Ohne konkrete Kindeswohlgefährdung keine familiengerichtlichen Auflagen zur Mediennutzung.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden, dass familiengerichtliche Auflagen zur Mediennutzung eines Kindes nicht bereits dann zulässig sind, wenn das Kind im Besitz eines Smartphones ist und freien Internetzugang hat. Derartige Auflagen seien nur geboten, wenn im Einzelfall eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls festgestellt werden könne.

Die Beteiligten sind getrennt lebende Eheleute. Sie stritten über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre neun Jahre alte Tochter. Im Rahmen der Kindesanhörung ergab sich, dass das damals 8-jährige Mädchen freien Zugang zum Internet über Geräte der Mutter hatte und über ein eigenes Smartphone verfügte. Das Amtsgericht hat das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter übertragen und ihr zugleich aufgegeben, „feste Regeln, insbesondere verbindliche Zeiten und Inhalte hinsichtlich der Nutzung von im Haushalt verfügbaren Medien (insbesondere TV, Computer, Spielkonsole, Tablet) für das Kind zu finden“, umzusetzen und dem Gericht mitzuteilen. Darüber hinaus sollte dem Kind kein eigenes und frei zugängliches Smartphone mehr zur Verfügung gestellt werden. Die Auflage wurde bis zum 12. Geburtstag des Kindes befristet. Gegen die getroffene Aufenthaltsbestimmung wandte sich der Vater mit seiner Beschwerde. Der Verfahrensbeistand der Tochter sowie die Kindsmutter schlossen sich der Beschwerde an und begehrten die Aufhebung der zitierten Auflagen zur Mediennutzung. Das OLG hat daraufhin die erteilten Auflagen aufgehoben.

Zur Begründung verweist es zunächst auf die Voraussetzungen gerichtlicher Auflagen nach §§ 1666, 1666a BGB. Staatliche Maßnahmen tangierten immer auch die Grundrechte der Eltern, so dass verfassungsrechtlich hohe Anforderungen an einen Eingriff in die elterliche Personensorge zu stellen seien. Maßnahmen dürften, so das OLG, nur getroffen werden, „wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes oder sein Vermögen gefährdet wird“. Es müsse positiv festgestellt werden, „dass bei weiterer Entwicklung der vorliegenden Umstände der Eintritt eines Schadensnachteil des Kindes mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist, die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts rechtfertigt eine eingreifende Maßnahme nicht“. Es sei nicht Aufgabe des Staates, „die im Interesse des Kindeswohls objektiv beste Art der Sorgerechtsausübung – soweit eine solche überhaupt festgestellt werden kann – sicherzustellen“, grenzt das OLG ab.

Die Anordnungen zur Mediennutzung und der Nutzung eines Smartphones griffen hier unberechtigt in die grundrechtlich geschützten Elternrechte der Kindesmutter ein. Eine konkrete Gefährdung des Kindes durch die Mediennutzung sei nicht festgestellt worden. „Allgemeine Risiken der Nutzung smarter Technologien und Medien durch Minderjährige begründeten nicht per se eine hinreichend konkrete Kindeswohlgefährdung.“  Medien- und Internetkonsum durch Kinder und Jugendliche berge zwar Gefahren, denen Eltern geeignet begegnen müssten. Dies betreffe „sowohl die zeitliche Begrenzung… als auch die inhaltliche Kontrolle“. Der Zugang zu jugendgefährdenden Inhalten über YouTube könne schädliche Wirkungen haben, gleiches gelte hinsichtlich für die aktuelle Altersgruppe nicht freigegebener Spiele mit „verstörenden, schädigenden Inhalten“ oder die Verwendung von WhatsApp, bei denen die Kinder oder Jugendlichen als Sender und Empfänger „gewünschter oder unerwünschter Nachrichten betroffen sein“ könnten. Äußerst fraglich sei jedoch, ob „generell eine Schädlichkeit angenommen werden“ könne, wenn Kindern die Möglichkeit eröffnet werde, Medien in dieser Weise zu nutzen. Die Schädigungsformen seien vielmehr mit anderen Gefahren etwa durch ausgedehnte Fernsehzeiten oder auch eine ausschließliche Ernährung von Junkfood vergleichbar. Zusammenfassend stellt das OLG deshalb fest: „Allein der Besitz eines Smartphones, Tabletts, Computers oder Fernsehers mit oder ohne Internetzugang rechtfertigt … nicht die Annahme, dass Eltern durch die Eröffnung eines Zugangs ihr Kind schädigen. Dazu müssen im konkreten Einzelfall Anhaltspunkte hinzutreten, aus denen sich die konkrete Gefahr einer Schädigung ergeben.“

Die Nutzung digitaler Medien müsse zum Schutz von Minderjährigen gegebenenfalls pädagogisch begleitet werden. Hierbei ergäben sich jedoch individuelle Spielräume, die – solange keine konkrete Kindeswohlgefährdung vorliege – innerhalb der jeweiligen Familien eigenverantwortlich festgelegt werden können. Es gelte insoweit auch für die Familiengerichte der Grundsatz der Subsidiarität staatlichen Eingreifens.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.06.2018, Az. 2 UF 41/18

Das Urteil kann in Kürze im Volltext unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de abgerufen werden.

Erläuterungen:

  • 1666 BGB Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

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