Gäste der Veranstaltung sangen nach der Preisverleihung daher auch nicht ganz zufällig die „Internationale“ – viele mit gereckter und zusammengeballter Faust.

Fotos/Bildquellen/Collage: TP-Presseagentur

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Dokumentiert:

Laudatio von Rolf Becker zur Preisverleihung an Esther Bejarano am 19. Juni 2016 in Berlin
(es gilt das gesprochene Wort)

Liebe Schwester Esther,

eine Liebeserklärung Deines „kleinen Bruders“, wie Du, die „große Schwester“, mich nennst, als erstes: nicht die erste und sicher nicht die letzte, vor allen Ehrungen und Auszeichnungen, vor jeder Würdigung, so sehr sie dem auch angemessen sind, was Du nach allem Erlittenen beigetragen hast, um den uns Nachfolgenden zu einer besseren, vernunftgeleiteten Welt zu verhelfen.

„Wozu noch Auszeichnungen“ – diese Frage stand am Anfang unseres Gespräches, als wir uns vor wenigen Tagen darüber verständigten, worauf es heute, und nicht nur bei dieser Feier ankommt. „Zu sagen was ist, bleibt die revolutionärste Tat“ – im Sinne dieser Aufforderung von Rosa Luxemburg lasst uns, liebe Genossinnen und Genossen und sehr geehrte Gäste, auch bei der anschließenden Diskussion versuchen einander näherzukommen, beizutragen zur Überwindung unvermeidbarer und vermeidbarer Widersprüche sowohl unter uns wie in fast allen antifaschistischen Gruppierungen und Parteien – beizutragen vor allem zur Orientierung der arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung, die, den Fehl- und Falschinformationen, Halb- und Unwahrheiten bürgerlicher Medien und Politik ausgesetzt, sich mehrheitlich noch nicht als unterdrückte Klasse begreift.

Wozu noch Auszeichnungen? Du hast zahlreiche erhalten, benötigt keine – Dein Lebenswerk spricht, wie das vieler anderer deinesgleichen, für sich – auch politisch Andersdenkende, sogar unsere politischen Gegner kommen nicht umhin das anzuerkennen:

die Biermann-Ratjen-Medaille der Freien und Hansestadt Hamburg, das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, dem das Große Bundesverdienstkreuz folgte, die Ehrenbürgerschaft der Stadt Saarlouis, der liebevolle Empfang von Papst Franziskus sind Ausdruck dieser Tatsache.

Wozu also der „Preis für Solidarität und Menschenwürde 2016“, der Dir, wie es in der Ankündigung heißt, für Dein „mutiges Engagement gegen Rechtsextremismus und Rassismus“ verliehen wird? Er gehört wie die „Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte“ und der „Clara-Zetkin-Frauenpreis“ zu den bislang noch zu wenig beachteten Ehrungen unsererseits – nicht nur als Anerkennung und Würdigung persönlicher Leistungen und Verdienste, sondern als Aufforderung zu konsequentem Denken, Sagen und Tun – mit Deinen Worten: „Aufklärung tut not“.

Vorrangige Anliegen, die Dich – oft quälend – bewegen, seit Du dem Grauen der Vernichtungslager im faschistischen Deutschland entkommen bist:

Erinnern an das Geschehene. Erinnern, nicht nur der Erinnerung wegen, sondern um zu verhindern, dass sich – in welch neuer Form auch immer – Vergleichbares wieder ereignen kann. Mit Deinen Worten: „Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt. Ihr müsst alles wissen, was damals geschah. Und warum es geschah.“

Am 21. September 2008, hast Du in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel geschrieben:

„Mit Entsetzen entnahmen wir der Presse, dass in Litauen ehemalige jüdische Partisanen und Partisaninnen für ihren Widerstand gegen den mörderischen Faschismus unter deutscher Besatzung von der Staatsanwaltschaft verfolgt werden. Ihnen wird Mord und Kooperation mit ‚sowjetischen Terroristen‘ vorgeworfen. Ein Blick in die litauische Geschichte lässt diesen Vorwurf noch unglaublicher erscheinen, als er ohnehin schon ist.

Bereits wenige Tage vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Litauen wurden im Juni 1941 bei dem Pogrom von Kowno 1.200 Jüdinnen und Juden von der litauischen Bevölkerung ermordet. Ein Großteil der litauischen Bevölkerung begriff die Besatzung durch Nazideutschland als Unterstützung in ihrem Kampf gegen die Sowjetunion. Wer als litauische Jüdin oder Jude der Vernichtung entgehen wollte, dem blieb kein anderer Weg als der in den Untergrund. Gemeinsam mit sowjetischen Partisaninnen und Partisanen kämpften litauische Jüdinnen und Juden um ihr Überleben und die Befreiung vom Faschismus.

Im November 1941 wurden auch Margarethe und Rudolf Loewy mit einem Deportationszug aus Breslau verschleppt und in Kowno ermordet, die Eltern der unterzeichnenden Esther Bejarano.

Wir protestieren gegen die erneute Verfolgung der ehemaligen jüdischen Partisaninnen und Partisanen und fordern Sie, Frau Bundeskanzlerin auf, vor dem Hintergrund der deutschen Verantwortung für die Vernichtung der Jüdinnen und Juden Europas, im Namen der Bundesregierung Ihr Wort zu erheben.“

Dein Brief an die Bundeskanzlerin ist unbeantwortet geblieben, nicht nur, weil offene Briefe von Regierungsseite grundsätzlich nicht beantwortet werden, sondern weil es an Bereitschaft zum geforderten und erforderlichen Eingreifen mangelt: Verdienstkreuze ja, Konsequenzen nein.

Nicht nur Deine Eltern, auch zahlreiche Angehörige Eurer Familie hast Du verloren. Erst vor acht Tagen, am 11. Juni, erfuhrst Du bei einem Gastspiel in Bad Arolsen, zusammen mit Joram, Deinem Sohn, und den Rappern der „Microphone Mafia“, durch Deinen Besuch des ITS, dem dort ansässigen Internationalen Ermittlungsdienst für NS-Verfolgte, vom wirklichen Schicksal Deiner Schwester Ruth: bislang war Deine Annahme, sie sei 1942 beim Versuch der Flucht in die Schweiz von deren Grenzpolizei nach Deutschland zurückgeschickt und dann erschossen worden. Aufgrund der dort gespeicherten Unterlagen weißt Du heute, seit einer Woche, 73 Jahre danach: Deine Schwester wurde nach der Zurückweisung der Schweizer Behörden an die der deutschen nach Auschwitz deportiert und dort im Dezember 1942 ermordet, wenige Monate bevor Du am 20. April 1943 dorthin gebracht wurdest. „Ich werde so lange kämpfen, bis es keine Nazis mehr gibt“ hast Du nach Einblick in die Dokumente gesagt.

Mir unvergesslich: auf dem Rückweg vom Grab Deiner Großeltern auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee vor drei Jahren der Gang über den Deportationsplatz in der Großen Hamburger Straße, neben der jüdischen Knabenschule, in der noch das Klavier Deines damals ermordeten Onkels steht. 55.000 jüdische Bürger Berlins wurden von hier zum Anhalter Bahnhof und von da in Viehwagons nach Auschwitz geschafft – eine der vielen warst Du. 70 Jahre danach – Deine spärlichen Worte, Dein Schweigen machten klar, warum Du nicht unbegleitet an diesen Ort zurückkehren wolltest. Unausgesprochen, aber gegenwärtig als Konsequenz die Mahnung Moshe Zuckermanns „unser Denken und Handeln so einzurichten, dass nichts Ähnliches geschehe, dass Auschwitz sich nicht wiederhole.“

„Nie wieder Krieg“ – kaum jemand wird widersprechen. Zu bedenken dabei: auch die Kapitalisten wollen den Krieg nicht, „sie müssen ihn wollen“, wie Brecht 1954 warnend gesagt hat. Entsprechend beschwichtigend, also vernebelnd, sind die von Dir besorgt wahrgenommenen Erklärungen ihrer Vertreter in Regierungen und Medien: die Nato verstärke ihre Truppen und Waffenarsenale vom Baltikum bis in den Nahen und Mittleren Osten, um den Expansionsbestrebungen Russlands begegnen zu können – dass deutsches Militär mal wieder 150 Kilometer vor Leningrad (heute Petersburg) stationiert wird, sei der Politik Putins geschuldet. Nicht nur am Hindukusch, auch im Baltikum und im Nahen Osten wird Deutschland, wird Europa, wird „unsere Freiheit“ verteidigt.

„Sagen was ist“ – Tatsachen wie diese benennen und nochmals benennen, so wie bei den Protesten letzter Tage gegen die Militärbasis der USA in Ramstein und die von dort aus gesteuerten Kriegs- und Drohneneinsätze, benennen vor allem in Betrieben und Gewerkschaften, deren Führungen die Brisanz der gegenwärtigen Kriegsvorbereitungen zu entgehen scheint. Mit Bertolt Brecht: „Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.“

Deiner Befürchtung, wie der Wirtschaftskrise vor 1933 könne der heutigen ein weiterer, die gesamte Menschheit bedrohender Krieg folgen, ist kaum zu widersprechen. Für die Unternehmerseite und ihre Regierungen gibt es bekanntlich nur zwei Wege aus der Krise:

1. Gründlichere Ausbeutung vorhandener Märkte, also Angriff auf die Existenzbedingungen der Bevölkerungen auch in den hochindustrialisierten Ländern, Beispiel: Griechenland.
2. Erschließung neuer Märkte, also Krieg.

Du wirst nicht müde, wieder und wieder zu fordern, Geschichte differenziert zu betrachten, aus Fehlern und Fehleinschätzungen zu lernen, um ihre Wiederholung zu vermeiden. Zu hinterfragen, wie es 1933 zur kampflosen Niederlage der Arbeiterbewegung und ihrer großen Parteien SPD und KPD in Deutschland kommen konnte, die dem Faschismus die Machtübernahme ermöglichte. Ins Heute zu fragen, wie wir angesichts der europaweit fortscheitenden Rechtsentwicklung die Widersprüche untereinander, die Konfusion und Differenzen zwischen und innerhalb gesellschaftskritischer Gruppierungen und Parteien überwinden.

Moshe Zuckermann hat uns als Hinweis gegeben, was zur Entwicklung dieser Wiedersprüche maßgeblich beigetragen hat: „Deutschland war (ist) mittlerweile das »wiedervereinigte Deutschland«, und die Vergangenheit war (ist) nicht mehr die Nazi-, sondern die Stasi- Vergangenheit, jene ‚stalinistische Erbschaft‘, die dem bundesre-publikanischen Diskurs wie ein unerwartetes Geschenk, das die un¬beschwerte Vertauschung der einen Vergangenheit mit der anderen ermöglichte, in den Schoß gefallen zu sein schien (scheint.“

„Nie wieder Faschismus“ – vor sechs Jahren, Esther, am 8. Mai 2010, hast Du gesagt: „Als ich 1960 mit meiner Familie nach Hamburg kam, hoffte ich, in ein demokratisches Land zu kommen, das seine Lektion aus dem Faschismus gelernt hatte. Auch das war naiv. Auch das musste ich in einem sehr schmerzhaften Prozess lernen. Schon bald waren wir mit alten und neuen Nazis konfrontiert.

Bis heute ist in der BRD diese wichtigste Lehre, das Verbot aller faschistischen Organisationen, nicht gezogen worden. Das ist zwar im Grundgesetz verankert, wird aber nicht umgesetzt. So lange Nazis marschieren können, werde ich nicht aufhören, gegen sie zu kämpfen. Auch wenn die NPD noch so sehr gegen mich hetzt und mir droht.“

„Nie wieder Faschismus“ – kein Widerspruch hier unter uns, aber besorgte Blicke ins Land, in die Länder ringsum. Nur unzureichend gelingt es uns, unsere demokratischen Rechte zu verteidigen: das Recht auf Arbeit, auf ein angstfreies, menschenwürdiges Dasein, das Recht unserer Kinder auf eine lebenswerte Zukunft. Rechte, die täglich und fortschreitend eingeschränkt werden – durch Lohnraub, Arbeitsplatzabbau, Reduzierung von Ausbildungsplätzen, Kürzungen bei Kindergärten, Schulen und Universitäten, Sparzwänge im Gesundheitswesen, Rentenklau, Ausgrenzung von Menschen, die im derzeitigen Produktionsprozess nicht benötigt werden und aus Sicht derer, die von ihm profitieren, überflüssig werden.

Aus einer Rede der DGB-Vorsitzenden für Südosthessen, Ulrike Eifler vom 25.03.2016: „Man hat manchmal das Gefühl, wir sind über die Anfänge eines neuen Faschismus schon hinaus. Noch haben wir es in der Hand. Wir müssen darüber reden, was das Wesen von Faschismus ist.“

Bertolt Brecht (1935): „Es kann in einem Aufruf gegen den Faschismus keine Aufrichtigkeit liegen, wenn die gesellschaftlichen Zustände, die ihn mit Naturnotwendigkeit erzeugen, in ihm nicht angeta¬stet werden. Wer den Privatbesitz an Produktionsmitteln nicht preisgeben will, der wird den Faschismus nicht loswer¬den, sondern ihn brauchen…

Wir müssen sagen, dass gefoltert wird, weil die Eigentumsverhältnisse bleiben sollen. Freilich, wenn wir dies sagen, verlieren wir viele Freunde, die gegen das Foltern sind, weil sie glauben, die Eigentumsverhältnisse könnten auch ohne Foltern aufrechterhalten bleiben (was un¬wahr ist).

Wir müssen die Wahrheit über die barbarischen Zustände in unserem Land sagen, dass das getan werden kann, was sie zum Verschwinden bringt, nämlich das, wodurch die Eigentumsverhältnisse geändert werden.“

Viele Themen, die Dich und uns bewegen, wären noch auszuführen. Deine Forderung gegen die unmenschlichen Rückführungsaktionen der Roma nach Serbien und ins Kosovo aufzutreten. Mit Deinen Worten: „Sie sind wie wir in Auschwitz und anderen Lagern als ‚unwertes Leben‘ vernichtet worden. Und heute abschieben?“ Oder zur Flüchtlingsfrage, bereits vor zwei Jahren, als der Hamburger Senat und der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz die Aufnahme der Lampedusa-Flüchtlingsgruppe verweigerte: „Wir können doch nicht heute noch immer Menschen wie Tiere behandeln.“ Und zu den Begründungen der Ablehnung dieser, gemessen an heutigen Flüchtlingszahlen kleinen Gruppe durch die Hansestadt:
„Der Senat muss nur wollen.“

Hier nicht ausführbar, aber, wie mit Dir besprochen, mit dem Hinweis auf Deine Bücher und Publikationen ausgelassen, Deine und die Geschichte Deiner Familie. Nur dies noch:

Vor kurzem hast Du, wie so oft, vor Schülern gesprochen, diesmal in der Geschwister-Scholl-Schule in Tübingen, etwa 400 waren in der Aula versammelt. Darunter ein Junge aus Palästina, der sich zunächst geweigert hatte, Dir, einer Jüdin, also Feindin, zuzuhören, sich dann aber doch dazu entschlossen hatte. Du erzähltest, als Israel Dein Thema war, mit anderen Worten, aber inhaltlich etwa gleich, was ich jetzt aus Deinem Buch vorlese:

„Ich gehörte zu den so genannten deplaced persons. Deplaced heißt soviel wie „entheimatet“, also, Menschen, die keine Heimat mehr haben, entwurzelt sind. Ich war völlig entwurzelt. Es gab in diesem Land keinen Ort und keine Menschen mehr, wohin ich hätten gehen können: Keine Eltern – sie, meine Schwester und fast alle Verwandten waren von den Nazis ermordet worden – und kein Elternhaus. Kein Ort, nirgends.

Die Frage ‚Warum Israel?‘ war für mich deshalb ganz einfach zu beantworten: Wohin sonst?

Damals wollte ich so schnell wie möglich zu meiner Schwester Tosca und deren Mann Hans Lebrecht nach Palästina. Im September 1945 bin ich in Haifa angekommen. Ich war 20 Jahre alt, und vor mir lag mein ganzes Leben.
In Palästina wollte ich ein Land aufbauen, in dem alle Menschen friedlich zusammen leben konnten. Eine Heimstätte, für die, die dort schon lebten, und Zufluchtsstätte für die verfolgten Jüdinnen und Juden dieser Welt. Die arabischen Einflüsse haben mich völlig fasziniert, und mich als Künstlerin inspiriert. Als Israel 1948 gegründet wurde, war ich glücklich. Das war mein Land, hier wollte ich die Lehren aus 12 Jahren Nazi-Diktatur umsetzen: Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus.

Das war eine völlig naive Vorstellung, wie ich in einem sehr schmerzhaften Prozess lernen musste. Fortschrittliche Menschen wie Tosca und Hans sowie mein Mann Nissim und ich waren schon damals eine kleine Minderheit. Es waren jüdische Arbeitskollegen, die mir sagten: ‚Dich hat Hitler wohl vergessen zu vergasen‘.

Trotzdem war und ist Israel meiner Ansicht nach bis heute wichtig als Heimstätte für verfolgte Jüdinnen und Juden.
Wir Jüdinnen und Juden brauchen Israel. Aber in den Grenzen von 1948! Die Palästinenserinnen und Palästinenser brauchen einen eigenen Staat, sie müssen Land dafür bekommen, und ihnen muss eine Wiedergutmachung gezahlt werden. Deshalb unterstütze ich die jüdische Stimme für einen gerechten Frieden.“

Nachdem Du Deine Ausführungen vor den Schülern beendet hattest, kam ein Schüler zu Dir ins Foyer und fragte, ob Du Hunger hättest, etwas zu essen und zu trinken haben möchtest. „Essen nicht, ein Glas Wasser gern.“ Der Junge brachte das Wasser. Es war, wie Dir die Lehrerin dann erklärte, der palästinensische Schüler.

Liebe Esther, lass mich zum Schluss noch sagen, was ich Dir wider und wieder sagen möchte: Deine Augen. Deine liebevollen Augen. Weitergebend vor jedem Wort Dein Ja zum Leben, Deine Freude am Leben. Offen für alles, trotz allem, noch immer. Immer noch neugierig, suchend und fragend, wachsam besorgt, prüfend und zweifelnd. Zornig über das zunehmende Unrecht, die Dummheit, die Lügen, die nicht gezogenen Konsequenzen aus so viel Geschichte. Auschwitz – Du weißt aus eigenem Leiden, die Todesgleise enden dort nicht, wenn wir untätig bleiben. Wohin führt, was begann mit den Bomben auf Belgrad, Kabul und Bagdad? Und was ist mit Palästina? Und was wird aus uns und unseren Kindern?

Deine Augen. Perspektive, leidvoll gewonnen, in Zuversicht weitergegeben, wie mit Deinen Liedern – Deiner Stimme, Deiner wunderschönen Stimme: Wir leben trotzdem.

Dank, liebe Esther. Ich verdanke Dir, wir danken Dir. Verdanken Dir viel, unendlich viel. Mit dem Preis für Solidarität und Menschenwürde, der Dir jetzt ausgehändigt wird, lässt sich nur unzulänglich ausdrücken, was uns seit langem bewegt, noch lange bewegen wird.

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Rede von Esther Bejarano anlässlich der Verleihung des Preises für Solidarität und Menschenwürde am 19. Juni 2016 im Münzenbergsaal, Franz-Mehring-Platz 1, Berlin
(es gilt das gesprochene Wort)

Liebe Freundinnen und Freunde des Bündnisses für Soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde,
lieber Gert Julius,

ich möchte mich herzlich bei euch allen bedanken, dass ihr mich in die Reihen eurer Preisträgerinnen und Preisträger aufnehmt.
Es ist für mich eine große Ehre, dazugehören zu dürfen.

Den größten Teil meines Lebens habe ich in Hamburg verbracht. 56 Jahre lebe ich in dieser Stadt und fühle mich hier zuhause. Der Anfang nach meiner Rückkehr aus Israel, wo ich 15 Jahre lebte, fiel mir sehr schwer. Als ich 1960 mit meiner in Israel gegründeten Familie wieder deutschen Boden betrat und deutsche uniformierte Menschen, Bahnbeamte, Polizisten, sah, bekam ich starkes Herzklopfen. Unmittelbar dachte ich an die Gestapo.

Wir fuhren nach Hamburg, wo uns Hamburger Freunde, die eine Zeitlang vor uns von Israel nach Hamburg gezogen waren, erwarteten. Ich hatte zur Bedingung gemacht, dass ich weder nach Saarbrücken noch nach Ulm an der Donau zurückkehren werde, wo ich mit meinen Eltern und Geschwistern früher lebte. Und eine wunderschöne Kindheit im Kreise meiner Lieben verbrachte, bis im Jahr 1935 Hitler das Saarland betrat und bei einer Abstimmung sich die Saarländer für das sogenannte 3. Reich entschieden – und wir dann auch dort die Hetze und die Verbrechen der Nazis ertragen mussten.

Zwangsarbeitslager, Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, Konzentrationslager Ravensbrück, Todesmarsch habe ich überlebt. Meine lieben Eltern und meine Schwester Ruth wurden von den Nazis ermordet, was ich erst nach dem Krieg erfahren konnte. Nach dem Desaster konnte ich nicht mehr in Deutschland bleiben und bin nach der Befreiung durch russische und amerikanische Soldaten in der kleinen Stadt Lübz 1945 nach Palästina ausgewandert.

15 Jahre lebte ich in Palästina, später Israel, gründete eine Familie mit meinem liebevollen Mann Nissim Bejarano, es folgten Tochter Edna und Sohn Joram, die auch in Hamburg leben. 1999 starb mein lieber Mann, ein Jahr vor unserer Goldenen Hochzeit.

Israel haben wir aus gesundheitlichen Gründen meinerseits, aber auch aus politischen Gründen verlassen, weil wir nicht die Diskriminierung der Palästinenser und die Kriege mit unserem Gewissen vereinbaren konnten.

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich habe mir zur Aufgabe gemacht, Aufklärungsarbeit über die nationalsozialistischen Verbrechen, die ich am eigenen Leib erlebt habe, zu leisten. In Schulen, in Jugendverbänden Lesungen zu meinem im Hamburger Laika Verlag verlegten Buch „Erinnerungen“ zu machen. Seit 2009 singe ich mit der Rapband Microphone Mafia Lieder aus den Ghettos, Lieder gegen Krieg, Lieder für den Frieden. Wir sind drei Generationen und drei Religionen auf der Bühne: Juden, Christen und Moslems, zum Zeichen der Völkerverständigung, d a m i t n i e w i e d e r g e s c h e h e, was d a m a l s g e s c h a h (Im Original in Fettschrift).

Wenn ich mir die heutige Situation in Deutschland und in der ganzen Welt anschaue, muss ich laut aufschreien.
Über den enormen Rechtsruck überall. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten wir gesagt:
N i e w i e d e r F a s c h i s m u s, n i e w i e d e r K r i e g (im Original in Fettschrift).

Heute ist Deutschland in viele Kriege involviert, indem es Kriegsmaterial in Länder verkauft, in denen Krieg herrscht. Wie viele Menschen werden mit diesen Waffen getötet!

Ich frage mich, warum handelt die Regierung nicht nach unserem Grundgesetz, in dem zu lesen ist, dass alle Nachfolgeorganisationen der NSDAP verboten sind. Dass alle Nazischriften verboten sind.

Alles ist erlaubt, NPD, PEGIDA, AFD, alles rechtslastige Parteien und Organisationen, um nur einige zu nennen. Jetzt wird auch „Mein Kampf“ neu aufgelegt und soll sogar in den Schulen verbreitet werden. Soll die menschenverachtende Ideologie der Nazis wieder akzeptiert werden?
Warum wird der Prozess gegen die NSU so in die Länge gezogen?

Ich bin sehr traurig über die vielen Toten, die von Neonazis ermordet wurden.
Es geht alles so weiter.

Wir müssen dagegen aufstehen. Gemeinsam mit dem Auschwitz-Komitee in der Bunderepublik Deutschland und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.

Darum machen wir diese Arbeit.
B i t t e h e l f t u n s d a b e i (im Original in Fettschrift). Danke

Songtexte von Roger Stein

Die Regel (©2014)

(ein Deutscher Spaziergang)

Neulich ging ich, denn es war gerade Sommer

Mit einem guten Freund der Saale lang spazier’n

Um sich ein kühles Bier zu gönnen

und um – wie wir es eben können –

über dies und jenes klug zu debattier’n

Doch es traf sich, dass just unten bei der

Schleuse

Ein Mann ins Wasser fiel, in das Kanalsystem

Dort ist das Wasser nicht das Beste

Es schwimmen Öl und andre Reste

Doch der Dreck war nicht des Mannes

Kernproblem

Jenes lag im Grunde vielmehr in dem Umstand

Dass die Ufermauer hoch und irgendwie

Für ihn unmöglich zu erklimmen –

zudem konnte er nicht schwimmen

In Folge dessen er daselbst um Hilfe schrie

Wir zwei waren da zum Glück sogleich zur Stelle

Vielleicht noch 100 Schritt vom Unfallort

Entfernt

Doch nicht in Panik gleich zu rennen

Nein, die Lage erst erkennen

rationell zu handeln, haben wir gelernt

Also sprach mein Freund in klugen, klaren Worten

Schau wie der Mann dort unten um sein Leben

ringt

Jedoch bevor wir uns bewegen

Gilt es erst zu überlegen

Wie man vorgeht, dass es allgemein was bringt

Wir handeln ja als rationelle Wesen

Nicht wie Tiere gleich in Panik, nach Instinkt

Auch bei solchen Kleinigkeiten

Gilt es Regeln abzuleiten

Das nützt dann auch dem Nächsten, der ertrinkt

Gesetzt den Fall es wären mehr als einer

die da ertrönken und sie würden, so wie der,

panisch rufend um sich schlagen

ja, Da muss man sich doch fragen

Holt man Hilfe oder springt man hinterher?

In diesem Fall wär es zum Beispiel gar nicht nötig

In diesem Fall hier wär es ja nachgerade leicht

Zu zweit vom Ufer aus auf Knien

Diesen Mann an Land zu ziehen

Nur dass uns das als Lösung halt nicht reicht

Ich mein, es geht nicht um den Menschen den

Konkreten

Dass dieser Mann hier bald ertrinkt, das ist schon

Klar

Und dass wir alle das nicht wollen

Und dass wir ihn retten sollen

Nur das „wie“ und das „womit“ legen wir dar

Denn Hilfe holen kann natürlich dauern

Die zeitliche Begrenzung ist ein Fakt

Und ab wie vielen Personen

würd sich denn „Hilfe holen“ lohnen

das überlegten wir, ganz logisch und abstrakt!

Es geht hier um viel mehr als nur den einen

Nämlich um die allgemeine Gültigkeit

eine Regel anzuwenden

aufgrund von der mit beiden Händen

man den Mann aus seiner Misslage befreit

Und dann wäre da auch noch die Reihenfolge

Welche Personen hätten dann Priorität

Worauf würde man da schauen?

erst die Kinder dann die Frauen

Und für den hier wär’s dann ohnehin zu spät…

Und während wir noch heftig debattierten

Ward es bei der Schleuse plötzlich still

Der Mann war einfach so verschwunden

Und wir warteten noch Stunden

Aber wenn er sich halt gar nicht helfen lassen will

So konnten wir den einen hier nicht retten

Doch unsre Regeln retten viele Menschen mehr

– hunderttausende die winken –

Theoretisch vorm Ertrinken

Die Allgemeinheit dankt uns dafür sehr

(©2014)

Der Deutsche Griller (©2010)

Es ist den Deutschen tief zu eigen

Sich mit Bier und Wurst zu zeigen

Philosophie und Literatur

Die ganze deutsche Leitkultur

baut auf – auf unsrer Grillnatur

So sprach schon Kant vom freien Willen

den man braucht zum Würste grillen

Nietsche sagte: Gott ist tot

Uns bleibt nur noch Wurst mit Brot

Sigmund Freund sprach voller Lust:

„Der Mensch grillt oft auch unbewusst!“

Damit wäre nun bewiesen

Grillen heisst, Kultur geniessen:

Vor vielen Jahren traf Herr Goethe

Fritz Schiller in der Abendröte

Um schön gemütlich etwas chillen

Und dazu eine Wurst zu grillen.

Auf einem Divan, der west-östlich

sassen sie und assen köstlich

2 Würste und als Zusatz- Speise

Ein wenig italienischen Reise

So grillten sie recht wahlverwandt

Bis dem Schiller seine Wurst verbrannt

Schiller hatte nun die Bitte

Zu Teilen die Zweite in der Mitte

Er sprach zum Freunde, darf ichs wagen

Die eine Hälfte beanzutragen

Bist weder Fräulen, weder schön

wirst ohne Wurst nach Hause gehen

Sprach Goethe, und nur halb im Spass:

Wer nie sein Brot mit Tränen ass

Der kennt mich nicht derweilen

Ich wird die Wurst nicht teilen!

Meine Ruh ist hin, mein Teller leer

Krieg ich wirklich keine mehr

Das bisschen Reis ist nur Getreide!

Nur wer die Sehnsucht kennt, weiss, wie ich

Leide

ich will jetzt meinen Hunger stillen

So kann der Frömmste nicht in Frieden

grillen

Da schauten die beiden zu mitten der

Nacht

hinab auf das Würstchen in Lage

die Glut hat es schon brauner gemacht

und es duftet ganz ohne Frage

Goethe von dem Duft besessen,

Greift zur Wurst, um sie zu essen

Doch Schiller war ein wenig schneller

Nahm die Wurst vom Wilhelm Teller

Goethe war nun aufgebraust

und drohte ihm mit seinem Faust

Und bist Du nicht willig, so brauch ich

Gewalt

Die Wurst war nicht billig, hast Du das

geschnallt

Schiller aber, selbst nicht fein

Warf mit einem Wallenstein

Ich zeige Dir, so dreist Du bist

Wer hier der Wilhelm Meister ist

Goethes Wut lag nicht mehr brach

Und da kam auch Faust II schon nach

Dir fehlen wohl, das ist doch krank

Ein paar Torquato Tassos im Schrank

Schiller packte ihn am Rocke

und spielte ein Lied mit seiner Glocke

Das ist ja wohl der Gipfel Du

Bald herrscht auch in Deinem Wipfel Ruh

So schlugen sich die Dichterfürste

bis Morgens zwei Uhr um die Würste

das war kein Bild zu Salis

was am Ende auch egal is

(©2010)

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